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WIEN / Bezirksmuseum Josefstadt:  „ZENS und die MUSIK“

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Herwig Zens vor seinen Bildern (C: Karl Dworschak)

WIEN / Bezirksmuseum Josefstadt:  „ZENS und die MUSIK“

Eröffnung der Ausstellung am 4. März 2020

Bis 28. Juni 2020  (Karl Masek)

Herwig Zens (1943 bis 2019): Von der Fachwelt wurde und wird er als einer der bedeutendsten bildenden Künstler der zeitgenössischen (nicht nur der Wiener- und der österreichischen!) Kunstszene bezeichnet.

 Als Künstler einer, „Der mit dem Tod tanzt“. Als Thanatologe bezeichnete sich Zens selbst nach dem Trauma eines schweren Herzinfarktes im Alter von 34 Jahren. Seither führte er Tagebuch – in Form von 700 Kupferplatten, als „Tagebuch in Radierungen“. Einer, der auch besonderer Musikliebhaber war (Gerda Zens, Ehefrau und Lebensmensch über viele Jahrzehnte, ist Musikerin, Pianistin,…).

Einer, der als Kunststudent (damals unschlüssig, ob er Schauspieler oder Maler werden wollte) von Oskar Kokoschka und seiner „Schule des Sehens“ nachhaltig beeinflusst wurde.

Ein charismatischer und streitbarer  Kunstpädagoge war er. Der Verfasser dieses Berichts weiß ganz genau, wovon er schreibt, war Herwig Zens für ihn und viele aus seiner damaligen Klasse über vier Jahre (1968 bis zur Matura 1972) am damaligen Musisch-pädagogischen Oberstufen-Realgymnasium Hegelgasse 12 in Wien ein Kunsterzieher, der fürs Leben prägte. Mit dem Motto: „Als Lehrer musst du 10% Fachwissen und 90% schauspielerisches Talent haben…“. So gesehen war Zens für uns damals kein 100%iger Lehrer, sondern eher ein 190%iger! Ein Pädagoge am Pulsschlag der Zeit, als viele andere für uns 17-, 18-Jährige mit erzkonservativer bis reaktionärer Attitüde eher den Eindruck erweckten, immer noch nicht in der II. Republik angekommen zu sein. Der uns die Augen öffnete für Hieronymus Bosch, Francisco de Goya, Henri de Toulouse Lautrec,  die Vertreter der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“  – und den damals noch sehr umstrittenen „Übermaler“ Arnulf Rainer. Einer, der als „Fächer übergreifend“ Unterrichtender (weit seiner Zeit voraus!) auch zeitgenössische Literatur in seinen Unterricht aufnahm. HC Artmanns „med ana schwoazzn dintn“ haben wir damals verschlungen…

Einer, der nach dem Grundsatz lebte und wirkte: „Kunst kommt von: MÜSSEN“. Einer, der für die Kunst und seine StudentInnen brannte! Einer, der somit  für viele ein manischer  Selbstausbeuter war…

Und nun die Ausstellung  ZENS und die MUSIK mit einem Querschnitt aus Werken aus den 90er Jahren des vergangenen Jahrtausends bis zu seinem Todesjahr 2019. (Seine letzte von vielen Ehrungen und Auszeichnungen war der Goldene Rathausmann, der ihm 2018, zu seinem 75. Geburtstag, von Bürgermeister Michael Ludwig überreicht wurde.)

Etliches aus seinen „Notenblatt-Übermalungen“ ist hier ausgestellt. Alles mit der ihm eigenen Mischung aus „Farbigkeit mit grobem Pinsel“ und dem Schwarz-Weiß seines sortenreinen, unverwechselbaren Striches.  Ein Zens eben! Fast möchte man sagen: Cuvées sind seine  Arbeiten, wie besondere Winzer- Produkte, um die Qualität noch weiter zu steigern.  Zeichnungen, die sich mit paraphrasenhafter Abstraktheit wienerischen Themen, und da besonders den Musikern, widmen.


„Beethoven in Meidling“ (C: Andrea Masek)

„Beethoven in Meidling“ sticht hier besonders ins Auge. Die „Winterreise“-Paraphrasen, die gleichermaßen ins Schubert- wie ins Zens-Seelenleben Einblick geben. In einer Art Tradition, dass sich der Schöpfer eines Bildes, mitunter schattenhaft, auch im Bild verewigt. Vermutlich nur für jene, die ihn kannten, beispielsweise im „Wegweiser“ des Winterreise-Zyklus erkennbar: Schubert in der Rückenansicht, selbstredend nicht mit fotografischem Realismus – den Ansatz einer Brille kann man wahrnehmen. Der „Wegweiser“ hat – wenn man will – einen Hauch von Zens’scher Typologie. Gänsehaut beim Knochenmann „Der fröhliche Virtuose, 2001“


  „Der fröhliche Vituose“   (C: Andrea Masek)

Die Museumsleiterin des Bezirksmuseums Josefstadt, Maria Ettl, leitete die Vernissage ein. Herwig Zens, er war auch ein „Josefstädter“ und Anwohner des Bezirks! Der Wiener Gemeinderat Heinz Vettermann skizzierte die enge Zusammenarbeit mit dem „Kulturverein Freundinnen und Freunde der Josefstadt“, der Musikkritiker der „Presse“, Wilhelm Sinkovicz, zeichnete in seinem profunden Statement ein eindrucksvolles Psychogramm dieses so vielschichtigen Künstlers und Menschen Herwig Zens. Weiters bei der Eröffnung der Ausstellung anwesend:  Erwin Ortner, der Gründer des Arnold Schoenberg Chors. Er war mit Herwig Zens besonders freundschaftlich verbunden. Die Besucher erfuhren: Zens hatte einst die Büroräume des Arnold Schoenberg Chors bis hinein in die Schubladen (!) künstlerisch ausgestaltet!


„Der Wegweiser“  (C: Andrea Masek)

Man will ja nicht alles im Vorhinein referieren, nur so viel: Diese Ausstellung bietet allen, die Zeit und Muße haben für Details, für Geduld am Betrachten, reichlich Stoff fürs Innehalten, für Intensität des Denkens und Fühlens.

Sehr zu empfehlen!

Bezirksmuseum Josefstadt, Schmidgasse 18, 1080 Wien

Dauer der Ausstellung: bis 28. Juni 2020

Öffnungszeiten: Sonntag 10:00 bis 12:00 Uhr; Mittwoch 18:00 bis 20:00 Uhr und nach Vereinbarung. Schulferien und Feiertage geschlossen.

Tel./Fax 01-403 64 15

Mail: bm1080@bezirksmuseum.at; www.bezirksmuseum.at


Herwig Zens vor seinen Bildern (C: Karl Dworschak)

Karl Masek

 

 

 

 

 


MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: I MASNADIERI. Premiere. Kurzbericht

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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: I Masnadieri /Die Räuber

Neuproduktion vom 8. März 2020  – Verdi / Maffei nach  Schiller „Die Räuber“
Erste Eindrücke von Tim Theo Tinn  

Außerordentlicher Gesang – bemühtes Orchester- defizitäre Szene!

Bildergebnis für bayerische staatsoper i masnadieri

                      Ensemble, Chor, Statisterie  © Wilfried Hösl

Einheitsbühnenbild: rd. 3 Stunden Schwarzes – Derivat/Ersatz für folgende Handlungsorte gem. Vorlage: Schänke an der sächsischen Grenze, Schloss in Franken, Schlafraum im Schloss, Gelände bei der Schlosskapelle, Böhmische Wälder bei Prag, Gelände beim gräflichen Schloss, Wald bei den Ruinen eines Burgverlieses, Zimmerflucht im Schloss.                                                                                                                                             Das kann man besser machen!

Sensationell klassisches Gesangs-High-End in allen Partien!

Bemühte Orchesterleistung schafft Gutes in Tempi, Dezibel (besonders Piano/Pianissimo im Ensemblegesang ist ausgezeichnet). Die dynamische Feinzeichnung bleibt unbefriedigend. Der Librettist hat wesentliche testosterongeladene Sturm und Drang-Momente der Schiller–Vorlage gestutzt. Verdi hat dies in emotionsauslotenden Noten geprägt. Diese Sichtung ist einer musikalisch – ordentlich kognitiven Interpretation ohne Drängen, Verzehren, Abgründe in kulinarischer Wohlanständigkeit gewichen. 

Qualität szenischer Einrichtung lässt sich im o.a. Bild erkennen. Offensichtlicher Versuch, trotz behaupteter Themenqualität in Begleittexten, der in semi-/halbkonzertanter Nummernoper im Themengemurkse bleibt. Unschlüssig, unspezifische Allerweltsgefälligkeiten, zentrale Themen wie der sinnliche, aufgeklärte, teuflische Mensch im Zerrbild eigener Moralentwürfe der beiden Brüder etc. bleiben außen vor.

Tim Theo Tinn 8. März 2020

Ausführliche Einlassugen folgen!

 

MANNHEIM/ Rosengarten: PIETRO DI MARIA – Klavier-Recital (Chopin, Beethoven, Liszt)

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Mannheim / Rosengarten: „PIETRO DE MARIA“   Klavier-Recital – 08.03.2020

Den neu verfügten Maßnahmen der italienischen Behörden sowie den Auflagen „Orchestermusiker müssen einen Meter Abstand voneinander bewahren, konnte kein Orchester erfüllen und somit fiel das Gastspiel des in Florenz beheimateten Orchestra della Toscana heute beim Pro Arte-Konzert im Mozartsaal des Mannheimer Rosengarten dem Corona-Virus zum Opfer, regelrecht ins Wasser. Nun war guter Rat teuer, Geschäftsführer Wilfried Strohmeier bekundete im Laudatio sein Bedauern, beschenkte die Anwesenden zum Ausgleich verlorener Orchester-Wonnen kulant mit zwei Folge-Gratis-Konzerten.

Aus der Not schuf man eine Tugend nun stand im Mittelpunkt des Interesses Pietro de Maria welcher unlängst mit der Gesamteinspielung der Klavierwerke von Frédéric Chopin für Furore sorgte. Der  italienische Tastenkünstler offerierte nun abgeschirmt, flankiert von sechs Grünpflanzen sein Recital und  eröffnete den Vortrag mit „Mazurka Nr. 2/3/4“ des polnischen Komponisten. In ruhigen Tempi, allmählich dynamischen Steigerungen kontrastierte Pietro De Maria die rhythmische Vielfalt der Miniaturen. Zartheit, Melancholie, perlende Anschläge vereinte der lyrische und virtuose Instrumental-Poet während der drei Folge-Pretiosen „Ballade Nr. 1“, „Nocturne Nr.2“ sowie dem funkelnden „Scherzo Nr. 2“.

Nach der Pause erklang die „Mondschein-Sonate“ von Ludwig van Beethoven. Im Sentiment einer Méditation spielte De Maria elegisch das Adagio sostenuto, meisterhaft, unvergleichlich präzise, in schlanker Diktion, im Tiefgang emotionaler Infiltration zogen Alegretto – Presto vorüber.

Der in Akkuratesse aufspielende venezianische Solist erwies sich zudem als Aristokrat des Klavierspiels, in bezwingend natürlicher Präsentation ohne störende Gestik spielte der exzellente Künstler auf unglaublich hohem Niveau.

Jeder Ton schien zu funkeln, die Bässe schimmerten, die Obertöne glänzten brillant zum Valse caprice d´aprés Franz Schubert aus „Soirées de Vienne“. Warm, filigran, strukturell, farbenreich erklang ebenso von Franz Liszt Sonetto 104 del Petrarca aus „Années de pélérinage Italie“ und abschließend ließ der außergewöhnliche Pianist nochmals das Füllhorn seines spektakulären Könnens zu perlenden, dynamischen Anschlägen und hochkarätiger Brillanz bei „La Campanella gis-Moll“ überquellen.

Das vollzählig verbliebene Publikum war hingerissen, dankte mit donnerndem Applaus und lauten Bravorufen. Bescheiden verbeugte sich der Sympathie-Träger, gab kund: Musik zu interpretieren gleiche einem Gebet, welches er nun den Opfern und Betroffenen des inzwischen weltbeherrschenden Virus widmete, zwei Chopin-Zugaben gewährte: anmutig,  strahlend erklang „Fantasie Impromptu“ und in verblüffender Unbeschwertheit folgte einfach hinreißend interpretiert die „Polonaise brillante“.

Gerhard Hoffmann  

BERLIN/ Deutsche Oper: DINORAH ou le Pardon de Ploermel von Giacomo Meyerbeer 

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Berlin:  Dinorah ou le Pardon de Ploermel/Meyerbeer  7.3. 2020 – konzertant

Im Rahmen der Meyerbeer-Tage an der Deutschen Oper Berlin wurde jetzt auch seine komische Oper Dinorah ou le Pardon de Ploermel (Dinorah und die Wallfahrt nach Ploermel) von 1859 (UA an der Opera comique zu Paris) konzertant gespielt. Sie gehört in Meyerbeers große Schaffensperiode in Paris und stellt neben den Grand operas Robert le Diable, Les Huguenots, Le Profete & L’africaine einen kleinen Buffo-Kontrapunkt dieser Kompositionsphase dar. 

