Dresden / Semperoper: „DIE GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN“ VON JAQUES OFFENBACH MIT ANNE SCHWANEWILMS IN DER TITELROLLE – 3.3.2020
2019 war der 200. Geburtstag von Jaques Offenbach. Jetzt hatten in Dresden gleich zwei seiner Operetten innerhalb kürzester Zeit Premiere, am 28.2.2020 „Die Banditen“ in der Staatsoperette und tags darauf (29.2.) in der Semperoper „Die Großherzogin von Gerolstein“, die Opéra-bouffe, die 1867 zur Pariser Weltausstellung zum „Hit“ wurde und bis heute nichts von ihrer Brisanz und Aktualität eingebüßt hat. Im Folgenden soll die 2. Vorstellung seit der Premiere Gegenstand der Besprechung sein. Nach der Premiere hat erfahrungsgemäß die Anspannung nachgelassen, und vieles wirkt gelöster und entspannter sowohl hinsichtlich der sängerischen Leistungen als auch im Umgang mit der Regie.
Bei seiner Inszenierung verwendet Josef E. Köpplinger vom Gärtnerplatz-Theater in München zwar gleiche und ähnliche Elemente und „Gags“ wie alle anderen Regisseure auch, aber er setzt sie sinnvoll ein, erzählt die Handlung, ohne zu übertreiben oder gar zu entstellen und „um die Ecke zu denken“, was dem Opernpublikum und erst recht einem Operettenpublikum sehr entgegenkommt. Er „würzt“ alles mit einigen neuen und auch alten Gags, die bei ihm jedoch weder fad noch banal wirken, mitunter auch etwas übertrieben, bewusst naiv oder leicht überzeichnet, aber immer im Rahmen eines guten Geschmacks und daher wirkungsvoll, ohne Verunstaltung der Handlung, szenisch umgesetzt von Johannes Leiacker. Das sind die feinen Unterschiede zu manch anderer Inszenierung. Bei den Kostümen verzichtet Alfred Mayerhofer vernünftigerweise weitgehend (mit Ausnahme der Touristengruppe) auf den weit verbreiteten „Alltagslook“ und hält sich stilistisch eher an Kleidung aus Offenbachs Zeit, die einfach dazugehört, mit stilvoll-satirischen Anspielungen, jedoch auch hier nicht übertrieben.
Bereits im Außenbereich wird die Semperoper zur Einstimmung von zwei „Schilderhäuschen“ flankiert. An jeder Tür kontrollieren zwei „Soldaten“ in (Fantasie-)Uniform die Eintrittskarten, was durchaus im Sinne einer guten Operette ist (bei der Uraufführung von Ralph Benatzkys Operette „Im Weißen Rößl“ soll 1930 das gesamte Schauspielhaus in Berlin als Hotel im Salzkammergut verkleidet gewesen sein). Schon lange vor Beginn der Aufführung läuft eine (überflüssige) Touristengruppe durch das Foyer mit einem, auf die Deckenmalereien hinweisenden (unbedarften) „Fremdenführer“ (Josef Ellers). Musiker der Staatskapelle und einige Herren vom „Soldaten-Ballett“ laufen durch die Gänge. Der als altertümliche Dorfkinder verkleidete Kinderchor der Semperoper hat Gelegenheit, sich mit sehr gut einstudierten romantischen Volksliedern vorzustellen (Chorleiterin: Claudia Sebastian-Bertsch), mit denen er dann auch die Besucher vor der Vorstellung von der Bühne aus begrüßt. Das alles ist nicht unbedingt nötig, aber ganz nett. Für Pausenunterhaltung ist also gesorgt.
Die Bühne ist umrahmt mit „einer gewissen“ Lämpchenkette, die auf die erotische Ader der Großherzogin hinweist. Der sich öffnende Vorhang gibt den Blick frei auf eine herrliche Gegend mit idyllischer Stadtansicht (nicht vergleichbar mit dem gleichnamigen Städtchen in der Vulkaneifel in Rheinland-Pfalz). Ein großer historischer Globus dreht sich durch die Welt, und man sucht mit der Lupe und findet auf der Landkarte das kleine Gerolstein, „wunderschön, historisch, museal, aber politisch völlig unbedeutend“- ein netter Einfall! Dafür zieren überdimensionale historische Schlachten- und andere Großgemälde die Wände des Schlosses der Großherzogin dieses kleinen Ländchens, auch als Hinweis auf die Wiedereröffnung der Gemäldegalerie „Alte Meister“ in Dresden nach siebenjähriger Schließung. Große Löcher in den Wänden, durch die „so manches“ hereinbricht und der mit Kanonenkugeln hinein geschossene Schriftzug „Gerolstein“ deuten auf militantes Leben hin, das jedoch „verpufft“. Es gibt kaum Soldaten, nicht einmal einen Feind, aber einen naiv-dümmlichen General Bum (Martin Winkler), der mit militantem, aber naivem Gehabe den Ton wie seinerzeit „Hubsy“ von Meyerinck im Film angibt. “Zack-zack!“ poltern seine Anweisungen bei „softigen“ Gesten in den Raum. Im Gegensatz zu allen anderen Akteuren „donnert“ er seine Texte gut verständlich von der Bühne.
