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PARIS/ Opéra: MANON von Massenet

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Die meist gestrichenen Balletteinlagen, hier fulminant choreografiert durch Jean-François Kessler. Foto: Julien Benhamou

„MANON“ von Massenet heute Abend um 19h30 Uhr

Absolut sehenswert: musikalisch und szenisch einfach vorbildlich mit einem epochalen Benjamin Bernheim als Chevalier Des Grieux

Wie schon angekündigt: die jetzige Neu-Produktion von „Manon“, die erst dem Streik und dann dem Coronavirus zum Opfer fiel (es gab nur zwei öffentliche Vorstellungen), ist eine der schönsten die ich je gesehen habe. Es ist nicht irgendeine von Massenets 36 Opern (!), sondern galt schon zu seinen Lebzeiten als sein Meisterwerk und war deswegen bis 1950, gleich nach „Carmen“, das meist gespielte Werk an der Opéra Comique in Paris. Einerseits ist es erfreulich, dass „Manon“ in den letzten Jahren so oft in den deutschsprachigen Gebieten wieder gespielt wird (Wien, Zürich, Berlin etc), andererseits wirklich bedenklich, wie das Werk dort meist musikalisch und szenisch verhunzt wird. Sogar das Regie-Theater-freundliche Magazin „Opernwelt“ gibt im jetzigen März-Heft seiner letzten „Manon“-Rezension (in Nürnberg) den Titel „Koks und Nutten II“ und kritisiert ungewöhnlich heftig die „fragwürdige szenischen Behauptungen“, mit denen viele heutige Regisseure gerade diese Oper „mit dem Holzhammer kaputt schlagen“. Das betrifft übrigens auch die letzten in Inszenierungen in Frankreich: die von Coline Serreau 2012 an der Opéra de Paris war eine einzige Katastrophe (sogar der Intendant musste dies zugeben) und die von Olivier Py 2016/17 in Genf, Bordeaux und Paris fanden wir „bodenlos schlecht“ (so etwas haben wir nur ein einziges Mal im „Merker“ geschrieben und führte übrigens dazu, dass man den Regisseur bat, seine Inszenierung für die Wiederaufnahme in Paris zu revidieren). Denn wenn man aus „Manon“ eine „Lulu“ machen will, negiert mal alles, was Massenet vorschwebte und was genau sein Meisterwerk ausmacht.


Achten Sie auf die Blumen auf diesem Kleid: ‚beau motif de querelles’ für Pretty Yende (Manon) und Benjamin Bernheim (Chevalier Des Grieux). Foto: Julien Benhamou

Hier kann man es endlich erleben: der feine französische Charme einer „opéra comique“ mit gesprochenen Dialogen, mit Humor, Leichtigkeit und hemmungsloser Lebensfreude, die die Protagonisten am Ende in den Abgrund stürzt. Vincent Huguet (im Mai noch für die „Frau ohne Schatten“ an der Wiener Staatsoper und sein Team halten sich nun vorbildlich an die Partitur. Da wird nicht gestrichen, was nicht ins „Regie-Konzept“ passt, sondern versucht das Werk zu inszenieren, ihm zu dienen, es klingen zu lassen. Immer mit der Partitur in der Hand (so wie man es auf den Probenfotos auf der Homepage der Opéra de Paris sehen kann). Und wenn man genau hinguckt, sieht und hört man Vieles, was zum Beispiel in der gerade gespielten „Manon“ von Andrei Serban an der Wiener Staatsoper gestrichen und, mit Verlaub, auch nicht gesungen wurde. So zum Beispiel die für die französische Oper des 19. Jahrhunderts so wichtigen Balletteinlagen. Sie sind nicht leicht zu inszenieren (ich kann selbst ein Liedchen davon singen) und gelten für ein heutiges Publikum oft als ‚zu lang‘ (in Paris waren damals eben die Tänzerinnen die größten ‚Stars‘ des Abends). Aber sie streichen ist für meine Augen ein Versagen der Regie. Vincent Huguet, sein Dramaturg Louis Geisler und der Choreograph Jean-François Kessler haben dies in meinen Augen wirklich genial gelöst. Sehen Sie es sich selbst an: die Ballette geben den Abend noch eine zusätzliche Dimension. Auch viele Momente, die manchmal mal peinlich ‚kitschig‘ sein können, so wie der kleine Tisch von ‚Adieu notre petite table‘ oder der Blumenstrauß von ‚beau motif de querelles’ sind hochintelligent inszeniert. Von anderen Momenten ganz zu schweigen, die deutlich im Libretto und in der Partitur stehen, aber meist nicht inszeniert werden, weil den Regisseuren nichts dazu einfällt (also streicht man). Das gleiche gilt für den Dirigenten Dan Ettinger, der sich nicht in den Vordergrund stellt (und laut aufspielt), sondern dem Werk dient und liebevoll jedes kleine Detail ausdirigiert. So wie der durch José Luis Basso einstudierte Chor sich spielfreudig in die Inszenierung wirft, doch gleichzeitig rhythmisch präzise und textverständlich singt.