Vorgeschichte: Jedes Jahr findet in dem bretonischen Dorf Ploermel eine Prozession zur Marienkapelle statt, der sich der Ziegenhirt Hoel und seine Braut Dinorah, die Tochter eines Meiereibesitzers, voriges Jahr angeschlossen haben, um sich in der Kapelle trauen zu lassen. Ein Gewitter zerstreute aber die Festgesellschaft, und ein Blitzschlag vernichtete die Meierei, so daß Hoel eine Zukunft in Armut für Dinorah voraussah. Er schenkte daraufhin den Einflüsterungen des Zauberers Tomyk Gehör, der von einem Schatz erzählte, den ein Geistervölkchen bewache. Um in seinen Besitz zu gelangen, müsse Hoel ein Probejahr bei ihm verbringen. Zum äußersten entschlossen schlug Hoel ein. Im Glauben, ihr Bräutigam habe sie verlassen, verfiel Dinorah dem Wahnsinn und irrte seither mit einer Ziege durch die Wälder. Kurz vor Ablauf der Frist starb Tomyk, konnte aber Hoel noch die geheimen Anweisungen zur Bergung des Schatzes weitergeben. 

Akt 1-3: Von Geisterfurcht geplagt, kehrt der Dudelsackpfeifer Corentin in seine Hütte heim und  wird von Dinorah & ihrer Ziege aufgeschreckt. Dann klopft Hoel an seine Tür, der für die Bergung des Schatzes einen Kompagnon sucht. Diese ist an die Bedingung geknüpft, daß, wer den Schatz als erster berührt, innerhalb Jahresfrist dem Tod verfallen ist. Hoel meint, in Carentin das geeignete Opfer gefunden zu haben und verspricht ihm die Hälfte des Schatzes, wenn er noch heute abend mit ihm losgeht. Beim Aufzug eines Gewitters erklingt das Glöckchen der Ziege als Signal zum Aufbruch, und auch Dinorah folgt diesem vertrauten Ton. Als sie den Rand einer finsteren Schlucht erreicht haben, tritt Dinorah zu dem verängstigten Corentin. Seine

Rede über den Schatz weckt in ihr die Erinnerung an ein altes Lied, in dem es heißt: Wer den Schatz zuerst berührt, stirbt in einem Jahr. Sie singt es Corentin vor. Dieser weigert sich also, als erster in die Schlucht zu steigen und will Dinorah für die tödliche Aufgabe mißbrauchen. Dinorah nimmt seine Worte wegen des ausbrechenden Gewitters gar nicht wahr. Da erklingt wieder das Glöckchen der Ziege, die auf einem Baumstamm die Schlucht überquert. Dinorah eilt ihr nach und verliert dabei ihr Halsband, das Hoel findet und sie daran als seine Braut erkennt. Als Dinorah sich über dem Abgrund befindet, schlägt ein Blitz in den Baum ein, und Dinorah stürzt vor Hoels Augen in die Tiefe. – Beim Sonnenaufgang erscheinen Hoel & Corentin. In seinen Armen hält Hoel die ohnmächtige Dinorah, deren Sturz durch einen Baum aufgehalten wurde. Er legt sie dort nieder, wo vor einem Jahr das Unwetter über die Prozession  hereingebrochen war. Als Dinorah erwacht, zeigt sich, daß der Schock ihre Erinnerung an die Ereignisse vor einem Jahr gelöscht hat, und sie glaubt, heute sei ihr Hochzeitstag, an dem sie aus einem bösen Traum erwache. Der Marienhymnus kündet die sich nahende Prozession an. Sie ziehen zur Kapelle und werden getraut. Als Corentin Hoel noch einmal nach dem Schatz fragt, winkt dieser ab. Die Liebe wiegt alles auf.

Giacomo Meyerbeer gelingt eine ausgepicht feine Komposition zu diesem verwunschenen, quasi „Heiligen“-Geschehen. Nur an ganz wenigen dramatischen Stellen am Ende wird seine Tonsprache bombastisch. Ansonsten setzt er auf viele Volks-und Hirtenweisen, die gekonnt ins kompositorische Geflecht eingebaut sind. Das große Orchester spiel über weite Strecken sehr zurückgenommen. Naturschilderungen haben auch einen entsprechenden Anteil. Dinorahs Hirtinnen-Weisen können sich aber auch in große Couplets & Arie wandeln, bei der auch orchestrale Virtuosität verlangt wird. Röhrenglocken & Harfen spielen eine eminente Rolle. Das Orchester der DOB spielt die 3 Akte mit großer Eloquenz. Dabei wird es von einem in dieser Musik lebendem und atmendem Dirigenten inspiriert und unterstützt: Enrique Mazzola, der mit viel Empathie und feiner Gestik sich für die Oper einsetzt. Der Chor unter Jeremy Bines seinen Teil zum Gelingen bei.

Die 2.Schäferin ist Karis Tucker, Stipendiatin aus New York, mit einem feinen hell timbriertem Mezzosopran. Die 1.Schäferin wird von Nicole Haslett mit schön animiertem Sopran und bereits ganz koloratursicher gesungen (beide in schwarz). Mit einem feinen gut geführten Tenor gibt Gideon Poppe einen Mäher. Den  Jäger gestaltet mit festem Baßbariton Seth Carico.

Philippe Talbot ist als Tenorbuffo der Carentin und kann mit seinem weich timbriertem Organ tenoral überzeugen.

Den Hoel übernimmt Regis Mengus mit hohem angenehm timbriertem Bariton, verbleibt aber in seinen Arien & Gesängen etwas blaß und inhomogen, was aber auch an der konzertanten Aufführung liegen könnte. 

Dinorah ist die junge spanische Ausnahmesängerin Rocio Perez, die von Anbeginn in ihrem Wahnsinn aufblüht, dabei herrliche Koloraturen, Fiorituren & Gesangskaskaden einflicht. Dabei kann sie auf ein edles sopraniges Timbre vetrauen, und im hellgrünem Kleid gibt sie auch eine schöne Gestalt ab. Von dieser ‚Dinorah‘ möchte man mehr und Szenisches erleben.

Friedeon Rosén

 

WIEN/ Staatsballett: „LUKÁCS / LIDBERG / DUATO“– dem Zeitgeist verschrieben

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Bildergebnis für wiener staatsballett duato
Foto: Ashley Taylor

Wiener Staatsballett:

„LUKÁCS / LIDBERG / DUATO“, 8.3. 2020– dem Zeitgeist verschrieben

Ein geschärfter Blick auf die Musikalität, die Empfindlichkeit, die musikalischen Zugänge der Choreographen des Dreiteilers „Lukács / Lidberg / Duato“. Ziemlich klar, deren Mentalitäten entsprechen dem heutigen Zeitgeist.

András Lukács und seine ästhetischen „Movements to Stravinsky“: Eine ausgefeilte Körpersprache zu Auszügen aus „Pulcinella“, „Apollon musagète“ oder dem Larghetto aus den Klavier-Lehrstücken für Kinder „Les cinq doigts“. Schöne Bilder, doch so ganz und gar drüber mit beinahe keinen Annäherung an die Intentionen von Strawinskys sehr diversen Aussagen.

Pontus Lidberg segelt mit seinem „Between Dogs and Wolves“ auf ähnlicher Linie: Ein erotisches Treiben, ein Hin und Her, lebendig und mit leicht grotesker Attitüde, doch nicht wirklich schlüssig, wird mit der Musik von Dmitri Schostakowitschs anspruchsvollem 10. Streichquartett (hier: in Streichorchester-Fassung) unterlegt. Manche Episode passt, doch Fragezeichen bleiben zurück.

Nacho Duato, der Arrivierteste in diesem Choreographen-Trio, hat sich Kammermusikalisches von Karl Jenkins für sein sensitives „White Darkness“ angeeignet – „Adiemus Variations“, aus dem 2. Streichquartett. Jenkins, Jahrgang 1944, Waliser und in Westeuropa sehr erfolgreich, schafft Klangbilder, die weniger mit inhaltlicher Substanz doch stimmungsmäßig zu den teils meditativen, teils skurrilen Sequenzen dieses getanzten Requiems hinführen. Getanzt? Alle drei Stücke werden vom Ensemble exzellent präsentiert, und die Tänzer auch finden auch starken Beifall beim Publikums. Doch einmal mehr: zu extra Vorhängen ist es nicht gekommen.  

 

Meinhard Rüdenauer

Attitude: This week’s recommendations: Mar. 7th, 2020

Film: LADY BUSINESS

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Filmstart: 13. März 2020
LADY BUSINESS
Like a Boss / USA / 2020
Regie: Miguel Arteta
Mit: Tiffany Haddish, Rose Byrne, Salma Hayek i.a.

Es gibt zu wenige Frauen in Führungspositionen, wird gewettert (meist von Frauen), und numerisch stimmt das sicherlich. Aber wenn die Lady Boss sich so aufführt wie Salma Hayek… (Wobei man ja mit beglücktem Schaudern noch an Meryl Streep in „Der Teufel trägt Prada“ zurück denkt. Das waren Zeiten, das war noch Niveau!) Kurz gesagt, eine Komödie über Frauen in der Geschäftswelt – und die keinesfalls überraschende Erkenntnisse, dass da nicht auf Samtpfoten, sondern mit ausgefahrenen Eisenkrallen agiert wird.

Zu Beginn scheint alles Satire auf eine strohdumme amerikanische Frauenwelt: Eine Welt in Rosa in dem Kosmetik-Salon, kreischende Weiber, geschmacklose Witze – eine dieser entsetzlich schrillen, überdrehten Komödien, die immer wieder aus den USA kommen und wo meist Männer jegliche Schamgrenze hinter sich lassen?

Nun, immerhin scheint es um beste Freundinnen zu gehen: Mel (die so blonde, so süßliche Rose Byrne) und Mia (die etwas harschere, kaffeebraune Tiffany Haddis): Sie haben sich ihr kleines Kosmetik-Imperium aufgebaut, aber irgendwann – eigentlich sehr bald – muss Mel, für die Ziffern zuständig, der Freundin gestehen, dass sie nicht nur pleite sind, sondern auch enorme Schulden haben.

Auftritt Salma Hayek als Geschäftsfrau Claire Luna, einerseits die vordergründige Parodie einer rothaarig-gelockten schrillen Latina, ganz Business, andererseits gerade in ihrer schamlosen Übertreibung eine Art Motor des Geschehens, denn die beiden Mädeln, um deren Freundschaft es in der Folge geht, sind ein bisserl fad.

Im Grunde hat man es handlungsmäßig (eher dürftig) nur mit den Intrigen von Claire Luna zu tun: Selbst total vereinsamt, weil sie einst ihre beste Freundin betrogen und ausgebootet hat, ist ihr die Bindung von Mel und Mia ein Dorn im Auge. Wenn sie deren Firma kauft, geht es ihr eigentlich nur darum, die beiden auseinander zu dividieren. Da lockt man mit Geld (denn Madame weiß: „Money changes everything“), da schickt man Konkurrenz ins Feld (die beiden Herren – Ryan Hansen, Jimmy O. Yang – dürfen, huch wie komisch, ach so schwul sein), da wird mit der Macht des neuen Besitzers alles möglichst Demütigende gefordert: eine so hässliche Geschichte, dass man glauben könnte, sie erzähle wirklich vom amerikanischen Geschäftsleben…

Es ist kein Spoiler zu vermerken, dass der Kitsch der Gefühle siegt, Gott sei Dank lassen sich die verwirrten Frauen auf die Dauer nicht einreden, dass „Geschäft und Freundschaft nicht zusammen geht“, und klar, dass sie nach einigen Irrungen und Wirrungen ihre Beziehung für wichtiger erachten als alles Geld. Sie widerstehen dem Druck, den man auf sie ausübt („You are my family and my home“, schmalzen sie einander an, „We are smart and love and respect each other“) – und das macht die Lady Boss ganz schön fassungslos: Salma Hayek kann das (und brüllt „Fuck!“, als am Ende sie dann ausgehebelt wird).

Nun ist dieser Film von großer Geschmacklosigkeit und in einem überzeichneten Comedy-Stil hingefetzt, der einen vernünftigen Europäer schaudern macht. Kurz, man kommt zur Erkenntnis, dass es Regisseur Miguel Arteta offenbar nicht um eine grausame Satire auf amerikanische Vorstellungswelten ging, sondern vielmehr darum, die hier herrschende Dummheit zu bedienen.

Schade, dass es für Salma Hayek, die auf der Leinwand schon Großes geleistet hat (und wäre es nur ihr Porträt der Frida Kahlo gewesen – aber das ist auch schon wieder fast 20 Jahre her!), keine besseren Rollen mehr gibt…

Renate Wagner

Film: NARZISS UND GOLDMUND

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Filmstart: 13. März 2020
NARZISS UND GOLDMUND
Deutschland / 2020
Regie: Stefan Ruzowitzky
Mit: Sabin Tambrea, Jannis Niewöhner, Uwe Ochsenknecht, Branko Samarovski, Johannes Krisch, Sunnyi Melles, Jessica Schwarz, Georg Friedrich, Henriette Confurius u.a.

Man kann davon ausgehen, dass Literaturfreunde „Narziß und Goldmund“ von Hermann Hesse kennen, und je jünger sie bei der Lektüre waren, umso ergriffener mögen sie gewesen sein. Aber auch aus kritischer Distanz betrachtet, hat man es mit einem großen, großartigen Werk zu tun, das Lebensentwürfe und Gefühlsströme auf höchstem Niveau entfaltet.