Bei allen übrigen wäre eine deutsche „Übersetzung“ auch der gesprochenen Worte als Übertitel sinnvoll, die es nur in Englisch und für die Coupolets in beiden Sprachen gibt. Der Text wurde von Köpplinger neu und durchaus sinnvoll übersetzt und mitunter vorsichtig in die Gegenwart transponiert, wobei sich sogar (fast) alles a la Offenbach reimt, ohne fad zu wirken.
General Bums Platz in der Militärhierarchie ganz oben ist gefährdet, als ein junger, hübscher Soldat namens Fritz, dem Maximilian Mayer (ebenfalls vom Münchner Gärtnerplatz-Theater) mit jugendlich-frischer Stimme, unbekümmert und aufrichtig, einfach als sympathischer Typ Gestalt verleiht, „für seine Dienste“ in Windeseile geadelt wird und die Karriereleiter bis zum General hinaufsteigt, protegiert von der Großherzogin, die ihn begehrt. Da wirkt selbst die Badewannen-Szene nicht banal oder fatal, sondern witzig-spritzig, logisch und doppeldeutig. Die „Chefin“ lässt ihn aber auch schnell wieder fallen, obwohl er den Feind als neuer General schon nach vier Stunden bezwang – nicht mit dem, ihm von ihr verliehenen altehrwürdigen, gehegten und gepflegten „Gewehr vom Herrn Papa“ – sondern mit Gerolsteiner Wein!
Zu allem Überfluss und ihrem Leidwesen heiratet er auch noch seine niedliche, kleine Freundin, die Gänsemagd Wanda, der Katerina von Bennigsen, die im vergangenen Sommer bei den Seefestspielen in Mörbisch die umschwärmte Lisa spielte, und seit 2019/20 zum Ensemble der Semperoper gehört, als „liebes, nettes Mädchen vom Lande“ Leben einhaucht. Für Madame lockt ein „größeres“ Glück in Person von Baron Grog (Martin-Jan Nijhof), dem Erzieher des Prinzen Paul, doch der hat schließlich „eine Frau und sieben Kinder“. Da bleibt ihr denn doch nur noch die Heirat mit dem, sie immer linkisch und aus „Staatsraison“ begehrenden und verehrenden Paul (Daniel Prohaska), der sie aus politischen Erwägungen heiraten soll und den sie immer abblitzen ließ. Als „Trost“ lässt ein groß eingeblendetes altmodisches Foto von „sehr leicht“ bekleideten Herren – vom Regiment? – ihren Traum von erneutem „Vergnügen“ und „Beförderungs-Möglichkeiten“ erkennen. Wer sollte da nicht die Parallelen zur Gegenwart erkennen? „Das Volk ist doch nicht blöd!“ („wie“ – in einem Interview – „von kompetenter Stelle verlautete“).
Anne Schwanewilms, die sich weltweit vor allem einen Namen als eine der bedeutendsten Interpretinnen der Werke von Richard Strauss, Richard Wagner und Gustav Mahler gemacht hat, schlüpft hier in die Rolle der Großherzogin, einer verwöhnten nicht so ganz jungen Dame, die stramme Soldaten in schmucken Uniformen liebt, aber da ihr Land für kriegerische Auseinandersetzungen viel zu unbedeutend ist, anderweitig gern „zur Attacke“ bläst – in roter Seiden-Uniform. An der Semperoper war sie als „Arabella“, Chrysotemis („Elektra“) und Marschallin („Der Rosenkavalier“) zu erleben, jetzt ist sie hier auf dem Weg in einer ganz anderen Richtung, um sich eine neue Rolle zu erschließen, in der sie eine ganz andere Seite ihres sängerischen und darstellerischen Könnens zeigen kann.