Die Besetzung ist vom feinsten, mit zum Beispiel Ludovic Tézier als Lescaut und Roberto Tagliavini als Comte Des Grieux. Wir waren etwas erstaunt, Pretty Yende auf der Besetzungsliste zu sehen, aber die Regie hat ihre Besonderheit – eine farbige Manon – überzeugend umgesetzt (ich verrate jetzt nicht mehr) und stimmlich gab sie der Rolle eine wunderbare ‚Frische‘ (Manon ist ja am Anfang der Geschichte noch keine 16 Jahre alt). Yende sang lupenrein alle Koloraturen und Verzierungen der ersten beiden Akte (die die meisten Ihrer Kollegen einfach überschlagen) und eben genau wie Massenet es wollte: ‚diaphane‘ – wie ein Glitzern von kleinen Diamanten. Dafür fehlte ihr dann im dritten und vierten Akt die Mittellage und die Autorität der geldsüchtigen ‚croqueuse de diamants‘, der ganz Paris zu Füßen liegt. Doch das ist Klagen auf hohem Niveau und bei anderen Sängerinnen (wie zB René Flemming in der gleichen Bastille-Oper fehlte uns in den beiden ersten Akten die Jugend und Naivität). Der Star des Abends war/ist Benjamin Bernheim als Chevalier Des Grieux. ‚Der beste Des Grieux seit 25 Jahren!‘ schrieb Le Figaro. Dem stimmen wir zu: seit dem jungen Alagna haben wir diese Rolle nicht mehr so gut gehört. Nichts gegen Roberto Alagna, auch nicht bei Massenet (er war und bleibt für uns zum Beispiel der beste „Cid“ den wir je live gehört haben). Aber wenn man so viel Verdi singt, kann man die Stimme nicht mehr zurückschrauben für einen Des Grieux. Und schon die „Manon“-Einspielung 2000 für EMI mit Alagna ist für uns ein Paradebeispiel, wie man bei Massenet alles, aber wirklich alles falsch machen kann (was natürlich in erster Stelle an dem Dirigenten und an Alagnas damaliger Partnerin lag, die diese Rolle wie Puccini sang). Benjamin Bernheim erklärt dies alles hochinteressant in einem Interview auf der Homepage der Opéra de Paris: „Des Grieux, Botschafter der französischen Gesangskultur“ (mit englischen Untertiteln). Er beschreibt wie er sich jahrelang mit dieser Rolle beschäftigt hat, warum Französisch soviel schwieriger zu singen ist als Italienisch und warum gerade ihm diese Rolle so liegt und er sie so liebt. Das hört man in jedem Ton seiner Interpretation, in jeder couleur, nuance, désinance, diphtongue und anderen Feinheiten der voix mixte, von denen er bedauert, dass die meisten Sänger sich nicht die Zeit nehmen sie zu erlernen. In einem anderen Interview erklärt auch warum: ‚an großen Häusern werden diese Rollen so selten gespielt, man bietet mir dauernd Verdi an, aber nicht Massenet‘. Das wird sich hoffentlich nun ändern, denn als Des Grieux ist er zurzeit wirklich unvergleichlich, inégalable!

Waldemar Kamer


Ludovic Tezier. Foto: Julien Benhamou

 Von heute 17.3.  bis Sonntag (22 März) als streaming auf der Homepage der Opéra National de Paris: https://www.operadeparis.fr/

 Auch auf FranceTV: https://www.france.tv/


WIEN / Theater an der Wien im Fernsehen: FIDELIO

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Fotos: Theater an der Wien

WIEN / Theater an der Wien:
FIDELIO oder DIE EHELICHE LIEBE von Ludwig van Beethoven (1806)
Premiere als Fernsehaufzeichnung: 20. März 2020

Man muss die Hintergründe nicht erneut nachbeten, warum diese Premiere, auf die das Theater an der Wien so hoch setzte – der Regisseur ist ein „internationaler“ Österreicher und zweimaliger „Oscar“-Preisträger -, im Fernsehen stattfand. Wahrscheinlich will niemand mehr das Wort „Corona“ hören. Man fragt sich nur, wie Künstler, die nicht so überdimensional berühmt sind, zum Lohn ihrer Arbeit kommen…

„Fidelio“ ist die Katastrophe des Beethoven-Jahres, weil man von dem Genie einfach kein anderes Bühnenwerk besitzt. Drei Fassungen, die Erstfassung gab es als Unglückspremiere an der Staatsoper, ob die klassische, geliebte Letztfassung dort ab 22. April gespielt wird, wissen die Götter. Jedenfalls hat das Theater an der Wien nun auf die zweite Fassung aus dem Jahr 1806 gesetzt, einst erfolgreicher als die Erstfassung, aber nur zweimal gespielt, weil Beethoven sich mit dem Theaterdirektor zerkracht hatte. Da man Fidelio Nr. 1 gerade gesehen und Fidelio Nr. 3 ziemlich gut im Kopf hat, sollte man Fidelio Nr. 2 einigermaßen beurteilen können.

Wenn, ja wenn… man nicht damit okkupiert wäre, sich dauernd mit Treppen zu beschäftigen. Vielleicht haben die Kritiker Christoph Waltz zu seinem Opern-Debut, dem „Rosenkavalier“ in Antwerpen (im Dezember 2013), zu sehr geärgert. Da warf man ihm ein pastellfarbenes Bilderbuch vor und bemerkte, er sei doch nicht so gut wie Otto Schenk… Das sollte ihm nicht noch einmal passieren.

Dieser Vergleich ist nun schon aufgrund des Bühnenbilds von Barkow Leibinger nicht mehr möglich, das die Geschichte völlig ins Abstrakte schiebt, so dass keine reale Handlung unter Menschen, sondern nur noch ein Gleichnis möglich ist. Aber welches? In der Totale wirkt das Bühnenbild mit seinen kunstvoll geschwungenen Treppen (und den trickreich versteckten Auf- und Abtritts-Möglichkeiten) ein wenig wie ein Monster aus seinem Science-Fiction-Film. Man kann darin natürlich auch eine surreale Variante von Dali-Ideen sehen. Judith Holste gibt mit Kostümen, die ausschließlich Variationen von Uniformjacken darstellen, auch keinen Hinweis, wo diese Inszenierung hin will. Was erzählt der Military Look? Für eine „politische“ Interpretation reicht er wahrlich nicht aus…

Treppen also, die nirgendwo hinführen. Die einschließen und begrenzen, statt Hindernisse überwinden. Metaphysisch? Aber sind diese Treppen auch ein Spielraum? Zu Beginn, noch vor der Ouvertüre, kollert jemand (es soll wohl Florestan sein) symbolträchtig die Treppen hinab. Dann setzt die Ouvertüre ein, wieder die „Leonore“. Und gleich von Anfang an hat man als versierter Opernfreund Mitleid mit Sängern, die die zusätzliche Anstrengung auf sich nehmen müssen, treppauf, treppab zu gehen und zu laufen… Und bald stellt sich heraus, dass die Inszenierung nur daraus besteht – aus formalistischen Bildern ohne tiefere Bedeutung.