Dass es äußerlich eine Historiengeschichte aus dem Mittelalter ist, mag eine Verfilmung erschweren, kann doch der Bilderbogen möglicherweise die Aussage ersticken. Und man muss so sehr begreifen, wie Narziß, der durch und durch geistige, vergeistigte Mensch, der es schließlich zum Abt seines Klosters bringt, und Goldmund, der ins Leben ausbricht, um Menschen zu begegnen, Frauen zu lieben und Künstler zu werden, quasi „komplementär“ zusammen gehören, dass ihre Liebe zu einander die entscheidende Kraft ist, die sie beide innerlich zusammen hält. Es ist, natürlich, auch eine esoterische Geschichte, die sich über die Erdenschwere hinaus schwingt.

Regisseur Stefan Ruzowitzky erzählt erst einmal die äußere Geschichte, und er hat sich entschieden, das nicht „kritisch“ (wie heutzutage üblich), sondern mit allem Respekt zu tun. Nur selten schweift das Geschehen in „irrealen“ Bildern über die fassbare Handlung hinweg. Dass man ihm vorwerfen könnte, seine Geschichte sei „zu schön“ dargestellt in einer grausamen Zeit, wäre ein Einwand, der Hesses Intentionen missverstände. Der wollte keinen akribischen historischen Roman bieten, sondern die Geschichte zweier Männer, die er unsterblich gemacht hat. Wer Ruzowitzkys Film sieht, bekommt einen sehr guten Eindruck davon, selbst wenn er das Buch nicht kennt…

Es gibt Narziß und Goldmund zuerst als kleine Jungen, der eine ist schon im Kloster und ein Musterschüler. Der Abt Daniel (Branko Samarovski – einer der vielen glänzenden österreichischen Schauspieler, die Ruzowitzky besetzt hat) macht sich Sorgen, dass er mit seinen rein geistigen Interessen vereinsamen könnte. Da bringt ein wütender Vater (Johannes Krisch mit seiner ganzen Lust an hässlichen Charakteren) einen Jungen ins Kloster, den er los werden will: Goldmund, von dem er nicht glaubt, dass er sein Sohn sei, dessen Mutter war nämlich angeblich eine Hure. Er wird das Kind mit dem lebenslangen Komplex zurück lassen, die Mutter zu suchen, die ihn verlassen hat… Abt Daniel vertraut den kleinen Goldmund dem verschlossenen Narziß an: Und siehe da, es gelingt dem Kind in seiner Aufrichtigkeit und seinem liebenden Herzen den anderen „aufzuschließen“…

Erwachsen haben die beiden die Gestalt von idealen Interpreten angenommen: Sabin Tambrea (der einen Hauch Exotik womöglich seiner rumänischen Herkunft verdankt) ist Narziß, der den strahlenden, temperamentvollen Goldmund (Jannis Niewöhner) wegschicken muss, obwohl es ihm das Herz zerreißt: Aber dieser ist nicht für das Klosterleben geschaffen, er muss leben, unter Menschen, muss in jeder Frau seine Mutter suchen…

Goldmunds Erlebnisse in einem hier nicht ganz so finsteren, aber durchaus grausamen Mittelalter beherrschen einen Großteil der Handlung – wie er als Holzschnitzer zum Künstler wird, wie er immer und immer wieder über Frauen „stolpert“ (im vollen Wortsinn), wie er seine wahre große Liebe verliert, wie er durch Pest und Verfolgung (Georg Friedrich spielt einen von ihm betrogenen Fürsten) gerade noch das Kloster erreicht, wie er mit seinem ultimativen Kunstwerk, einem Altar, dessen Heilige die Züge der Menschen seines Lebens tragen, scheitert, weil Bruder Lothar (André M. Hennicke), der ihn schon als Kind gehasst hat, einen „freien“ Menschen wie ihn nicht erträgt…

Das sind zwei interessante Kinostunden, voll von Handlung und auch immer wieder bemerkenswerten darstellerischen Leistungen bis in die kleinsten Rollen (Sunnyi Melles als alte Gräfin, die tobt, weil sie entweder an der Pest oder am Alter sterben wird, oder Jessica Schwarz als Jüdin, die Goldmund etwas von der Illusion nimmt, seine Mutter mit Hilfe eines Amuletts finden zu können).

Der Film ist nicht oberflächlich bebildert, nicht künstlich aufgeraut und nicht dramatisch „überinszeniert“, und er scheut auch vor der Gefühlstiefe nicht zurück, die in der Beziehung der beiden Männer wohnt. Es ist die Ausgewogenheit, die Stefan Ruzowitzkys Interpretation stark macht, und wenn er das Bedürfnis weckt, nachher noch einmal zu dem Buch zu greifen und dieses Meisterwerk nachzulesen – welchen besseren Effekt könnte er erzielen?

Renate Wagner


STUTTGART/ Mercedes Benz-Museum: 10 JAHRE OPERNSTUDIO – GALAKONZERT

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Foto: Matthias Baus

Galakonzert 10 Jahre Opernstudio der Staatsoper Stuttgart im Mercedes-Benz-Museum/STUTTGART am 9.3.2020

Mit mitreisssendem Elan

„Stars von morgen heute schon erleben“ – unter diesem vielsagenden Motto stand das eindrucksvolle Galakonzert des Opernstudios der Staatsoper Stuttgart, das es gemeinsam mit dem Opernstudio der „opera national du rhin“ Straßburg im Atrium des Mercedes-Benz-Museums präsentierte. Begleitet von den überaus versierten Pianisten Alan Hamilton, Davide Rinaldi und Karolina Halbig wurde diese Veranstaltung zu einem überwältigenden Fest der Stimmen. Anna El-Khashem (Konstanze), Charles Sy (Belmonte), Claudia Muschio (Blonde) und Christopher Sokolowski (Pedrillo) gestalteten das Quartett „Ach Belmonte! Ach mein Leben!“ aus der Oper „Die Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amdeus Mozart mit viel Klangfarbengespür und glanzvollen Kantilenen. Selbst die liedhaften Züge wurden dabei nicht verleugnet.

Wechselnde Stimmungsbereiche erschienen mit feiner dynamischer Abstufung. Von Maurice Ravel erklang dann die Arie „Oh, la pitoyable aventure!“ aus „L’Heure espagnole“, wo Eugenie Joneau (Conception) den Parlando-Ton und den Geist der Opera buffa sehr gut traf. Claudio Muschio (Amina) und Charles Sy (Elvino) ließen das Duett „Son geloso del zeffiro errante“ aus der Oper „La Sonnambula“ von Vincenzo Bellini mit überquellender Melodik und kristallklarer Chromatik erstrahlen. Sehr überzeugend gestaltete auch Tristan Blanchet (Gerald) die Arie „Prendre le dessin d’un bijou – Fantaisie aux divins mensonges“ aus der Oper „Lakme“ von Leo Delibes. Hier überraschte vor allen die harmonische Durchsichtigkeit die Zuhörer. Anna El-Khashem (Ilia) und Alexandra Urquiola (Idamante) zeigten beim Duett „S’io non moro a questi accenti“ aus der Oper „Idomeneo“ von Wolfgang Amadeus Mozart viel Einfühlungsvermögen und Sinn für musikalische Seelenschilderung. Claudia Muschio (Marie), Christopher Sokolowski (Tonio) und Jasper Leever (Sulpice) begeisterten das Publikum beim spritzigen Trio aus der Oper „Die Regimentstochter“  von Gaetano Donizetti. Der Charakter der Opera comique und die rhythmische Präzision blitzten hell hervor.

Ein Höhepunkt waren die Ausschnitte aus George Bizets Oper „Die Perlenfischer“ mit Julie Goussot (Leila), Thomas Kiechle (Nadir) und Jacob Scharfman (Zurga), wo der Einfluss der italienischen Oper eindringlich hindurchschimmerte. Vor allem die farbige Harmonik zeigte viele grandiose Facetten. Ausgesprochen überzeugend interpretierten Elliott Carlton Hines (Dandini) und Jasper Leever (Don Magnifico) das reizvolle Duett „Un segreto d’importanza“ aus der Oper „La Cenerentola“ von Gioacchino Rossini, wo ein komödiantisches Feuerwerk triumphierte. Von Maurice Delage erklangen die stark von der impressionistischen Welt Maurice Ravels beeinflussten „Quarte poemes hindous“ mit der hervorragenden Mezzosopranistin Claire Peron. Außerdem begeisterten Alexandra Urquiola (Beatrice) und Charles Sy (Benedict) beim Duett „Comment le dedain, pourrait-il mourir“ aus der Oper „Beatrice et Benedict“ von Hector Berlioz. Die dramatischen Effekte wurden ausgezeichnet herausgearbeitet.

Von Gioacomo Puccini erklang das leidenschaftlich vorgetragene Quartett „Addio dolce svegliare alla mattina“ aus „La Boheme“ mit Julie Goussot (Musetta), Anna El-Khashem (Mimi), Tristan Blanchet (Rodolfo) und Elliott Carlton Hines (Marcello). Man spürte, dass sich die überaus  bewegliche Rhythmik in keine starren Metren pressen lässt. Zum Abschluss folgte noch der „Epilogue“ aus „The Rake’s Progress“ von Igor Strawinsky, wo Anna El-Khashem (Anne), Christopher Sokolowski (Tom), Elliott Carlton Hines (Nick), Alexandra Urquiola (Baba) und Jasper Leever (Father) mit mitreissendem Elan dieses „Leben eines Wüstlings“ Revue passieren ließen. Die neoklassischen Einflüsse und Assoziationen zur Barockoper und zu Mozart, Rossini und Tschaikowsky waren hier nicht zu überhören. Die polyphone Satzweise siegte auch bei der Zugabe  „Brindisi“ aus der Oper „La Traviata“ von Giuseppe Verdi, wo das gesamte Ensemble nochmals mit furioser Geschlossenheit und Parlando-Akzenten auftrumpfte.

Die zur „Nachwuchssängerin“ gekürte Anna El-Khashem war kurzfristig für die erkrankte Soapranistin Carina Schmieger eingesprungen. Jubel.

Alexander Walther

ATHEN/ Onassis Stegi-Theater: MOBY DICK – Musical von Dimitris Papadimitriou. Uraufführung

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Onassis Stegi im Pallas Theater: MOBY DICK – Musical von Dimitris Papadimitriou. Uraufführung

Besuchte Vorstellung am 8. Maerz 2020

Hermann Melvilles Roman „Moby Dick“ ist ein Meisterwerk der Weltliteratur. Das Buch wurde mehrfach verfilmt, insbesondere John Hustons Film von 1956 mit Gregory Peck als Kapitaen Ahab erlangte Beruehmtheit. Es bringt einige Herausforderungen mit sich, das Werk auf die Buehne zu bringen. Onassis Stegi praesentiert nun als Welturauffuehrung das Musical „Moby Dick“ von Dimitris Papadimitriou im grossen und traditionsreichen Pallas Theater. Es ist, dies sei vorweg gesagt, ein eindrucksvolles Spektakel.

Der Librettist und Komponist Dimitris Papadimitriou bleibt mit seinem Musical nahe am Original. Er laesst Ismael, den Erzaehler in Melvilles Romans, als Rahmenfigur der Handlung in Erscheinung treten. Das Geschehen wird detail- und personenreich vor dem Zuschauer ausgebreitet. Papadimitriou versteht es gekonnt, die unterschiedlichen Interessen der Maennergemeinschaft auf dem Schiff fassbar zu machen. Der Fanatismus Ahabs im Kampf gegen den weissen Wal Moby Dick erfaehrt eine praegnante Zeichnung. Papadimitrious Musik weist einige starke Melodien auf und ueberzeugt insbesondere in der Einarbeitung unterschiedlicher traditioneller Musikstile. Die Partitur, welche das Geschehen durchgaengig begleitet, weist bei alledem etwas Opernhaftes auf. Szenisch wartet die Athener Erstproduktion mit dem Einsatz grosser technischer Mittel auf. Der Buehnenbildner Manolis Pantelidakis und die Kostuembildnerin Ilenia Douladiri belassen das Geschehen im 19. Jahrhundert und bringen eine praechtige Schiffsarchitektur und opulente Kostueme auf die Buehne. Was unter der technischen Leitung von Vasilis Leonidopoulos an grossformatigen 3D-Effekten resp. Hologrammen vor den Augen des Publikums praesentiert wird, ist bemerkenswert und eindrucksvoll. Tatsaechlich erweitert in diesem Fall die Technik die kuenstlerischen Ausdrucksmittel. Die Gewalten der Natur wie das unheimliche Auftreten Moby Dicks werden so in starke Bilder uebertragen. Dabei finden Handlung, Szene und Musik zu einer bemerkenswert geschlossenen Einheit. Bemaengeln laesst sich allenfalls die Laenge der Auffuehrung von etwas mehr als dreieinhalb Stunden. Ein paar Kuerzungen wuerden dem Fluss des Geschehens mehr Dynamik verleihen. Dimitris Papadimitrious ambitionierte Bearbeitung und Vertonung von Melvilles Roman ist gleichwohl eine gelungene Sache.