„Wagner und Strauss schließen das leichte Fach aus“ sagt sie, und „wenn man Wagner- und Strauss-affin ist, bedeutet Offenbach ein langes Stück Arbeit“. „It is a long, long way …“, doch wenn sie diesen langen Weg noch ein Stück weiter geht, könnte sie sogar die Inkarnation dieser Rolle werden. Ihre stattliche Bühnenerscheinung als jugendlich-reifere, blondgelockte Frau, ihr Auftreten und ihre Ausstrahlung und nicht zuletzt ihre Stimme, die in der Höhe keine Wünsche offen ließ, befähigen sie geradewegs dazu. Zwar war sie jetzt noch etwas zurückhaltend, denn schließlich betrat sie „Neuland“ und „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“. Ein leise gesungener Ton stört weniger als ein „abgerutschter“. Sie dürfte aber Persönlichkeit und Potential genug haben, um sich in diese Rolle hineinzusteigern und sie zu einer ihrer „Paraderollen“ zu machen, denn sie meint dazu: „Es ist Knackigkeit, die von oben knallt, es macht Spaß“ (weitere Aufführungen am 6., 20., 24. und 26. Februar).
Ferner wirken mit: Sigrid Hauser als Hofdame Eurosine von Nepumukka, die mit ihrer Theatererfahrung immer genau im richtigen Moment zur falschen Stelle ist, und Jürgen Müller als Baron Puck. Der Sächsische Staatsopernchor (Einstudierung: Jan Hoffmann) kontrastierte im richtigen Moment im richtigen Maß die Szenen und ließ keine Wünsche offen. Das Soldaten-Ballett (Choreographie: Adam Cooper) wuselt nicht zwischen den Handlungssträngen, sondern konterferiert in angemessener Weise die Handlung als untermalender Unter- und Hintergrund, ohne sie zu verwischen oder zu verkomplizieren.
Große Pappschilder mit der Aufschrift „Intrigensitzung“, „Verschwörung“ oder „Meuchelmordkomplott“, wenn die „Verschwörer“ singen: „Fritz muss weg“, „Gerolstein wird fritzfrei“ usw., das leidige Saubermachen im, auf der Bühne nachgestalteten, Foyer der Semperoper als Schloss-Innenraum, ein Soldat im „Tutu“, das schließlich noch der Fremdenführer verpasst bekommt, „Schwanensee“-Männer-Ballett mit der angedeuteten „Barcarole“ im Orchester, das vor der Pause dem Graben einen Stock höher als sonst entsteigt, erinnern sehr an manch andere Inszenierungen, auch an die der „Banditen“ im Operettentheater – zufällige oder gewollte Parallelen oder wer hat da was von wem „stibitzt“?
Hier war zumindest alles sinnvoll und zweckentsprechend eingesetzt, nett und unterhaltsam. Ein erfreulich neuer (?) Einfall waren die Schatten der fliegenden Vögel als Andeutung drohender „unheimlicher Ereignisse“. Alles ging „Schlag auf Schlag“, wie man es von einer Operette erwartet, nur die reale Gesellschaftskritik von Offenbachs aberwitziger Komödie, in der sich eine fiktive Potentatin in ihrer erotischen Unersättlichkeit „die Männer greift, wie sie will, um „Spaß“ zu haben – was einem doch auch gegenwärtig gar nicht so unbekannt vorkommt -, wo Karrieren gemacht werden und Militanz, Vetternwirtschaft, Protektion und Opportunismus – was es immer gegeben hat und auch jetzt nicht ausgerottet ist! – schwungvoll und mit Witz genüsslich auf die Schippe genommen werden, blieb auch manchmal im Fröhlichen stecken.
Unter der Leitung von Jonathan Darlington spielte die Sächsische Staatskapelle Dresden die schmissig-ironische Militärmusik schwungvoll und präzise, in idealer Weise „ganz Offenbach“. Die Musiker verstehen es, nicht nur Strauss, Wagner, Beethoven und Mozart exzellent zu spielen, sie widmen sich mit Freude auch gern einmal einem ganz anderen Metier. Das „himmlisch schöne“ Nachspiel bei bereits geöffneten Türen nach Applaus und Vorhängen noch im Ohr, verließ man sehr beschwingt das Haus. Die Kapelle hatte Offenbach und seine Musik bestens erfasst und zum Klingen gebracht, und Köpplinger und sein Team endlich wieder einmal eine unverstellte, witzig-spritzige Operette auf die Bühne.
Ingrid Gerk