Denn im Grunde ist Christoph Waltz gänzlich einfallslos vorgegangen. Er lässt Sänger und Chor herumstehen, was man manchmal schätzt, wenn sich die Musik solcherart störungsfrei entfalten kann. Lieber als der Holler, den sich Frau Amélie Niermeyer für Fidelio Nr. 1 an der Staatsoper ausgedacht hat, ist einem das allemale, denn man ärgert sich nicht dauernd. Andererseits wird man ein Gefühl der Leere nicht los… auch wenn die Logistik stimmt, wie die Bühne gefüllt und entleert wird. Aber das ist ja wohl das Mindeste, was man verlangen kann?

Eine (rauchende) Marzelline (Mélissa Petit) singt ihre erste Arie mit geringen Veränderngen zur Endfassung, aber man merkt im Laufe des Abends schon sehr stark, dass Fidelio Nr. 2 dem Vorgänger weit ähnlicher ist als dem definitiv gelungenen Fidelio Nr. 3. Auch hier findet sich noch das Duett Marzelline-Leonore, das so verzichtbar ist, wie überhaupt die Familiengeschichte im Hause Rocco eine Spur breiter angelegt scheint (während Jacquino in der Endfassung, mit Ausnahme der Anfangsszene, in Bedeutungslosigkeit versinkt). Wenn Marzelline und Jacquino (Benjamin Hulett) sich richtig bösartig anfahren, könnte man meinen, hier sei in der Personenführung etwas geschehen, aber nein, es bleibt nicht so. Der brave Rocco (Christof Fischesser) ist so brav und konturlos, wie er nicht sein müsste, und Leonore (Nicole Chevalier), mit einer geradezu sündig-hässlichen Frisur verunstaltet, steht einfach hilflos herum. Pizarro (Gábor Bretz) stakst gänzlich ausdruckslos durch die Gegend, Florestan (Eric Cutler) hat etwas mehr Text als sonst, um sein Leben zu kämpfen. den Don Fernando (Károly Szemerédy) am Ende hat man Mühe zu bemerken.

Der Regisseur, der die Dialoge einerseits stark gestrichen, andererseits verändert hat, hat die Tatsache, dass er seine Geschichte im luftleeren Niemandsland bzw. im Treppenland erzählt, auch als Vorwand genommen, gar keine dramaturgischen Fäden zu knüpfen – Motto: Es kennt ohnedies jeder die Geschichte. Also braucht es weder Erklärungen noch Zusammenhänge. Macht alle schön Musik, das reicht schon.

Und das geht ja auch – Manfred Honeck am Pult der Wiener Symphoniker tut es sorgfältig-liebevoll, gibt dem Werk immer wieder sein inneres dramatisches Drängen, aber niemand wird an diesem Abend (auch nicht der wie immer tadellose Arnold Schoenberg Chor) dem Publikum das Herz im Leib umdrehen und Tränen entlocken, wie es etwa Bernstein gelungen ist…

Ein bisschen mag es auch an der schaumgebremsten Sängerschar liegen – es ist wahrlich kein Abend schöner Stimmen, zwei schlank-lyrische Damen mit Höhenschärfe und wenig Resonanz (ja, als Leonore ist man bald überfordert), kein Tenor, dessen Stimme zum Herzen dringt, ein knochentrockener Bösewicht und gar kein stimmlich süffiger Baß. Die Wiener haben ihren „Fidelio“ auch gern prachtvoll gesungen, aber dafür war das Theater an der Wien ja kaum je das Haus – da ersetzt man im allgemeinen Wohlklang durch interessante Akzente. Diesmal war es mit beidem nicht so weit her.

Am Ende tauchte der Regisseur die Szene, die bis dahin wenig Lichtspiele kannte (außer die unvermeidliche Dunkelheit rund um Florestan), in gleißendes Licht. Das sollte wohl das Happyend andeuten, das man emotional nicht miterlebt hat… Dann ist Dunkelheit, danach stehen alle auf der Bühne, und weil sonst niemand klatscht, applaudieren sie sich selbst. Der Regisseur fällt dem Dirigenten um den Hals, was er sicherlich nicht hätte tun sollen. Und der „Corona-Fidelio“ war keinesfalls das Erlebnis, das sich das Theater an der Wien erhoffte, als man einen großen Namen engagierte…

Renate Wagner

FRIEDEMANN VOGEL – Verkörperung des Tanzes (Film-Dokumentation des SWR von Katja Trautwein)

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FRIEDEMANN VOGEL – Verkörperung des Tanzes (Film-Dokumentation des SWR von Katja Trautwein)


Friedemann Vogel. Copyright: Youn Sik Kim

Der Titel dieser dokumentarischen Würdigung beschreibt perfekt die herausragende Kunst des Tänzers Friedemann Vogel, allein die diversen Sprung-Sequenzen vor den wesentlichen Auftritts-Stationen und durch Straßen und Parks der betreffenden Städte zeigen mit welcher Selbstverständlichkeit, federleichten Gewandtheit und Gelöstheit er sich dieser Bewegungsform bedient. „Geboren für den Tanz und für die Bühne“ fasst es der langjährige Intendant des Stuttgarter Balletts Reid Anderson als einer der zu Wort kommenden Wegbegleiter in dieser einstündigen Dokumentation von Katja Trautwein knapp und trefflich zusammen. Die brasilianische Ballett-Legende Marcia Haydée führt in Bezug auf den ihm als einem der wenigen Tänzer überhaupt überlassenen und kurz in der letzten Ekstase gezeigten „Bolero“ von Maurice Béjart ein weiteres Stichwort an: „ein Körper wie eine Maschine“, dem man „aber doch in jeder Faser voller Magie, Emotionalität und Spontaneität“ hinzufügen muss.

In diesem nicht streng biographisch aufgebauten Film-Beitrag werden auch kurz die Anfänge des 1979 in Stuttgart als jüngster von fünf Brüdern geborenen Tänzers beleuchtet: wie er durch seinen älteren Bruder Roland (der dann auch zum Ersten Solisten des Stuttgarter Balletts wurde) in der John Cranko-Schule mit seinem späteren Beruf erstmals in Berührung kam, bei ersten eigenen Schritten als Schul-Absolvent, sein von Anfang an ausgeprägter Durst von Lehrern und fortgeschritteneren Tänzern alles an praktischem Wissen in sich aufzusaugen. Zur entscheidenden Grundlage seiner Ballett-Karriere wurde 1994 die Begegnung mit Marika Besobrasova anlässlich eines Sommer-Workshops und seines daran anschließenden Ausbildungs-Abschlusses an der Academie de Danse Princess Grace in Monte-Carlo. Die berühmte Pädagogin hat ihn mit ihrer gesamtheitlichen Lehrmethode nicht nur als Tänzer, sondern in dieser Funktion vor allem auch als Mensch geprägt.