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Fuer die aufwendige Produktion stehen erste Kraefte zur Verfuegung. Das zehnkoepfige Orchester sorgt fuer einen ebenso praezisen wie akzentuierten Klang. Die Saenger auf der Buehne werden von einem grossartigen Babis Velissarios als Kapitaen Ahab angefuehrt. Seine eindrueckliche Rollengestaltung macht den Wahn und die Rachsucht der Figur koerperlich und vokal greifbar. Daneben ueberzeugen in den weiteren solistischen Rollen: Thodoris Voutsikakis, Nikolas Karagkiaouris, Vasilis Kourtis, Ivan Svitailo und Emilianos Stamatakis. Ferner bieten die Saenger der Mannschaft eine sehr gute Gesamtleistung. Das Maenner-Musical „Moby Dick“ zeigt wie zeitgenoessisches, populaeres Musiktheater klingen und ausschauen kann.


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Das Publikum spendet am Ende viel Beifall fuer alle Beteiligten.

Ingo Starz (Athen)

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: I MASNADIERI /Die Räuber. Premiere

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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: I Masnadieri /Die Räuber

„Was kümmert’s den Mond, wenn ihn der Mops anbellt!“ 

Melodramma tragico in vier Akten (1847)

Komponist Giuseppe Verdi · Libretto Andrea Maffei nach Friedrich Schiller „Die Räuber“
Neuproduktion 8. März 2020

Einlassungen von Tim Theo Tinn

„Was kümmert’s den Mond, wenn ihn der Mops anbellt!“. Außerordentlicher Gesang über bemühtem Orchester und defizitärer Szene!


 Ensemble, Chor, Statisterie  © Wilfried Hösl

Einheitsbühnenbild: rd. 3 Stunden Schwarzes – Derivat/Ersatz für folgende Handlungsorte gem. Vorlage: Schänke an der sächsischen Grenze, Schloss in Franken, Schlafraum im Schloss, Gelände bei der Schlosskapelle, Böhmische Wälder bei Prag, Gelände beim gräflichen Schloss, Wald bei den Ruinen eines Burgverlieses, Zimmerflucht im Schloss.            
Das kann man besser machen!                                                                                                                                            

Sängerisches Wunderweben Aller in ätherischem Glanz ist sensationell. Wurde vom Rezensenten Mancher letztens im klassischen Gesangs-High-End (maximal mögliche Qualität: optimaler Vortrag, verschwenderische Qualität) hinterfragt, sind nun alle dort angekommen.

Diana Damrau (Amalia) entwickelt aus betörender Mittellage einen wunderschönen Kern mit Weichzeichnung in allen Lagen – eine überragende Spinto mit überreich (neuem?) farbigem vitalem Timbre, eine so bisher nicht erlebte Weltstimme.

Charles Castronovo (Carlo): herrliches Material, fester großer Tenor, schöner Kern, massive schöne Stimme in allen Lagen, kann dynamisch durch alle Register mit Esprit und grenzenloser Öffnung nach oben und unten gleiten. Weltklasse mit besonderem Timbre und ganz großem elastischem Vermögen vom Lyrischen bis Spinto, attraktive Leichtigkeit bei geerdet beweglichem Kern.

Mika Kares (Massimiliano) ist ein nobel profunder Bass. Die Stimme hat sich nun auch in die Weltliga begeben. Da stimmt alles. Ausdruck, Stimmführung, schwerelose Öffnung nach unten zum wohlfälligen Orgeln. Solche perfekten Stimmen berühren.

Igor Golovatenko (Francesco) ist ein außerordentlicher Edel-Bariton. Auch hier öffnet sich überirdischer Kosmos. Ein rasanter Kern, fest geerdet in aller Elastizität mit feinem Timbre singt, singt selbstverständlich in Perfektion. Das ist große Kunst aus Begabung, Ausbildung und empathischer Umsetzung.

Kevin Conners (Arminio) seit Jahrzehnten als Ensemblemitglied in gefühlt jeder Produktion. Auch bei ihm wirkte die tenorale Öffnung zu allen Lagen noch leichter und weiter, mit dem „Wunderlich“-Moment einer samt überstrahlenden Höhe – jedes Mal eine Freunde, wenn der Hochqualifizierte auf der Höhe seiner Möglichkeiten auch als ausgezeichneter Darsteller brilliert.

Callum Thorpe (Moser): der junge Bass (singt bald in München den Komtur/Don Giovanni!) reiht sich nahtlos in die allerbeste sängerische Qualität der gesamten Besetzung ein. Alles wird edel, mit ideal ausgelotetem Kern durch satte Basswelten geführt. Da wartet eine große Zukunft.

Dean Power (Rolla) ist ein Bilderbuchtenor. Auch in dieser überschaubaren Partie erlebt man eine hochqualifizierte Leistung. Mit den jetzigen stimmlichen Möglichkeiten können auch größere Aufgaben mit Bravour erfüllt werden.

Chor: allerbeste mächtig differenzierte Feinzeichnung, wunderbare Offenbarung von Verdis musikalischem Kosmos mit tiefer Berührung.

Bildergebnis für münchen bayerische staatsoper i masnadieri
Ensemble und Chor der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl

Räuber als Horror- /Zombie –Meute = Untote: seelen- u.  willenlose Wesen                                               
Gag oder handlungsfördernde Aussage? Gem. Süddeutscher Zeitung will Erath die Oper besser machen, als sie ist, sieht dramaturgisch Einiges als falsch: „Aber wenn es da steht, heißt es nicht, dass es so gemeint ist.“ Bedeutungsschwangere Allegorie? Schnick-Schnack einer Simplifizierung!

Die bemühte Orchesterleistung wirkt adäquat in Tempi und Dezibel ( Piano/Pianissimo im Ensemblegesang ist ausgezeichnet). Die dynamische Feinzeichnung bleibt unbefriedigend.

Der Librettist Maffei hat einige testosterongeladene Sturm und Drang-Momente der Schiller–Vorlage gestutzt. Verdi hat die Vorlage im Sturm und Drang nicht ignoriert, sondern in emotionsauslotenden Noten geprägt. Diese Sichtung ist in der Münchner Neueinstudierung einer musikalisch – ordentlich kognitiven Interpretation ohne überbordendes Drängen, Verzehren, ohne Abgründe in kulinarische Wohlanständigkeit gewichen.

Es gibt Dirigate, da erzaubert das Orchester keinen Klangteppich als geschlossenen ganzheitlichen Organismus, sondern eher ein Schweben, Leuchten musikalischer Mosaiken.

Da scheint nahezu jedes Instrument, jede Instrumentalgruppe, auch die Untergruppen (s. https://ronaldkah.de/orchesteraufbau/) singulär zum orchestralen Gesamtausdruck zu führen.  Dominanz der Instrumente wirkt wechselseitig abgestuft.

Differenzierte musikalische Impulse, z. B. individuell zurückgenommene oder auch betonte Dezibel, kleine Tempovarianten, der Zauber eines durchsichtigen Klanges aus z. B. Streichern in schwebenden musikalischen Linien, können Universen schaffen. Man erarbeitet also zahlreiche musikalische Einzellinien im Rahmen der Partitur zu einem universalen Klangmosaik (s. Petrenko).

Die musizierte Alternative in der Neueinstudierung bietet ordentliches kulinarisches Miteinander, vernachlässigt musikalische Feinzeichnung. Ein guter Klangteppich kann gefallen, ein orchestrales Mosaik kann verzaubern.  

Allgemeiner Ausblick: als „Megageile Banditenshow“ offiziell angekündigte Musiktheateraufführung in Dresden zeigt den Weg inszenatorischen Zeitgeistes aus schon lang gepflegtem optischem Schmuddel/ Trash – Milieu nun auch in derb prollig versiffte Sprache, die auch (nach Harald Schmidt) „Unterschichten – Fernsehen“ unterbietet.

Musiktheater im Jahre 2020 wird von und mit selbsternannten Kulturexegeten immer vulgärer, platter, simpler strukturiert für Simpel, die nach des „Kaisers neuen Kleidern“ ihre Betrachtungen beweihräuchern (Märchen zu Leichtgläubigkeit und unkritischer Akzeptanz angeblicher Autoritäten und Experten, die erlogene Bekleidung eines tatsächlich nackten Monarchen bestätigen). 

Das ist dann pseudointellektuelle sprachliche Pornografie, wenn die Ofenlegung menschlicher Ausdrucksformen undifferenzierte Primitivität kennzeichnet.

In dieser Rezension wird die szenische Einrichtung der Neuproduktion in München als schlicht und simpel bewertet.

Inhalt, Besetzung etc. gem. Bayer. Staatsoper: https://www.staatsoper.de/stueckinfo/i-masnadieri-die-raeuber/2020-03-26-19-00.html

Informationen zu Schiller’s Räubern:   https://de.wikipedia.org/wiki/Die_R%C3%A4uber

Ein szenischer Offenbarungseid in Deutungsarmut hangelt sich durch das Libretto in einem Verschiebebahnhof rein und rausfahrender großer Tische eines mglw. ewigen Galadinners. Es bleibt bei mehr semikonzertanter/halbszenischer Nummernoper. Szenische Intentionen sollen offensichtlich in Begleittexten konkretisiert worden sein, auf der Bühne kaum.

Nichtssagendes Jugendstil-/Gründerzeit-Ambiente verlagert die Geschichte aus dem 18. ins 19. Jahrhundert, eliminiert damit die historische Anbindung an die existenziellen Themen der Vorlage: z. B.  Aufklärung https://de.wikipedia.org/wiki/Aufkl%C3%A4rung , Freiheit, Mündigkeit usw. (s.u.)

Jugendstil und Gründerzeit verortet ganz andere existenzielle Themen und macht die Aufbereitung beliebig:

https://de.wikipedia.org/wiki/Jugendstil

https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCnderzeit

Eine Überzeitlichkeit könnte der Beschauung die Schwelle zur Surrealität (sur la réalité – über der Realität) öffnen – s. Fußnote TTT‘s Musiktheaterverständnis.

Da wird also ein Thema erfunden – das weder bei Verdi noch bei Schiller existiert. „Geniale“ Regisseure müssen heute wohl Koryphäen wie Schiller und Verdi verbessern. So erzählt der Regisseur die Geschichte von Absenz der toten Mutter, auch wenn diese in keinem Text, keinem Ton, keiner Beschreibung vorkommt.

Man erwirkt fabulierte Yellow-Press Themen, statt die existenziellen Themen Schillers und Verdis Komposition im Hier und Jetzt zu reflektieren. Insbesondere bei so selten gespieltem Werk wie Verdi’s Masnadieri, erscheint es ignorant und selbstverliebt, insbesondere bei mannigfaltigen handwerklichen Fehlern (z.B.  historische Einbindung, Text-Korrespondenz zur tatsächlichen optischen Bebilderung, dramaturgische Verflechtungen, Rampensingerei, etc.).

Anker der Hilflosigkeit sind vielfältige aufgesetzte Versatzstücke erhoffter Wirksamkeit (s. folgende Abbildung) in Anbiederung nach „Kaisers neuen Kleidern“, die andernorts ankamen, in der Hoffnung deutungswütige Kritiker zu intellektuellen Höhenflügen zu bewegen. Tatsächlich erlebt man ja immer mal z. B. „10 Sinngebungen von 5 beflügelten Rezensenten“.

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 Mika Kares, Charles Castronovo  Statisterie © Wilfried Hösl                                                                                  

Hirsch, 2 Söhne, eine Mutter mit Kind (?)Handlungsimmanent Vater, Söhne, etc.???                                           
Nette Deko oder bedeutungsschwangere Allegorie? Deko-Schnick-Schnack einer Simplifizierung!

Da es unnötig erscheint, unwichtiges, unstimmiges Themengemurkse differenziert zu beleuchten, betrachte ich nur die Tötung Amelias (Francesco in Unterhose mit Strumpfhaltern beim Verführungsversuch Amelias hat natürlich schon besonderen Tiefengang).

Amelia erkennt die Aussichtslosigkeit ihre Liebe zu Carlo in eine lebenswerte irdische Zukunft zu führen und bittet Carlo im Schiller-Verdi-Sturm und Drang–Modus um den Tod.

Und was macht Carlo auf dem Tisch in flinker Regieanweisung? Er rammt seiner großen Liebe – Hau – Ruck – den Dolch in die Seite, schlachtet seine Geliebte in gemeiner „Jack the ripper“ – Manier in kaltem, brutalem Mord.

Bittet Amelia darum brutal gemordet zu werden? Kann Carlo seine große Liebe schlachten?  Tatsächlich bittet Amelia ihren Geliebten doch gleichsam um eine Liebesbezeugung, sie aus diesem weltlichen Kosmos zu befreien – um Hilfe beim zehrenden Übergang in neue Welten (sur la réalité). Dieses Verlöschen muss doch zärtlich, liebe – und hingebungsvoll sein, beide vereinen sich in der Konsenswelt zum letzten Mal. Diese Vereinigung muss zwingend das Portrait von zartem, behutsamem Auflösen einer Virginität sein, in verklärender Überhöhung!

Zu Behauptungen der Ferne von Verdis Komposition zu Schillers Vorlage:

Verdi nutze vier bekannte Dramen Schillers: Die Räuber (1781), Kabale und Liebe (1784), Don Karlos (1787) , Die Jungfrau von Orleans (1801). Daraus wurden Giovanna d’Arco (1845, Jungfrau von Orleans), I masnadieri (1847,  Räuber), Luisa Miller (1849, Kabale und Liebe) und Don Carlos (1867).  