Als es ihn danach wieder in seine Heimatstadt zurück zog und er beim Stuttgarter Ballett vortanzte, erkannte Reid Anderson sofort die besonderen Anlagen Friedemanns, wie er in der ganzen Ballettwelt ohne Familienname genannt wird und auch sein Autogramm lautet. Der schnelle Aufstieg in die höchste Position war bald vorgezeichnet, Einladungen zu renommierten Compagnien in aller Welt folgten nach und nach – stets im Einklang mit seinem heimatlichen Engagement, das bei allem internationalen Ruhm bis heute seine Basis, sein Ruhepol und sein Rückzugsort geblieben ist und auch weiterhin sein wird. Eine solche Kontinuität ist ebenso einmalig wie die spezielle (Bewegungs)-Qualität, die seinen Körper ausmacht und neben dem erwähnten „Bolero“ vor allem bei moderneren Choreographien mit freiem Oberkörper sichtbar wird. „Jeder Muskel, jede Sehne wurde da erarbeitet wie bei der Statue eines Bildhauers“ beschreibt es der Filmemacher Volker Schlöndorff, der ihm schon öfter auch bei Proben zuschauen konnte. Kein Wunder, dass viele Choreographen speziell für ihn kreiert haben, darunter auch Guillaume Coté vom National Ballet of Canada das Solo „Cadavre exquis“, das extra für diese Doku zur Filmchoreographie  erweitert wurde. Coté erinnert sich an die erste Begegnung mit Friedemann mit den Worten „als dieser große deutsche Tänzer den Raum betrat und anfing zu tanzen, dachte ich, wir sind verloren…“


Friedemann Vogel. Copyright: Youn Sik Kim

Als eine der wenigen Tänzer-Persönlichkeiten unserer Zeit benennt ihn der ehemalige Pariser Etoile Nicolas Le Riche, der ihn anlässlich seines Starts als Ballettdirektor in Stockholm für die dortige Premiere von Marcia Haydées „Dornröschen“ als Prinz Desirée eingeladen hatte.

„Leicht, schnell, emotional und stets mit genauem, ein Gemeinschaftsgefühl entstehenden lassenden Augenkontakt“ schwärmt eine seiner beständigen Partnerinnen Polina Semionova, die ihn immer wieder zu ihren Galas nach Berlin einlädt und hier mit ihm bei der Probe eines Pas de deux aus MacMillans „Manon“ zu sehen ist.

Zu den Höhepunkten außerhalb von Stuttgart zählen seine seit 2003! regelmäßigen Auftritte beim World Ballet Festival in Japan als einziger deutscher Tänzer! Als Beispiel sind Proben und kurze Aufführungs-Phasen des zweiten „Kameliendame“-Pas de deux und aus dem von einer tackernden Schreibmaschine gesteuerten „Mono Lisa“ von Itzik Galili mit seiner häufigsten und ihm fast geschwisterlich verbundenen Partnerin und Stuttgarter Kollegin  Alicia Amatriain  zu sehen. Der führende Kritiker des Dance Magazine von Japan Masashi Miura beschreibt ihn als ideale Besetzung des Armand in John Neumeiers Choreographie, als trefflichen Charakter mit der ganz seltenen Kombination von Niedlichkeit und einer dahinter sichtbar werdenden Form von Melancholie.

Der letzte Gastspiel-Höhepunkt war sein Auftritt am Bolshoi-Theater in Moskau, wo er an der Seite der dortigen Primaballerina Olga Smirnova mit nur kurzer Probezeit als Onegin eingeladen war – eine Partie, ein Werk, das für ihn seit der ersten Begegnung als Ballettschüler als heilig gilt, und mit dessen Debut vor wenigen Jahren ein ganz großer Traum für ihn in Erfüllung gegangen ist.

Von den vielen erhaltenen Auszeichnungen und Preisen (darunter der Erik Bruhn-Preis und der Prix de Lausanne) bedeutet ihm die 2015 erfolgte Ernennung zum Kammertänzer des Stuttgarter Balletts am meisten, sie ist quasi so etwas wie ein Ritterschlag. Unter den ehrenvollsten Auszeichnungen steht lediglich noch der Prix Benois aus.

Zeitbedingt hat die Krönung seiner Laufbahn mit dem Debut als Kronprinz Rudolf in MacMillans „Mayerling“ in diese Dokumentation keinen Eingang mehr gefunden, die Gestaltung dieses komplexen historischen Charakters in Form der umfangreichsten und technisch wie konditionell forderndsten Partie des Ballett-Repertoires darf jedoch als Ergänzung zu dieser Dokumentation nicht unerwähnt bleiben, beschreibt sie doch den Gipfel allerhöchster Ballettkunst und die im Filmbeitrag wörtlich genannte Übermenschlichkeit seines Körpers, für die der Name Friedemann (Vogel) steht. Speziell daran ist auch zu sehen, in welcher exzellenten Verfassung er mit 40 Jahren ist (wo die allermeisten Tänzer bereits abgetreten oder ins körperlich anspruchslosere Charakterfach gewechselt sind), ja sogar noch besser als je zuvor tanzt. Kein Wunder, dass er da noch nicht ans Aufhören und eine Planung danach denkt. Lediglich bei der Materie Ballett und Tanz zu bleiben, dessen ist er sich sicher.

Dazwischen posiert Friedemann zur Abwechslung und zum Spaß auch gerne für die Modebranche in Verbindung mit einem Interview und hat dadurch auch Kontakte zum Film geknüpft.

In den Bereich Tanzfotografie gehört das Projekt seines Stuttgarter Kollegen Roman Novitzky, der ihn im See vor der Stuttgarter Oper flankiert von zwei Schwänen mit choreographischen Anleihen aus „Schwanensee“ posieren lässt. Ein in der Tat außergewöhnlicher künstlerischer Ausflug.

Katja Trautwein beleuchtet in ihrer Film-Doku auch die Kehrseiten des Ruhms: hinter dem Jubel und all den Blumen, die ihm in besonderem Ausmaß das ihn beinahe vergötternde japanische Publikum entgegenbringt, folgt die Einsamkeit im Hotel, bei längeren Tourneen und Gastspielen geht ihm der Kontakt zu Familie und Freunden schon sehr ab.

Rund 40 bedeutende Bühnen in 24 Ländern – so lässt sich die Kapazität des einzigen deutschen Weltstars des Tanzes kurz zusammen gefasst umreißen. Ein Star allerdings, der wie in allen Gesprächen zu bemerken ist, trotz aller Höhenflüge geerdet und bodenständig, ohne Allüren, immer noch lernbereit, neugierig, offen und kollegial geblieben ist.

Für Marcia Haydée ist er die Nr. 1 in der Welt (so das Schlusswort), und für viele Ballettfans in aller Welt ganz bestimmt auch!

    Udo Klebes

Opern-Streams rund ums Osterfest. Ein persönliches Stimmungsbild

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Opern-Streams rund ums Osterfest, 19.04.2020

Ein persönliches Stimmungsbild

Streamen – das war für mich bisher kein Thema, geht doch nichts über ein Live-Erlebnis. Schon das Stimmen der Instrumente erweckt Vorfreude, gepaart mit der Hoffnung, dass die Menschen im Umkreis nicht bis in die Ouvertüre hinein surfen, miteinander quatschen und ihre Husterei stoppen. Mitten ins Pianissimo zu husten, war lange vor Corona für viele offenbar ein Muss.  

Solche Störungen entfallen beim Streamen daheim, und alle Häuser haben zusammen mit den Sendeanstalten blitzschnell die Initiative ergriffen. Sie holen Perlen aus ihren Schatzkästen, senden sie kostenlos und machen mit den ins Netz gestellten Programmen 2020/21 Appetit auf die nächste Saison.

Denn die jetzige wird sich vermutlich nicht komplett zu Ende führen lassen. Das äußerte schon vor Ostern Oliver Reese, Intendant des Theaters Berliner Ensemble. Inzwischen wurden in Deutschland Großveranstaltungen bis Ende August untersagt. Abstand halten ist weiterhin gefordert und vonnöten. Die Bestuhlung der Opernhäuser, Theater und Konzertsäle lässt solches jedoch nicht zu, es sei denn, man würde nur wenige Menschen hineinlassen. Romeo und Julia mit Mundschutz schmusend – das wäre auch mal was Neues.   

Andererseits ergibt sich durch die Streams die Chance, Versäumtes nachzuholen, vor Jahren Erlebtes aufzufrischen und sogar Neues zu entdecken. Ähnlich wie bei „Oper im Kino“ lässt sich nun ein genauer Blick auf die Instrumentalisten sowie auf die Gesichter der Sängerinnen und Sänger werfen. Genau ist jetzt zu erkennen, wer die Rolle echt lebt und nicht nur Töne singt.   

Für meinen Start ins Streamen sorgte die Berliner Staatsoper, die folgendes veröffentlichte: „Damit Sie auch in Corona-Zeiten nicht auf Opern und Konzerte verzichten müssen, haben wir einen Spielplan zusammengestellt, für den Sie nicht auf die Straße gehen müssen. Erleben Sie zuhause Aufzeichnungen mit Ihren Lieblingskünstlerinnen und -künstlern aus der Staatsoper Unter den Linden. Hier finden Sie die Übersicht zu unserem digitalen Spielplan und den Link zum aktuellen Video-on-Demand-Angebot. Jeden Tag um 12 Uhr wechseln wir unser Programm, das Ihnen dann 24 Stunden zur Verfügung steht.“


Foto: Monika Rittershaus

 

Sogleich wählte ich Massenets „Manon“ von 2007 unter der Leitung von Daniel Barenboim mit Anna Netrebko in der Titelrolle und Rolando Villazón als ihr Lover, was ich 2007 durch eine längere Auslandsreise verpasst hatte.

Der Stream konnte nun diese Lücke füllen und das in erstaunlicher Qualität. „Die Staatsoper hat damals richtig Geld in die Hand genommen und diese Aufführung in Fernseh-Qualität von Profis aufzeichnen lassen“, weiß Chefdramaturg Dr. Detlef Giese. Heute  kann diese „Manon“ nochmals abgerufen werden!

Dass dieses damalige Traumpaar alle sofort begeistert hat, versteht sich von selbst. Die junge Anna – welch eine schlanke Schönheit, welch ein sexy Girl, welch eine überzeugende Schauspielerin.


Foto: Robert Millard

Ihr Sopran, 2007 noch von leichterem Wohlklang, zeigt in den dramatischen Schlussakten, wie viel Ausdruckskraft diese nie schrill werdende Stimme schon damals besaß und welches Potenzial – auch in den tieferen Bereichen – in Annas Sopran bereits enthalten war. Doch wer hätte 2007 erwartet, dass der Glanz von Rolando Villazóns schönem Tenor durch Überforderung so schnell dahinschwinden würde.

Danach war die Met an der Reihe und ließ mich nicht mehr los. Dieses Haus hatte die Saison vorzeitig beendet und bot sogleich Gratis-Streams in HD-Qualität und mit Suchtpotenzial.

Älteres und fast Neues stand und steht weiterhin zur Verfügung, stets das möglichst Beste vom Besten, mit Starbesetzung, fabelhaften Kostümen und zu den Werken passenden Inszenierungen. Oper wie einst, ein Fest für Augen und Ohren und passend zum eigenen Tagesverlauf wählbar.  (www.metopera.org).