Schiller (1759 – 1805, Arzt, Dichter, Philosoph und Historiker) schieb die Räuber mit 22 Jahren, Verdi (1813 – 1901) war 34 bei der Komposition.                                                                                   

In I masnadiere/die Räuber werden Sturm-und-Drang” (Handlung um 1770) Aufklärung und Freiheitsdrang in nationaler Rebellion sowie auch gesellschaftlich familiärer Umklammerung dramatisiert. Zentral ist der Konflikt von Verstand und Gefühl, das Verhältnis von Gesetz und Freiheit.

In der Oper blieb der Librettist weitgehend beim Drama. Kürzungen/Änderungen sind z. B., dass Amalia vor Francesco (Franz) in den Wald flüchtet, Carlo (Karl) trifft und erkennt.

Carlo erbittet unerkannt den Segen des Vaters, nach dessen Befreiung. Francesco begeht keinen Selbstmord.

Carlo trägt somit in der Oper keine Verantwortung für den Tod des Bruders.

Entschärfter Text:  Carlo beruft sich z. B. zu Beginn auf den Bezwinger der Römer, den Cheruskerführer Arminius (Hermannsschlacht, 9 n. Chr.).

Durch Zensur wurde die Auflehnung gegen gesellschaftliche Umstände weniger radikal und abschätzig im Vergleich zur kirchlichen Institution.

Drama:

«Ah! daß der Geist Herrmanns

noch in der Asche glimmte! – Stelle

mich vor ein Heer Kerls wie ich, und

aus Deutschland soll eine Republik

werden, gegen die Rom und Sparta

Nonnenklöster sein sollen.

 

Oper

Dass in der kalten Asche meiner

Väter / Doch noch glühte vom Geiste

des Arminius ein Funke! / Ich machte

die Deutschen alle von Tyrannei so

frei, dass neben ihnen / Auch Sparta

und Athen nur Sklaven schienen.

Schillers Sturm und Drang“ erscheint bei Verdi in unmittelbarer sinnlicher Musik.  Veränderungen, Extrakte im Opernlibretto verdichten, steigern, intensivieren. Die Aufklärungskritik Schillers bleibt.

Immanuel Kant 1784: „…. ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines Andern zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines Anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit, und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die, von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“

Dieter Borchmeyer (geb.1941) “Mündigkeit . . . ist die rechtliche Befugnis, seine eigenen Interessen selbst wahrzunehmen, verbindliche Rechtsgeschäfte abzuschließen und die politischen Bürgerrechte im Rahmen der jeweiligen Rechtsordnung als Gleicher unter Gleichen auszuüben.”

Thomas Mann wünscht 1955 : „…,dass von Schillers sanft-gewaltigem Willen etwas in uns eingehe: von seinem Willen zum Schönen, Wahren und Guten, zur Gesittung, zur inneren Freiheit, zur Kunst, zur Liebe, zum Frieden, zu rettender Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst“. Das war einmalmal ursächlicher Inhalt darstellender Theaterkunst! Soll das tatsächlich ins „Megageile“ abdriften??

Tim Theo Tinn 9. März 2020

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt, keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zu haben. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

WEIMAR/ Galerie Profil: Wieland Förster, PLASTIK ZEICHNUNG GRAFIK

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Wieland Förster, PLASTIK ZEICHNUNG GRAFIK

Eine Ausstellung, gewidmet dem Bildhauer zum 90. Geburtstag

Die Galerie Profil Weimar ehrt den Bildhauer Wieland Förster und gratuliert ihm mit einer Ausstellung zum Jubiläum noch bis zum 19. März 2020.

Am 12. Februar war der 90. Geburtstag von einem der herausragenden figürlichen Bildhauer der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – Wieland Förster. Sein in fünf Jahrzehnten entwickeltes Werk mit seiner unverwechselbaren und ausdrucksvollen Figurensprache ist ein eindeutiges Bekenntnis für den Menschen, welches ihm, aus der eigenen Biografie entstanden, zum essentiellen Hauptthema wurde. Der in 1930 Dresden geborene Wieland Förster erlebte als Jugendlicher die Schrecken und das Leid, was den Menschen durch den zweiten Weltkrieg widerfuhr, er erlebte die Bombennacht am 13. Februar 1945 als Fünfzehnjähriger und sah die Zerstörung von Menschen und seiner Heimatstadt. Durch persönliche Missgunst eines Funktionärs landete er 1946 unschuldig in einem sowjetischen Speziallager, welches er lediglich einem glücklichen Umstand verdankend, 1950 verlassen konnte, allerdings mit viel Leiderfahrung und gebrochener Gesundheit. Sein Ent- schluss, als bildender Künstler fortan Zeugnis abzulegen vom Menschen im 20. Jahrhundert, war ihm nicht nur innere Verpflichtung. Er hat der Gesellschaft mit seinem Werk viel Wertvolles hinzugefügt und hat uns bereichert, sowohl als Bildhauer als auch als Schriftsteller. Vielerorts ist das Werk Försters in Museen und im öffentlichen Raum sichtbar und seine Veröffentlichungen von hoher literarischer Qualität belegen dessen Wahrhaftigkeit.

Galeristin Elke Gatz-Hengst vor der Plastik Hero              (Foto O. Schnürpel)

Der ab Ende der 50er Jahre in Berlin lebende Förster gehörte schon sehr früh zu den herausragenden Bildhauern, jedoch nie zu den in der DDR staatstragenden Künstlern. Im Gegenteil, er wurde wegen seiner humanistischen und systemkritischen Haltung von 1968 bis 1973 mit einem Ausstellungs- und Verkaufsverbot belegt. Erst 1974 in einer kurzen Phase der Liberalisierung des SED-Regimes und durch Vermittlung von Konrad Wolf (damaliger Präsident der Akademie der Künste der DDR) wurde er als ordentliches Mitglied in die Akademie der Künste aufgenommen und später einer ihrer Vizepräsidenten, zuständig für die Meisterschüler-Ausbildung.1985 wurde ihm die Professur zuerkannt. Nach Auflösung der DDR trat er 1991 wegen nicht ausreichender Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit aus der Akademie/Ost aus. Im selben Jahr wurde er Mitglied des P.E.N. Zentrums (Ost). 1996 ist er Mitbegründer der Neuen Sächsischen Akademie der Künste in Dresden.

In den 90er Jahren widmete sich Förster den großen Mahnmalen für die Opfer von Unmenschlichkeit, Willkür und Gewalt. So entstand u.a. 1993 „Der große trauernde Mann“ für die Opfer der Bombennacht seiner Heimatstadt Dresden. Seine Mahn- und Opfermale sind trotz der ihnen innewohnenden Leiden und Expressivität von hoher geistiger Sensibilität und einer gewissen Zartheit. Dem gegenüber steht die zweite herausragende Gruppe im Schaffen des Bildhauers – die weiblichen Figuren als Verkörperung von Leben und Natürlichkeit, von Sinnlichkeit, Schönheit und Eros.

 

Einblick III,  (Foto O. Schnürpel)

Genau diesem Aspekt seines Schaffens ist die Ausstellung seiner Weimarer Galerie gewidmet. Die Galerie Profil Weimar vertritt Förster seit nunmehr fast 30 Jahren. ‚In all den Jahren wurden neben Förster auch immer wieder andere bedeutende Künstler wie zum Beispiel Alfred Hrdlicka ausgestellt. In ihren Themen sind sich die beiden verbunden, jedoch unterschiedlich in ihrer Expressivität.

Weimar hat schon immer eine große Anziehungskraft auf Wieland Förster ausgeübt. Schon 1988 wurde die „Hommage á Schiller“ vor dem Neubau des Schillermuseums aufgestellt. Bezugnehmend auf die Rede von Thomas Mann 1955 in Weimar, war ihm vor allem der Freiheitsgedanke Schillers Grundlage zu dieser Plastik.

Einer Idee Försters folgend, hat die Galerie Profil Weimar bei einer Ausstellung 2001seine Bronzeplastiken direkt vor dem Schillermuseum und in der Innenstadt aufgestellt. So etwas hatte Förster als sehr wirksam empfunden, als er bereits 1990 seine Ausstellung bei der BAWAG Foundation in Wien hatte. Der öffentliche Raum als zwangsläufige Begegnung mit künstlerischen Werken spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle, gerade wieder in heutiger Zeit.

 

Ebenfalls aus diesem Grunde wurde 2017 zum 500. Jubiläum der Reformation durch Initiative der Galerie Profil Weimar an der dortigen Herderkirche die Bronzeplastik von Martin Luther angebracht, für die ein Verein heute noch um Spenden wirbt (www.lutherfuerweimar.de). Die Porträtplastik des Reformators schuf Wieland Förster 1981/82. Sie ist eine von vielen entstandenen Porträtplastiken in seinem Werk, in denen er von vielen ihm wichtigen Kulturschaffenden ihre Individualität und Schöpferkraft äußerst direkt und beeindruckend vermittelt. Als Beispiele dafür seien hier die Porträts von Jean Genet und Elfriede Jelinek genannt (derzeit zu sehen im Angermuseum Erfurt).

Mittlere Daphne II  (Foto O. Schnürpel)

In der Weimarer Galerie-Ausstellung sind derzeit eine große Zahl von Bronzen, Zeichnungen und Grafiken zu sehen und zu erwerben, die für Sammler interessant sind, die dem Thema von Sinnlichkeit, Liebe und Eros nachgehen.   Den Torsi von Daphnen, Mänaden und Niken sind Gruppen von Paaren und Liebespaaren gegenübergestellt. Eine andere Gruppe dreht sich um die sogenannten „Einblicke“ (Foto Einblick II, 1976 Bronze, oben), die einen wesentlichen Teil der weiblichen Akte ab 1970 in Försters Werk ausmachen. Es sind dies Einblicke auf einen Teil des Leibes, den weiblichen Schoß als Sinnbild von Liebe, Fruchtbarkeit und neu entstehendem Leben. Diese Sichten auf den weiblichen Leib lassen ebenso raumgreifende Vorstellungen von Landschaften, von Hügeln, Schluchten und Höhlen entstehen. Mit diesem Blick auf Landschaft lässt sich der Aspekt der Synthese von Mensch und Landschaft (Natur) in Försters Werk eindrücklich beschreiben. Man findet diese Verschmelzung von Körpern und Landschaft immer wieder in Form und Oberfläche seiner Figuren. Schlüsselerlebnis zu dieser Wahrnehmung war Försters Reise Ende der 60er Jahre nach Tunesien, auf der er von uralten Olivenbäumen, von Felsschluchten und Wüsten derart nachhaltig beeindruckt war. Die „Verlandschaftung der Figur“ wird sehr gut sichtbar in der „Halbliegenden“ von 1978 und in der „Mittleren Daphne II“ von 1996 (Foto) in der Weimarer Ausstellung. Eine Seltenheit zeigt die Ausstellung auch mit einer Gouache „Im Olivenbaum Djerba“ (2005) als Beispiel für eine abstrakte farbige Darstellung zu diesem Thema.

Wieland Förster hat mit seinem Buch „Im Atelier abgefragt“ (Deutscher Kunstverlag, München.Berlin 2005) sein persönliches Statement zur Bildhauerei des 20. Jahrhunderts und seiner eigenen Arbeit abgelegt. Eine wesentliche Erkenntnis für die Entwicklung seiner eigenen Arbeit ist die Entdeckung der Eiform, die er darin ausführlich als natürliche Triebform beschreibt. Im Gegensatz zur perfekten Form der Kugel ist dem gegenüber der Eiform eine mit Spannung aufgeladene Form, in der sich der Abstand vom Kern zu den Rändern ellipsenförmig ändert. Dies wird seit den 60er Jahren zu einem wesentlichen Kompositionsbestandteil seiner Bildhauerei. Als bemerkenswertes und bedeutendes Beispiel dafür finden wir in der Ausstellung der Galerie Profil Weimar die Plastik der „Hero“ von 1966, die sich auch im Titelbild zur Ausstellung wiederfindet. Der Frauenleib der Hero, die sehnsüchtig den Arm nach dem in den Fluten ertrinkenden geliebten Leander aussteckt, ist geprägt von der Eiform, von den Schwellungen und Einschnürungen des aufstrebenden spannungsvollen Körpers – „…und da blühte im steigenden Sonnenlicht der Frauenleib, damals im Schatten des Flieders.“ (aus Wieland Förster: „Aufgeschriebenes I“ 1968).

In der Ergänzung der Bronzeplastiken im mittleren Format sind in der Galerie Profil Weimar einige sehr schöne Beispiele von Plastiken im kleinen Format zu finden, welches Wieland Förster immer als ein wesentlicher Teil seiner Arbeit galt. In früheren Jahren hat die Galerie zwei Editionen solch kleiner Figuren (Torso´98, Kleine Karyatide 1988, Kleiner Nikenentwurf 2000 – vergriffen) begleitet.

Es zeigt sich alles in allem die Ausstellung der Galerie Profil Weimar nicht nur als würdige Ehrung des bedeutenden Bildhauers, sondern auch als wahre Fundgrube an exzellenten Werken und das nicht zuletzt für ausgesprochene Kenner und Sammler guter Kunst. Daher lohnt sich der Besuch immer in der Galerie Profil Weimar.