Tannhäuser
Johan Botha, Eva-Maria Westbroek. Foto: Metopera.org

Mein Start wurde die Tannhäuser-Premiere vom 31. Oktober 2015 unter der Leitung von James Levine. Johan Botha in der kraftvoll und variantenreich gesungenen Titelrolle gewann – dem Zwischenbeifall zufolge – sofort die Herzen des Publikums. Dass er aufgrund von Leberkrebs nur noch ein knappes Jahr leben würde, merkte ihm sicherlich niemand an. 2016 wurde er zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt und starb, erst 51 Jahre alt, in Wien am 08. Sept. 2016.

Unverwechselbar hat er seinen Part mit Leben erfüllt, die Rom-Erzählung – grandios! Mit Michelle DeYoung als Venus und Eva-Maria Westbroek als Elisabeth hatte er perfekte Partnerinnen. In weiteren Rollen gefielen Peter Mattei als Wolfram und Günther Groissböck als Landgraf Hermann von Thüringen. Wie ein Donnerhall setzte sich der Chor des Hauses in Szene, und auch das Orchester ließ keine Wünsche offen.  

EclairPlay - France - Movie: THE METROPOLITAN OPERA: DIALOGUES DES ... 

Der totale Kontrast dann am folgenden Tag: Poulenc’s „Dialogues des Carmélites“, eine Aufführung vom  11. Mai 2019 unter dem neuen GMD  Yannick Nézet-Séguin. Zu diesem Chefdirigenten kann man/frau der Met nur gratulieren. Vor vielen Jahren gab er seinen Einstand bei den Berliner Philharmonikern. Jeden Takt setzte er, ohne zappelig zu wirken, körperlich in Musik um. Selbst die Berliner Philharmoniker zollten ihm stehend Beifall. Eine äußerst seltene Anerkennung für einen Newcomer.

Dieses stille und sich während der Französischen Revolution dramatisch zuspitzende Werk nimmt im Verlauf mehr und mehr gefangen. Die Titelpartie der stets von Ängsten geplagten Blanche de la Force sang Isabel Leonard. Blanche war den Revolutionären entkommen, kehrte aber am Tag der Hinrichtung zu ihren Ordensschwestern zurück und legte als letzte den Kopf unter die Guillotine.

Auch Adrianne Pieczonka, Erin Morley, Karitta Mattila und Karen Cargill  machten diese Oper zu einer Hommage für diese tapferen Frauen.  

Don Carlo - Metropolitan Opera - YouTube

Danach Verdis „Con Carlo“ vom 11. Dezember 2010. Große Liebe, große Freundschaft bis in den Tod, bekanntlich Dramatik pur. Selbst wer das Stück gut kennt, kann sich dieser faszinierenden Met-Variante kaum  entziehen.
Die Herren Roberto Alagna (Don Carlo), Simon Keenlyside (Rodrigo) and Ferruccio Furlanetto (Philipp II) waren sämtlich bestens bei Stimme. Die Palme errang jedoch der seinerzeit 61jährige Furlanetto.
Wie oft mochte er schon damals die Arie „Sie hat mich nie geliebt (Ella giammai m´amo)“ gesungen und sofortige Ovationen erhalten haben? Die Damen Marina Poplavskaya als Elisabeth und Anna Smirnova als eifersüchtige Prinzessin Eboli beeindruckten ebenfalls, während Nézet-Séguin für den passenden Verdi-Drive sorgte.

Dass viele Musikfans Bizets „Les Pêcheurs de Perles“ (Die Perlenfischer) lieben, zeigte sich sofort in der voll besetzten Met am 16. Januar 2016. Diana Damrau als Priesterin Leila ließ ihre Koloraturen durch den Dschungel strömen, gestaltete aber auch die dramatischen Teile packend. Ein Sopran, kombiniert mit Schauspielkunst, der offenbar alles kann. Auch der Dirigent Gianandrea Noseda engagierte sich hörbar.
Dennoch beherrschen die Arie des Nadir (Matthew Polenzani) „Je crois entendre encore“ und vor allem sein Freundschaftsduett mit Zurga (Mariusz Kwiecien) „Au fond du temple saint“ leitmotivisch das gesamte Stück, das für Bizet leider kein Erfolg wurde. Seit Jahren erobert es nun die Opernbühnen. Viele Stars haben diesen Ohrwurm aufgenommen. Auf  Youtube hat die Kombination Hvorostovsky & Kaufmann vom 20.06.2009 bereits rd. 2,7 Millionen Klicks erreicht. Wäre ich Leila gewesen, hätte ich mir den schlanken polnischen Bariton Mariusz Kwiecien (Zurga) erwählt. Von den Männern erhält er zuletzt den größten Beifall.

Doch bei Verdis Schauerstück „Macbeth“ vom 11. Oktober 2014 ist Schluss mit der Ohrenschmeichelei. Ehrgeiz und Mordlust sind angesagt und deutlich wahrzunehmen. 

Für die erblondete Anna Netrebko wurde dieses Met-Debüt mit Željko Lučić als Partner zu einem Riesenerfolg, wird doch ihr Sopran selbst in den schlimmsten Szenen nie schrill und gelangt stets ohne Registerbrüche satt in die Tiefe. So wie sie schaffen das nur wenige.
Großartig auch der Bass René Pape als Banquo und der Tenor Joseph Calleja als Malcolm sowie bravouröse Chorsleistungen inklusive. Eine Gänsehaut-Aufführung.

Bescherte Bellinis „Norma“ vom 7. Oktober 2017 ein erleichtertes Aufatmen? Nicht wirklich, denn auch in dieser Oper dominiert das Herzeleid. Sondra Radvanovsky in der Titelrolle – ein Sopran, so rein und klar, mit ganz fein ziselierten und dann wieder dramatischen Nuancen – das war hinreißend und weit mehr als ein perfektes Koloratur-Ereignis.

Eigentlich sollten wir sie jetzt am 18. April  als Aida in der Deutschen Oper Berlin erleben. Doch nicht nur diese Vorstellung wurde Corona-bedingt abgesagt.

Als der Römer Sever, der Norma wegen der jüngeren Priesterin Adalgisa verlassen hatte, agiert zunächst betont brutal Joseph Calleja. Erst zuletzt, als er sich wieder Norma zuwendet und freiwillig mit ihr in den Feuertod geht, erhält sein Tenor wieder das warmstrahlende Timbre, für das er international geschätzt wird.  