Weimar, den 9. März 2020

Olaf Schnürpel

DRESDEN/ Semperoper: GURRELIEDER von Arnold Schönberg (Thielemann; Gould, Nylund, Mayer, Marquardt, Ablinger-Sperrhacke, Grundheber)

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Semperoper Dresden, 10. März 2020: Arnold Schönberg GURRELIEDER

Christian Thielemann Dirigent
Stephen Gould Waldemar
Camil]la Nylund Tove
Christa Mayer Waldtaube
Markus Marquardt Bauer
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke Klaus-Narr
Franz Grundheber Sprecher

Sächsischer Staatsopernchor Dresden
MDR-Rundfunkchor
Gustav Mahler Jugendorchester
Staatskapelle Dresden

Einen langer Entstehungsprozess von zehn Jahren wendete Arnold Schönberg auf, um sein spätromantisches Monumentalwerk GURRE-LIEDER zu komponieren. Spannend ist dabei, dass der erste Teil in den Jahren 1900 – 1903 entstand und der zweite Teil, der eine wesentlich modernere Klangsprache fand, erst 1910 folgte. Die Uraufführung fand schließlich im Februar 1913 in Wien statt.

Der Schriftsteller Jens Peter Jacobsen verfasste zu diesem Werk die Textdichtung. Auf dem dänischen Schloss Gurre ereignet sich die mittelalterliche Liebestragödie zwischen König Waldemar und seiner Geliebten Tove. Diese wird ermordet, veranlasst durch  Waldemars Frau, Königin Helvig.

Rache, Eifersucht und Leichenzug, erlebt und besungen aus der Perspektive der Waldtaube. Bis zum Mord ist der erste Teil ein einziges Wechselspiel einer sinnlich beschworenen großen Liebe zwischen Tove und Waldemar.

Im zweiten Teil steht der dem Wahnsinn nahe Waldemar, der den Tod seiner Geliebten beklagt und dabei die Auferstehung der Toten erfleht. Die „wilde Jagd“ beginnt mit rasselnden Ketten und furios beinahe gröhlendem gewaltigen Männerchorgesang.

Klaus-Narr reflektiert das Geschehen in grotesker Weise. Dann beschreibt ein Sprecher das wunderbare Erwachen der Natur, gipfelnd in dem gewaltigsten Sonnenaufgang, den es in der Musik überhaupt gibt. Schönberg öffnet hier alle dynamischen Schleusen, führt den achtstimmigen Riesenchor nun erstmals mit den Frauenstimmen zusammen und das gewaltige Orchester errichtet mit den Gesangsstimmen eine orgiastisch anmutende riesige Klangkathedrale, die den Zuhörer in ein akustisches Paradies führt. Was für ein unüberbietbarer musikalischer Abgesang auf die Spätromantik!

Arnold Schönberg fordert von seinen Gesangssolisten außerordentliche Leistungsfähigkeit.

Camilla Nylund gab eine stimmlich starke Tove, die mit sinnlichem Timbre und herrlich aufblühender Höhe sehr für sich einnahm. Die Stimme floß ruhig auf dem Atem und wurde von ihr mit großer Souveränität geführt.

Der erfahrene Stephen Gould agierte als Waldemar kraftstrotzend mit sicherer Höhe. Wissend gestaltete er den Text und konnte vor allem auch in den Pianofärbungen bei „Du wunderliche Tove“ begeistern. Überzeugend konnte er die emotionale Entwicklung vom Liebenden zum Leidenden vermitteln.

Bewegend und tiefgründig wurde das Lied der Waldtaube von Mezzosopranistin Christa Mayer vorgetragen. Warmstimmig, raumgreifend im Klang und sicher in der Höhe war ihre Stimme zu vernehmen.

Mit messerscharfer Diktion gefiel Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Klaus-Narr, ebenso wie der kurzfristig eingesprungene Markus Marquardt als Bauer.

Ein besonderer Höhepunkt war freilich die Szene des Sprechers, die durch den großartigen Franz Grundheber so besonders eindrücklich geriet. Jede Silbe erhielt von ihm eine Bedeutung, eine Aura, die dem abschließenden Chorfinale eine perfekte Vorlage bot. Beim finalen „Erwacht, ihr Blumen zur Wonne“ wechselte er in den gesungenen Tonfall und demonstrierte,  wie zeitlos, wie stark und in Takt sein herrlicher Bariton auch in seinem hohen Alter noch ist.

Die beide Chöre (MDR Rundfunkchor und der Sächsische Staatsopernchor Dresden) lieferten ebenfalls eine besondere Leistung ab. Wunderbar geschmeidig im Zusammenklang und bestens wortverständlich.

Am Pult der Staatskapelle Dresden, ergänzt durch Musiker des Gustav Mahler Jugendorchesters, stand Christian Thielemann.

Es gelang ihm eine packende Aufführung dieses anspruchsvollen Werks. Vorzüglich wahrte er die dynamische Balance, bestechend umgesetzt durch Transparenz und fein differenzierte Klanglichkeit. Da schillerte es fortwährend und die Musik erzählte in endlos vielen Farbverläufen. Die Klangqualität war in allen Gruppen des riesenhaften Orchesters ausgezeichnet. Thielemann ließ die Musik atmen, war immer um das Wohl seiner Sängerinnen und Sänger bemüht, und ließ es zuweilen im Orchester beherzt aufrauschen. Thielemann musizierte ganz im Geiste der Spätromantik, was diesem herrlichen Werk zu größter Wirkung verhalf.

Es war eine überwältigende Hörerfahrung dieses so außergewöhnlichen Konzertes. Das Publikum war begeistert und applaudierte frenetisch.

Dirk Schauß

 

BASEL/ Kunstmuseum: LICHTGESTALTEN – ZEICHNUNGEN UND GLASGEMÄLDE VON HOLBEIN BIS RINGLER

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Kunstmuseum, Basel: LICHTGESTALTEN – ZEICHNUNGEN UND GLASGEMÄLDE VON HOLBEIN BIS RINGLER, 01.02.2020 – 26.04.2020

 

„gemalt fenster vnd Glasmaler im Schweizerland“

In einer höchst interessanten Schau zeigt das Kunstmuseum Basel unter dem Titel «Lichtgestalten» eine Ausstellung zu Schweizer Glasgemälden und ihren Vorzeichnungen im 16. Jahrhundert.

Glasgemälde gehören für die Zeitgenossen wie den Strassburger Gelehrten Johann Fischart (1546/47-1591) so selbstverständlich zur Schweiz wie Tannzapfen zum Schwarzwald und der Wein zum Elsass, sind also, was heute Schokolade und Uhren sind. Die Kühe werden schon länger, seit dem Schwabenkrieg und dem Diskurs von Sauschwaben und Kuhschweizern, mit der Schweiz in Verbindung gebracht.

Unter „Glasgemälden“ (älteste Beispiele in Burgund und der Schweiz um die Mitte des 15. Jh.) versteht die Wissenschaft nicht monumentale, mehrere Felder oder Fenster umfassende kleinformatige Glasgemälde, die seit dem frühen Mittelalter für Kirchen geschaffen wurden, sondern die seitdem im Spätmittelalter begonnen wurde die Fensteröffnungen der Häuser mit Bleiverglasung zu schliessen aufkommenden, auf Nahsicht angelegten, in sich abgeschlossenen Kompositionen, die in aller Regel in den oberen Teil einer bestehenden Verglasung eingelassen waren. Zur Verbreitung des Glasbildes trug massgeblich der Brauch der Scheibenstiftung, ein spezifisch schweizerisches Phänomen, bei. Die meist Herrschafts-, Bündnis- oder Amts-Verhältnisse dokumentierende Scheibenstiftung erfolgten nicht auf Initiative der Schenker sondern auf Nachfrage der Empfänger. Der Schenker hatte so die Möglichkeit der Selbstdarstellung und der Empfänger konnte seine Beziehungen zur Schau stellen.

Umfang und Dauer der Popularität der Glasgemälde in der Schweiz sind in den politischen und gesellschaftlichen Strukturen der Alten Eidgenossenschaft begründet. Die nach den Burgunderkriegen und dem Schwabenkrieg erreichte de facto-Reichsunabhängigkeit der Alten Eidgenossenschaft und der Erfolg im Soldwesen führte zu einem Aufschwung und Bedeutungszuwachs des Bündnisses. Während in anderen Ländern die Repräsentation der landesherrlichen Macht über Herrscher-Portraits erfolgte, war das im Fall der Alten Eidgenossenschaft nicht möglich. Die „Standesscheiben“, Glasgemälde, die das Standeswappen zeigten, nahmen in dieser Zeit, in der sich mit dem Weissen Buch von Sarnen und den ersten Bilderchroniken die eigene Geschichte zu verfestigen begann, den Platz der Herrscher-Portraits ein und repräsentierten die Herrschaft

Die Ausstellung im Kunstmuseum befasst sich mit den Vorzeichnungen zu den Glasgemälden, die auf Grund der hochkomplexen Herstellung nicht ad hoc entstehen konnten. Die „Scheibenriss“ genannten Vorzeichnungen sind weitaus häufiger erhalten als die Endprodukte. Die Scheibenrisse trugen einerseits zur Popularität der Glasmalerei bei, da die Produktion natürlich vereinfacht wurde; andrerseits trugen sie zum Vergessen der Glasmaler als Persönlichkeiten bei, da Scheibenrisse frei kopiert oder sogar verkauft wurden.

Balthasar Han; Bannerträger der Basler Himmelszunft; 1554; Farbloses und farbiges Glas, Schwarzlot, Silbergelb; 89,9 × 55,7 cm © Historisches Museum Basel, Foto: N. Jansen

Das Kunstmuseum Basel kann für die Schau aus seinem reichen Fundus schöpfen und präsentiert in ihrem Detailreichtum absolut faszinierende Scheibenrisse von u.a. Hans Süss von Kulmbach, Niklaus Manuel, Urs Graf, Hans Holbein d.J., Tobias Stimmer, Christoph Murer und Hieronymus Vischer.

Ein Höhepunkt der Saison!

10.03.2020, Jan Krobot/Zürich

KIEL/ Oper Kiel: DIE TOTE STADT

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Nach verschiedenen Opernbesuchen im südlichen Dänemark und in der Grenzstadt Flensburg bewies nun auch der Abend im Opernhaus Kiel, dass es nördlich von Hamburg viele sehenswerte Produktionen gibt.

Die tote Stadt gilt als größter Opernerfolg von Erich Wolfgang Korngold. Gerade einmal 23 Jahre war der Komponist alt, als die Uraufführung am 4 Dezember 1920 zeitgleich in Hamburg und Köln stattfand. Schon damals war das Publikum begeistert vom unvergleichlichen Klangrausch des Werks. Später wurde Korngold nach seiner Flucht aus Nazi-Deutschland in den USA mit zwei Oscars für seine Filmmusiken ausgezeichnet.

In der Schleswig-Holsteinischen Landeshauptstadt setzt Regisseurin Luise Kautz gemeinsam mit Bühnenbildner Valentin Mattka und Hannah Barbara Bachmann (Kostüme) auf Realismus. Diese Interpretation steht somit auf den ersten Blick im Kontrast zur von Sigmund Freuds Traumdeutung beeinflussten irrealen Handlung. Die Grenzen von Traum und Realität verschwimmen – in der Handlung und auch auf der Kieler Bühne. Die im vorderen Bereich angesiedelte Wohnung des Protagonisten Paul ist zu Beginn der Aufführung durch eine dünne Folie von der eigentlichen Bühne getrennt. Im Verlauf des Stücks reißt Paul diese trennende Membran herunter und die Realität vermischt sich mit der Traumwelt dahinter. Die sich immer wieder wie von Geisterhand verändernden Gartenhecken-Elemente und die mystische Lichtregie führen stets zu neuen surrealen Eindrücken. Das zweite Bild, in dem eine Szene aus Meyerbeers Oper „Robert der Teufel“ geprobt wird, weist einige Längen auf. Hier hätte man sich noch zwei, drei kluge Einfälle der Regie gewünscht, um die Konzentration des Publikums zu erleichtern.

Musikalisch bewältigt das Orchester Kiel unter Leitung seines Generalmusikdirektors Benjamin Reiners die Tücken der Partitur sehr souverän. Das relativ kleine Opernhaus wird naturgemäß leicht von den Stimmen und dem Orchester ausgefüllt. Es fällt positiv auf, dass die Sänger niemals von der Musik überdeckt werden und gleichzeitig stets singen dürfen und nie brüllen müssen.

Marietta (Angnieszka Hauzer) provoziert Paul (Michael-Müller-Kasztelan) mit dem Zopf aus dem Haar seiner verstorbenen Gattin – Foto: ©Theater Kiel

Ununterbrochen im Zentrum des Geschehens steht an diesem Abend Michael Müller-Kasztelan als Paul, der dieser anspruchsvollen Aufgabe vollends gerecht wird. Sein Tenor ist sehr direkt und schnörkellos. Scheinbar mühelos bewältigt er bei hervorragender Textverständlichkeit die Partie. Schauspielerisch verkörpert er den liebeskranken und vom Totenkult besessenen Witwer ebenfalls optimal. Agnieszka Hauzer gestaltet die Partie der Marie/Marietta weniger wortdeutlich, aber ebenfalls äußerst eindrucksvoll. Dabei wirkt ihr schon recht schwerer Sopran sehr sinnlich. Die Leichtigkeit, die man mit der Rolle eine Tänzerin assoziieren würde, kommt stimmlich eine Spur zu kurz. Im dritten Bild, in dem sie um Pauls Bekenntnis seiner Liebe kämpft und schließlich provozierend das Haar seiner verstorbenen Frau entweiht, kommt die Protagonistin darstellerisch und stimmlich am besten zur Geltung und hinterlässt bleibenden Eindruck. Kammersänger Tomohiro Takada als Frank/Fritz wartet mit der wohlklingendsten Stimme des Abends auf und Tatia Jibladze als Haushälterin Brigitta überzeugt ebenfalls.