Spannend geraten auch die Duette der beiden Frauen. Beeindruckend singt Joyce DiDonato  die Rolle der jüngeren Priesterin Adalhisa als zunächst total in Sever Verliebte. Doch als sie gewahr wird, dass er sich ihretwegen von Norma getrennt hat, will sie von diesem Mann nichts mehr wissen. Resolut widersteht sie seinen Liebesschwüren.  

Immerhin gab es stattdessen schon am 06. April den Met-Stream „Aida“, eine Produktion vom Oktober 2018 mit Anna Netrebko in der Titelrolle und der Powerfrau Anita Rachvelishvili (Mezzo) als ihre bitterböse Rivalin Amneris. Aleksandrs Antonenko mit markigem Tenor gab den von beiden Frauen geliebten Radames. Auf Youtube ist er als  Otello und mit „Nessun dorma“ aus Turandot zu hören.
Der Aufwand, mit dem die Met diese Aida-Produktion in Szene gesetzt hat, ist fast zuviel des Guten. Vor mächtigen antiken Kulissen tummeln sich Reiter hoch zu Ross, massenhaft siegreiche Krieger oder armselige Gefangene (Chorsänger und Komparsen). Kein Wunder, dass die Met schon länger finanzielle Probleme hat, obwohl großzügige Sponsoren solche Aufführungen ermöglichen.
Weit stärker nehmen die Duette und Terzette vor dunklem Hintergrund gefangen. Wie Quinn Kelsey als Aidas Vater Amonasro seine verzweifelte Tochter erpresst, damit sie dem Radames den Schleichweg des Heeres entlockt, gehört zu den Höhepunkten dieser Aufführung.  

Parsifal
Jonas Kaufmann. Foto: Ken Howard/ Metopera

Danach für mich Pause bis zu  Wagners „Parsifal“ vom 2. März 2013 mit einem noch sehr jung wirkenden Jonas Kaufmann. Was Bart abrasieren so alles bewirkt. Wie stets hat er sich diese Rolle voll angeeignet. Er ist Parsifal, der reine Tor, der das Geschehen bei den Gralshütern überhaupt nicht versteht und unbeteiligt die blutende Wunde des laut klagenden Amfortas (Evgeny Nikitin!!) von ferne betrachtet.

Ein weißes Hemd verdeckte Nikitins angeblich nazistisches Tattoo aus Jugendzeiten als Black Metall-Musiker. Deswegen unter Druck geraten verzichtete er bekanntlich auf die Rolle des Fliegenden Holländers, die er 2012 in Bayreuth singen sollte. Doch auch ohne die „Bayreuth-Weihe“ gelang ihm seither dank seiner tollen Stimme und Schauspielkunst eine internationale Karriere. An der Met sogar in Wagners Bühnenweihfestspiel.

Mit Jonas Kaufmann in bester Verfassung, René Pape als überzeugender Gurnemanz, Katarina Dalayman als Kundry und Peter Mattei als Klingsor wird dieser gestreamte „Parsifal“ auch zu einem Sängerfest.

Über Ostern haben sich abstandsbedingt sicherlich viele durch die Musik trösten lassen, ich mich durch weitere Met-Streams wie Gounod’s „Roméo et Juliette“ mit Diana Damrau und Vittorio Grigolo sowie durch Donizettis  „Don Pasquale“ mit Anna Netrebko als frechen Wirbelwind. John Del Carlo, der sich als reicher alter Mann auf Freiersfüßen lächerlich macht, konnte einem eigentlich leidtun. Am 2. Nov. 2016 mussten die Familie und die Met tatsächlich um ihn trauern.

Und garantiert nicht lustig ist Mozart’s „Cosi fan tutte“,  selbst wenn in der Met das Stück vom 31.03.2018 auf einem Rummelplatz spielt und es an Gags, kuriosen Einfällen, Riesenrad und buntem Getier nicht fehlte. Die mir bis auf Christopher Maltman unbekannten Sängerinnen und Sänger machten ihre Sache superb.  

Doch welch einen gemeinen da-Ponte-Plot garnierte Mozart mit seiner spritzig-gefühlvollen Musik. Der Inhalt ist desillisionierend. Nach aller Munterkeit bleiben zwei seelisch lädierte Paare übrig, die wohl nie mehr einander voll vertrauen können.

Auch Dvořáks „Rusalka“ vom 08.02.2014, ein Wassernixentraum in allen Grüntönen mit Renée Fleming und Piotr Beczala, hat das schwierige Miteinander zweier Menschen zum Thema. Hinter den weithin verbreiteten Volksmythen verbirgt sich oft viel schmerzlicher Realismus.

Zwei Menschen aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen – hier eine kühle schöne Nymphe und ein leidenschaftlich liebender Prinz – passen auf  Dauer nicht zusammen. Ihre Liebe scheitert und endet bei ihm in reuevollen Wahnvorstellungen und dem Suizid. Renée Fleming und Piotr Beczala singen und spielen dieses traurige Märchen mit Hingabe und ernten Ovationen.   


Rene Pape. Foto: Metopera

Die Ingredienzien Reue und Wahn  beherrschen auch Mussorgskys Boris Godunow“, aufgeführt im Oktober 2010 an der Met. Das Volk vertraut ihm, fast gegen seinen Willen wird er zum Zaren gekrönt. (Der echte Boris herrschte von 1598 – 1605 über Russland).

Glücklich wird er in diesem hohen Amt nicht. Sein Mord am Zarewitsch, um selbst auf den Thron zu gelangen, lastet mehr und mehr auf seiner Seele. Um diese Untat zu sühnen, versorgt er das Volk großzügig, doch in einer Hungersnot knüppeln seine Schergen die um Brot bettelnde Menge nieder.

Boris Godunow ist eine gewaltsame Oper mit einer schillernd gewaltsamen Musik. Bei Valery Gergiev ist sie in besten Händen und bei René Pape als Boris in bester Bass-Kehle. Über einen ebenfalls kräftigen Bass verfügt Mikhail Petrenko als Mönch und Chronist Pimen.