Elizabeth Tredent (Juliette), Marta Mika (Lucienne), Yoonki Baek (Victorin/Gaston), Fred Hoffmann (Graf Albert) und der von Lam Tran Dinh einstudierte Opernchor des Theaters Kiel, sowie der Kinder- und Jugendchor der Akademien am Theater Kiel e. V. trugen allesamt zum äußerst gelungenen Opernerlebnis bei.

Marc Rohde


ATHEN/ Michael Cacoyannis Stiftung: DIE SOLDATEN Jakob Michael Reinhold Lenz

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Copyright: Michael Cacoyannis Stiftung

ATHEN/ Michael Cacoyannis Stiftung: DIE SOLDATEN Jakob Michael Reinhold Lenz

Besuchte Auffuehrung am 10. Maerz 2020

Jakob Michael Reinhold Lenz‘ Stueck „Die Soldaten“ hat kaum etwas von seiner Schaerfe verloren. Zwar hat sich die Gesellschaft in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten erheblich gewandelt, an Ungleichheit krankt sie freilich noch immer. Und das Militaer nimmt in zahlreichen Laendern noch immer eine problematische Sonderstellung ein. Darum ist es interessant zu sehen, wie ein alter Text neu gedacht und szenisch erweitert dargeboten werden kann. Der junge Regisseur Pantelis Flatsousis hatte sich im letzten Winter erfolgreich Horvath’s Volksstueck „Italienische Nacht“ angenommen. Nun praesentiert er im Untergeschoss der Michael Cacoyannis Stiftung seine Sicht auf Lenz‘ „Soldaten‘.

Pantelis Flatsousis nimmt den Stoff Ernst und versetzt ihn in unsere Zeit. Noch immer tendiert das Militaer dazu, eine Parallelwelt darzustellen, die durch eigene Gesetze und Riten gepraegt ist. Am Beispiel von drei Soldaten und deren Vorgesetztem zeigt der Regisseur, wie das aussieht: Wir sehen junge Maenner, die herumalbern, die sich gegenseitig demuetigen, die Gleichaltrige ihrer Umgebung respektlos behandeln und die Frauen vorderhand als Lustobjekt betrachten. Die Gruppendynamik, welche die Taten der Soldaten hervorbringt, vermag Flatsousis sehr anschaulich auf die Buehne zu bringen. Den Soldaten gegenueber stehen eine kindlich-verspielte Marie und ein in seiner gesellschaftlichen Rolle gefangener, eher nachdenklicher Stolzius. Beide geraten in die Faenge der Soldaten: Marie wird von Desportes, Mary und de la Roche vergewaltigt, Stolzius mutiert zum Amoktaeter, der die drei Soldaten erschiesst. Der Regisseur zeigt in praegnanten Bildern die Instabilitaet der jungen Charaktere, ihren Lebenshunger und ihre Verspieltheit. Das Tragisch-Komische von Lenz‘ „Soldaten“ findet in dieser Interpretation zu einer aeusserst vitalen Gestaltung. Die Elterngeneration bleibt bei diesem Geschehen unverstaendiger Beobachter oder wird wie Maries Vater gleichsam zum Mittaeater, der die geschaendete Tochter einem Zuhaelter gleich an Maenner verhoeckert. Marie hat von Anfang an keine Chance, dieser mitleidlosen Welt zu entkommen. Sie laesst sich auf ein Spiel mit den jungen Soldaten ein, welches sie als gebrandmarktes Opfer zuruecklaesst. In praezise geformten Szenen, mit Einsatz von Video und Musik zeigen Pantelis Flatsousis und sein Ensemble sehr ueberzeugend wie gesellschaftliche Verhaeltnisse junge Menschen in die Irre laufen lassen. Am Schluss sind sie alle Opfer – Marie, Stolzius und die Soldaten.

Der Erfolg der Produktion verdankt sich nicht unwesentlich den Akteuren auf der Buehne. Vangelis Ampatzis ist ein empfindsamer Stolzius, der ueberzeugend die Wandlung zum Amoktaeter darstellt. Theano Metaxa kehrt den kindlich-verspielten Charakter von Marie hervor. Marios Kritikopoulos als Desportes, Giorgos Kritharas als Mary, Manos Stefanakis als de la Roche und Antonis Antonopoulos als Spannheim zeichnen die Soldateska in vielschichtiger und schonungloser Weise. Foivos Symeonidis als Vater Wesener und Marianthi Pantelopoulou als Graefin de la Roche vermoegen gekonnte Akzente zu setzen. Die Spiellust des Ensembles und die Personenfuehrung des Regisseurs sind bemerkenswert.

Das Publikum spendet herzlichen und anhaltenden Beifall.

Ingo Starz

 

DRESDEN/ Semperoper: „GURRE-LIEDER“ von Arnold Schönberg. Staatskapelle Dresden unter Thielemann

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Dresden / Semperoper:  DIE „GURRE-LIEDER“ VON ARNOLD SCHÖNBERG UNTER CHRISTIAN THIELEMANN IM 8. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN 10.3.2020

Während immer mehr Opernhäuser wegen des „Corona“-Virus schließen, hatten die Konzertbesucher an drei Abenden in der, bis in den letzten Winkel besetzten, Semperoper das Glück, eine außergewöhnliche Aufführung der „Gurrelieder“ von Arnold Schönberg zu erleben. Unwillkürlich verbindet man mit dem Namen Schönberg seine „Zwölftonmusik“, aber es gibt auch noch eine frühe, „spätromantische“ Phase in seinem Schaffen, in der er 1900 – 1903 sowie 1910 u. a. die, 1913 in Wien uraufgeführten, „Gurre-Lieder“ schrieb, deren Titel sich auf die Burgruine „Gurre“ im dänischen Nord-Seeland bezieht. In Dresden ist dieses monumentale Chorwerk nicht unbekannt. Es wurde 1995 im 1. Symphoniekonzert ihrer Saison von der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Giuseppe Sinopoli aufgeführt und Jahre zuvor von der Dresdner Philharmonie unter Herbert Kegel. 1913 als skandalös betrachtet, fand das Werk bei diesen Aufführungen immer die ungeteilte Zustimmung des Publikums.

Jetzt stand die dänische Legende von König Valdemar Atterdags großer Liebe zu Tove, die durch seine Frau und Königin Helvig aus Eifersucht ermordet wird, weshalb er dann ruhelos als Untoter durch die Nacht geistert und in Geisterbeschwörungen die Auferstehung seiner Geliebten feiert, als Oratorium für fünf Gesangssolisten, Sprecher, Chor und großes Orchester nach einer Textdichtung des dänischen Schriftstellers Jens Peter Jacobsen (deutsche Übersetzung von R. F. Arnold) auf dem Programm des 8. Symphoniekonzertes der Staatskapelle unter der Leitung von Christian Thielemann, der sich völlig in das Werk vertiefte, alle Feinheiten mit dem riesigen Orchester der Sächsischen Staatskapelle und Mitgliedern des Gustav Mahler Jugendorchesters herausarbeitete und trotz gewaltiger Klangmassen immer für Durchsichtigkeit und Klangschönheit sorgte. Der Dichtung folgend, genügt das Werk, streng genommen, in seinen drei, hinsichtlich Länge und Intensität sehr unterschiedlichen Teilen nicht den „klassischen“ Regeln eines Oratoriums. Dem umfangreichen ersten Teil mit fast noch „klassischer“ Aufteilung von Orchesterpassagen und drei Solisten (Sopran, Mezzosopran und Tenor) folgt der zweite Teil mit nur einem längeren Monolog des Tenors und der dritte mit drei Herren als Solisten, „Sprecher“, Männerchor und gemischtem Chor.

Thielemann vermochte das alles in der spezifischen Art des Werkes zusammenzubinden und als ein geschlossenes Ganzes zu präsentieren, bei dem ein Höhepunkt auf den anderen folgte. Er vermochte, dem riesigen Orchesterapparat in einer großartigen Spannbreite vom feinsten, zartesten Instrumentalsolo im piano bis zum überbordenden Fortissimo in einem massiven, gewaltigen Klangteppich die ausdrucksvollsten Klangwirkungen zu entlocken, und das alles in einer Durchsichtigkeit, die ihresgleichen sucht. Bereits mit den ersten Takten fühlte man sich in die friedvolle Natur von Meer und Land, Wolken und Himmel versetzt, bis die Handlung aus mittelalterlicher Legende (ob wahr oder nicht wahr) und in dunklen, rätselhaften Zeichen sprechender Natur in das Reich der Geister und eine übersinnliche Welt übergeht und in Wechselwirkung dieser Elemente verschwimmt.

Die beiden Chöre, der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: Jan Hoffmann) und der MDR-Rundfunkchor, der bis zum Jahr 2014 an 10 Produktionen bzw. 25 Konzerten der „Gurre-Lieder“ mitgewirkt hat (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen, der 2014-2019 den Staatsopernchor leitete) gestalteten gemeinsam die anspruchsvollen Chöre ohne Brüche. Selbst bei massiven Ausbrüchen verfügte dieser gewaltige (Doppel-)Chor noch über eine makellose, klangvolle Gestaltung, und auch der reine Männerchor beeindruckte mit großer Sicherheit und Klangreinheit.

Das Solisten-Ensemble ließ Großartiges erwarten und übertraf in einigen Fällen noch, was es versprach. Es schien nicht nur entsprechend guter Gesangsleistungen ausgewählt, sondern auch hinsichtlich des sehr unterschiedlichen Charakters der Rollen. Die stets zuverlässige Camilla Nylund faszinierte als zarte Tove, die Geliebte Valdemars, dem Stephen Gould mit profunder Stimme in seiner umfangreichen Partie viel Ausdruck und Würde verlieh. Überaus eindrucksvoll gestaltete Christa Mayer die Partie der Waldtaube mit ihrer geschmeidigen, selbst bei größten Anforderungen wunderbar klingenden Stimme und gestalterischem Ausdruck, eine Spitzen-Leistung! Für den vorgesehenen Kwangchul Youn war Markus Marquardt eingesprungen und ließ keine Wünsche offen. Dem Klaus-Narr verlieh Wolfgang Ablinger-Sperrhacke mit Klarheit in Ton und Artikulation eine kontrastierende Gestalt. Als Sprecher vollbrachte Franz Grundheber eine Meisterleistung vom gesprochenen bis zum gesungenen Wort über Parlando-Passagen in unmerklichen, fließenden Übergängen und mit großem Ausdruck und Empathie.

Die „Gurre-Lieder“, dieses letzte, überaus anspruchsvolle, furios überbordende Werk in spätromantischer Komponierweise, bei dem auch Richard Wagner und Richard Strauss durchschimmern, zählt mit seinen riesigen Dimensionen – allein 10 Kontrabässe, 4 Harfen, 7 Posaunen, 7 Klarinetten, 10 Hörner usw. – zu den größtbesetzten Werken der gesamten Chor- und Orchesterliteratur. Es erfordert einen Riesen-Aufwand und vor allem einen Dirigenten, der die Übersicht behält und wie Thielemann dennoch großartig zu gestalten vermag. Bei einer solch brillanten Aufführung hat sich dieser Aufwand unbedingt gelohnt.

Nach solchen Monumentalwerken, zu denen auch die Sinfonien von Gustav Mahler gehören, konnte keine Steigerung in der spätromantischen Komponierweise mehr kommen, und die musikalische Entwicklung nahm mit der Hinwendung zur freien Tonalität und Zwölftonlehre einen völlig anderen Verlauf.

Ingrid Gerk

BERN/ Konzert Theater: DIE VERKAUFTE BRAUT – Das Biotop Dorf konzentriert in der Turnhalle

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Friedrich Smetana: Die Verkaufte Braut, Konzert Theater Bern, Vorstellung: 11.03.2020

(2. Vorstellung seit der Premiere am 08.03.2020)

Das Biotop Dorf konzentriert in der Turnhalle

Für einmal hat das Insel-Dasein der Schweiz auch sein Gutes: Unsere Theater spielen (noch).

Im Stadttheater Bern ist die Erfahrung zu machen, wie spannend in Zeiten, in denen die Werke in aller Regel in der Originalsprache aufgeführt werden, eine Opernaufführung in deutscher Sprache sein kann. Konzert Theater Bern zeigt Smetanas Meisterwerk als «Die verkaufte Braut» in der Übersetzung von Kurt Honolka. Honolkas Übersetzung ist in sprachlicher Hinsicht wenig elegant, orientiert sich aber stark am Sinn des tschechischen Textes und lässt so den Zuschauer die vermeintlich altbekannte Oper neu erleben.

Ganz wesentlich zur neuen Erfahrung tragen die raschen Tempi, die der 1. Kapellmeister und Musikalische Leiter des Musiktheaters ad interim Matthew Toogood an der Spitze des höchst konzentriert aufspielenden Berner Symphonieorchesters anschlägt, bei. Smetanas Musik klingt so enorm luftig, frisch und lebendig und Toogood gelingt es so das süsslich-zähflüssige vieler MoldauInterpretationen zu vermeiden.
Bildergebnis für konzert theater bern: Die verkaufte braut
Ensemble; Foto: © Janosch Abel.

Die kroatische Regisseurin Adriana Altaras liess sich für ihre Inszenierung sehr frei von Milos Formans legendärem Film «Der Feuerwehrball» inspirieren. Christoph Schubiger (Bühne) hat ihr als Einheitsbühnenbild eine Turnhalle geschaffen, die so in jedem Dorf zu finden sein dürfte – egal ob in der Schweiz oder in Böhmen. Wie Altaras diesen Raum, der nicht nur als Turnhalle genutzt wird, mit Leben füllt, zeigt von der hohen Qualität ihrer künstlerischen Arbeit. Jeder auf der Bühne, weiss, wo er zu stehen und was er zu tun hat. Gerade die Mitglieder von Chor Konzert Theater Bern und Extrachor Konzert Theater Bern (bestens vorbereitet von Zsolt Czetzner) überzeugen mit ihrer Leidenschaft im Spiel, vollmundigem Klang und besonders den tänzerischen Fähigkeiten (choreographiert von der Regisseurin, kein Choreograph ausgewiesen). Neben der eigentlichen Handlung gibt es eine Menge zu beobachten. Die Einführung der Liebe von Hans und Marie findet hier in und um einen Auto-Scooter statt, der als Verbildlichung der Utopie einer glücklichen Zukunft dient.

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Nazariy Sadivskyy als Hans, Evgenia Grekova als Marie; Foto: © Janosch Abel.

Der Heiratsvermittler Kecal betreibt sein Geschäft in Altaras Inszenierung als Nebenerwerb, hauptberuflich ist er Dorfpolizist. Altaras hat sich gegen den Briefträger entschieden, denn als Dorfpolizist hat Kecal die grössere Machtposition und kann zusätzlich korrupt gedacht werden. Klingelt hingegen der Briefträger zweimal… Die ideal zur Inszenierung passenden Kostüme (Nina Lepilina) nutzt Altaras auch zur Beschreibung und Charakterzeichnung der Figuren. Die Elternpaare stechen auf den ersten Blick nicht aus der Dorfgemeinschaft heraus, auf den zweiten Blick zeigt sich dann die gleichermassen klare wie subtile Unterscheidung. Für den Chor hat sich Lepilina grosszügig bei osteuropäischen Trachten bedient. Der Auftritt der Zirkustruppe, frei gestaltet und vom Direktor mit Bezügen zur Aktualität angereichert, überzeugt durch die Darbietungen der Artistin/Vertikalkünstlerin/Feuerartistin (Azucena Fabbri) und des Artistenkind (Neil Fabbri), sei es als Artisten oder als Pudel-Duo…

Durchgehend hervorragend besetzt sind die solistischen Rollen. Evgenia Grekova überzeugt mit vollem, runden, nie scharfen Sopran als Marie. Nazariy Sadivskyy, der sein Dorf im jugendlichen Alter verlassen hat, als Zimmermann auf die Walz ging und nun zurückgekommen ist, brilliert mit wunderbaren Höhen und intensivem Spiel.

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Andries Cloete als Wenzel; Foto: © Janosch Abel.

Höhepunkt des Abends ist der Wenzel von Andries Cloete. Mit traumhafter Sicherheit zeichnet er mit seinem prächtigen, hellen Tenor den dörflichen Aussenseiter, wie Smetana ihn sich vorgestellt haben könnte. Philipp Mayer gibt einen prächtigen Kecal, der auch auf Grund seiner Jugendlichkeit durchaus an Rossinis Figaro erinnert. Florian Marignol und Sarah Mehnert sind Krušina und Ludmila, die Eltern von Marie, und Young Kwon und Claude Eichenberger stehen als Micha und Hata, Eltern von Hans und Wenzel auf der Bühne. John Uhlenhopp, Orsolya Nyakas und Salvador Pérez ergänzen das formidable Ensemble als Direktor, Esmeralda und Indianer.

Auf nach Bern! Es wartet ein rundum beglückender Abend.

Jan Krobot/ Zürich

Weitere Aufführungen:
Sa, 21. März 2020, 19:30 – 22:10, Stadttheater;
So, 05. April 2020, 18:00 – 20:40, Stadttheater;
Do, 09. April 2020, 19:30 – 22:10, Stadttheater;
Do, 23. April 2020, 19:30 – 22:10, Stadttheater;
So, 26. April 2020, 16:00 – 18:40, Stadttheater;
Mi, 29. April 2020, 19:30 – 22:10, Stadttheater;
So, 10. Mai 2020, 18:00 – 20:40, Stadttheater;
Di, 19. Mai 2020, 19:30 – 22:10, Stadttheater;
Di, 09. Juni 2020, 19:30 – 22:10, Stadttheater;
So, 21. Juni 2020, 18:00 – 20:40, Stadttheater.

WIEN / Scala: CASANOVA KOCHT

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Foto: Scala

WIEN / Scala:
CASANOVA KOCHT von Bruno Max
Uraufführung
Premiere: 12. März 2020  

Das ist Bruno Max, erfolgsverwöhnter Direktor seines Theaters Scala in der Wiedner Hauptstraße nicht gewöhnt: Dass er eine Premiere – zumal eine seiner gefragten „kulinarischen“ Produktionen – vor gar nicht vollem Haus spielen muss. Das Publikum war offenbar von den Absagen allerorten so irritiert, dass es der Versicherung auf der Website des Hauses, „vor 90 Personen“ zu spielen, nicht zu glauben vermochte. Schade für alle, die nicht da waren – sie haben eine Menge gutes Essen versäumt und ein nachdenkliches, immer wieder amüsantes, aber eigentlich trauriges Stück über den alternden Casanova, der auf sein Leben zurück blickt.

Das Publikum darf – weil Casanova angeblich fast so gerne aß wie liebte und auf seine Makkaroni noch im böhmischen Exil auf Schloß Dux bestand – dabei sehr Ansprechendes verzehren (etwa eine Königinnenpastete oder Muschelnudeln und am Ende Venusbrüstchen…), aber man wird dem Geschehen seine Aufmerksamkeit nicht versagen.

Da sitzen sie an einem Abend im Jahre 1791 in einem Dorfgasthaus, der vielseitige Schriftsteller Restif de la Bretonne und der Chevalier de Seingalt. Zwei alte Herren, denen das Essen als einziges Vergnügen geblieben ist – und die Erinnerung. Der Chevalier, einst europaweit bekannt als „Casanova“, erzählt so einiges Pikante, Amüsant und auch unterschwellig Tragische aus seinem Leben, ob er sich in einen Kastraten verliebt hat oder mit einer Nonne Live-Porno für einen geilen Zuschauer betrieb… und viele andere seiner berühmten Abenteuer mehr.

Das Theater hat sich an diesem Abend (Bühne: Marcus Ganser) in eine Raumbühne verwandelt, auf Seiten-Schauplätzen gibt es nicht nur Realistisches aus der Vergangenheit, sondern auch stilisiert Choreographisches (Ivana Stojkovic), besonders einfallsreich in den vielen Positionen … eh schon wissen. Live ertönt dazu die Musik (sehr viel Mozart), Frizz Fischer und vier Kollegen machen die Sache höchst lebendig.

Dass die Geschichte solchen Tiefgang gewinnt, verdankt Autor / Regisseur Bruno Max nicht nur sich selbst, sondern auch Hermann J. Kogler als altem Casanova, der klar macht, dass die Rückschau auf Sex, Sex, Sex nicht unbedingt nur eitel Wonne ist. Bernie Feit ist ihm ein skurril-verständnisvoller Zuhörer. In den Rückblenden staksen Eric Lingens und Mark Mayr durch die Liebesabenteuer des jungen Casanova.

Aus einer nicht zu bändigenden Schar lebhafter Damen (in zahllosen Rollen und Kostümen) ragt Christina Saginth mit ihrem Schicksal hervor – auch da geht es, angesichts der Flucht von „Louis Capet“ (sprich Ludwig XVI., Marie Antoinette und Familie) im Hintergrund keinesfalls nur um Jux und Tollerei.

Die Moral, die schwer elegisch über dem Abend hängt? Dass man nicht alt werden sollte? Tatsächlich ist Jugend eine Krankheit, von der man schnell geheilt wird – man kann es sich, wenn man jung ist, nur (glücklicherweise)  absolut nicht vorstellen… Dem Publikum, das mutig gekommen war (man kann sich ja schließlich nicht selbst lebendig begraben), gefiel es sehr.

Nach der Vorstellung kursierte das Gerücht, die erste Vorstellung sei auch die letzte gewesen, vermutlich würden weitere Aufführungen corona-bedingt untersagt. Ehrlich, es ist ein schreckliches Gefühl, nicht ins Theater gehen zu können… Also, Website der Scala konsultieren, und wenn sich die Schließung nicht bewahrheitet – gut essen, amüsiert werden und eine Spur nachdenken bei „Casanova“!

Renate Wagner

BIETIGHEIM/ BISSINGEN/ Kronen-Zentrum: FRANZ LISZT KAMMERORCHESTER (Bach, Tartini, Waxman, Dvorak)

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Copyright: Classic Concerts Management

Franz Liszt Kammerorchester am 12.3.2020 im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Mit brillantem Bogenstrich

 Im Mittelpunkt dieses glanzvollen Konzerts mit der vielfach preisgekrönten japanischen Geigerin Mone Hattori (Konzertmeister: Peter Tfirst) stand das stimmungsvoll und erfrischend interpretierte Konzert für Violine und Orchester in a-Moll BWV 1041 von Johann Sebastian Bach. Dieses Werk wurde vom Franz Liszt Kammerorchester mit einem selbstbewusst-energischen Thema eingeleitet. Die Solovioline entdeckte bald einen schmerzlichen Zug, den Mone Hattori ausdrucksvoll unterstrich. Nach der Rückkehr zur Anfangsstimmung führte sie den melodischen Fortgang in energischer Weise weiter. Auch das facettenreiche Bassthema des zweiten Andante-Satzes gewann bei dieser Wiedergabe eine geradezu ergreifende Intensität. Über diesem Bassmotiv entfaltete sich dann das betörende Spiel der Violine mit bewegender Emphase. Der Tanz-Charakter des letzten Allegro-assai-Satzes wirkte wie ein atemloser Schlusstaumel. Hervorragend war dann auch die Wiedergabe des Concerto Nr. 3 in G-Dur BWV 1048 aus den Brandenburgischen Konzerten von Johann Sebastian Bach. Violinen, Bratschen und Celli werden dabei in raffinierter Weise geteilt. Das Mit- und Gegeneinander dieser Kombination führte hier zu einer großen Klangfülle, die gar nicht mehr zu bremsen war. Das erste Allegro war dabei wirklich von einer überaus festlichen Spannungskraft erfüllt. Die fantasievolle Verarbeitung des Kopfthemas stach deutlich hervor.  Der Adagio-Takt verkündete ein besinnliches Innehalten. Nach der grandiosen Cembalo-Kadenz folgte das tänzerische und unbeschwerte Schluss-Allegro. Mone Hattori war bei der berühmten „Teufelstrillersonate“ in g-Moll für Violine und Orchester von Giuseppe Tartini ganz in ihrem Element. Dabei berührte nicht nur der ausdrucksvolle Cantabile-Stil des Andante das Publikum, sondern auch die schwierigen und hochvirtuosen Triller und Doppelgriffe bei den schnellen Sätzen. Tartini soll dabei von einer Traum-Vision heimgesucht worden sein, bei der der Teufel seine Melodien verführerisch schön nachspielte. Er war selbst ein glänzender Geiger, der Kombinationstöne entdeckte, die seinen mystischen Anspruch unterstrichen. Beim Konzert im Kronenzentrum ließ die ausgezeichnete Geigerin Mone Hattori diesen Aspekt regelrecht aufblühen. Im Allegro assai schien dann der Teufel die musikalische Führung übernommen zu haben. So zeichnete die Gegierin die Passagen in atemberaubender Weise nach. Beim plötzlich hereinbrechenden Allegro schien der Komponist vom Teufel überrascht worden zu sein. Die Grave-Einleitung stellte offensichtlich den Schlafenden dar. Tartini heiratete übrigens die Nichte des Erzbischofs. Angeblich soll er noch heute zusammen mit seiner Frau in jenem Grabgewölbe herumspuken, in dem er beerdigt ist. Auch die „Carmen Fantasie“ des erfolgreichen amerikanischen Filmkomponisten Franz Waxman gestaltete Mone Hattori mit glühender Intensität und elektrisierender Leuchtkraft. Feinste Klangzerlegungen und die Kraft ungebrochener melodischer Erfindung führten hier zu einem wahrhaft grenzenlosen Schlusstaumel. Auch die rhythmische Kraft zeichnete die Faszination der Stierkampfarena in mitreissender Weise nach. Zum Abschluss erklang noch die Serenade für Streichorchester in E-Dur op. 22 von Antonin Dvorak, wo das Franz Liszt Kammerochester die thematischen Zusammenhänge in reizvoller Weise betonte. Das Duett zwischen Bratschen und ersten Geigen im Larghetto besaß ergreifende Klangfülle. Und die eigenartige slawische Melodik kam in bemerkenswerter Weise zum Vorschein. Zuletzt gab es begeisterten Schlussapplaus für dieses Konzert des ungarischen Franz Liszt Kammerorchesters. 

Alexander Walther

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