Gegenspieler von Boris wird ein ehemaliger Mönch, der nach Litauen flüchtet ist. Wie der ermordete Zarewitsch nennt er sich Dimitrij und behauptet, den Anschlag überlebt zu haben. Mit einem Heer rückt er gegen Moskau an, um auf den Zarenthron zu gelangen. Der stattliche Aleksandrs Antonenko in dieser Rolle punktet mit einem kraftvollen Tenor.

Das Volk probt den Aufstand, rüde Folterszenen schrecken. Boris Godunow, in Halluzinationen immer häufiger das ermordete  Kind sehend, verfällt zunehmend dem Wahnsinn. Genau lässt der Stream erkennen, wie Papes Lippen zittern, seine Augen schielen und er als Wrack zusammenbricht. Er ist jetzt Boris Godunow, und wie er seine fordernde Rolle in dieser Anspannung singt, ist eine Wunderleistung. Donnernder Applaus in der Met und für mich der albtraumhaltige Höhepunkt aller bisherigen Streams. 

Lässt sich solch eine Leistung wiederholen? Gesanglich vielleicht in etwa, womöglich auch von René Pape selbst bei der virtuellen „At-Home Gala“ der Met am 25. und 26. April, eine Corona bedingte wagemutige Initiative.

Dann singen 40 internationale Stars live an ihrem Wohnsitz und werden von dort direkt zugeschaltet. Die bisherige alphabetische Liste reicht von Ildar Abdrazakov bis Sonya Yoncheva. Zugeschaltet werden auch General Manager Peter Gelb and Musikdirektor Yannick Nézet-Séguin. Eine Premiere neuer Art. 

Ursula Wiegand

Das Bachfest Leipzig 2020 trotzt Corona mit Bachs Johannes-Passion, April 2020

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Das Bachfest Leipzig 2020 trotzt Corona mit Bachs Johannes-Passion, April 2020

Am 06.April 2020, dem Montag in der Osterwoche, wurde das Bachfest Leipzig von der Stadt Leipzig Corona bedingt abgesagt. Die potenzielle Gefährdung von Gästen, Künstlern und Mitarbeitern sei zu hoch. Hinzu kämen die weltweiten Ein- und Ausreiseverbote sowie die Einschränkungen des Flugverkehrs durch die Pandemie, lautete die Begründung.


Die Thomaskirche in Leipzig. Foto: Ursula Wiegand

Diese Absage erklärt sich auch mit dem internationalen Charakter des Bachfestes, das seit dem Jahr 2000 – Johann Sebastian Bachs 250. Todestag – in großem Rahmen begangen wird. Neben den Bayreuther Festspielen, die am 31. März die Reißleine gezogen hatten, gilt das Bachfest Leipzig wegen der Zusammensetzung des Publikums als das am meisten international geprägte Musikfestival Deutschlands.

Vom 11.- 21. Juni sollte es stattfinden. 25.000 Tickets hatten Bachfans aus mindestens 42 Ländern bereits gebucht. Es hätte vermutlich einen Besucherrekord gegeben. „Beim diesjährigen Leipziger Bachfest im Juni wollten wir unter dem Motto „BACH – We Are Family!“ mit fast 50 Bach-Chören aus der ganzen Welt die größte Party der globalen Bach-Familie aller Zeiten feiern. Ob aus Malaysia, Kanada, Australien, Neuseeland, Paraguay, Südafrika, Japan oder Europa – von allen fünf Kontinenten wollten Sängerinnen und Sänger nach Leipzig pilgern, um gemeinsam Bach zu musizieren. Ein Festival-Höhepunkt sollte am 13. Juni die Aufführung einer kammermusikalischen Fassung der Johannes-Passion auf dem Marktplatz werden, gespielt vor 5.000 Zuhörern – und mit ihnen! Denn Sie alle sollten in Bachs unsterbliche Choräle einstimmen“, schrieb nach dem Aus Intendant Prof. Dr. Michael Maul.  

Nach Angaben des Bach-Archivs stelle die Absage das Festival „vor eine große Herausforderung“, die für alle Beteiligten „existenzbedrohend“ sei. Man erarbeite nun einen Plan für die Rückabwicklung der 150 Einzelveranstaltungen. Bereits erworbene Tickets könnten entweder umgetauscht, gespendet oder rückerstattet werden.


Bach an der Thomaskirche- Foto: Ursula Wiegand

Zu wenig Geld zu haben, war allerdings schon für Johann Sebastian Bach, Vater von ursprünglich 20 Kindern, von denen die Hälfte überlebte, ein Thema. Auch musste er seine Sänger und Musikanten entlohnen. Öfter hat er sich bei den Leipziger Dienstherren über sein zu niedriges Salär beschwert. Sein Standbild vor der Thomaskirche zeigt ihn mit einer leeren, demonstrativ umgestülpten Manteltasche.

Doch was Bach und seine Familie damals mit enormem Fleiß geschafft hatten, bekam in Rekordzeit 2020 auch das Bachfest Leipzig auf die Reihe und hatte darüber hinaus sogleich eine gute Botschaft: Das diesjährige Bachfest geht nicht verloren, es wird auf den 10. bis 19. Juni 2022  vertagt.

„Alle für 2020 verpflichteten Bach-Chöre haben uns bereits signalisiert, dass sie auch zu einem späteren Festival-Jahrgang nach Leipzig reisen würden“, freut sich Prof. Maul. Warum erst in zwei Jahren?  Das Programm für das Bachfest 2021 steht bereits fest. Ab dem 16. November d. J. beginnt bereits der Vorverkauf. Sein Motto lautet „Erlösung“.

Trost und Erlösung gab es jetzt jedoch schon am Karfreitag, also nur vier Tage nach der Absage. Eine kammermusikalische Fassung von Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion wurde live um 15 Uhr – die als Todesstunde Jesu gilt – aus der Thomaskirche in alle Welt gestreamt und hat überall die Menschen berührt und begeistert. Mehrfach wurde sie an diesem Tag ausgestrahlt.

Durch einen Wettlauf gegen die Uhr und die perfekte Zusammenarbeit von Experten rund um den Globus wurde dieses mediale Karfreitagswunder ermöglicht. Das Bachfest-Motto „We are family“ ist also kein leeres Wort. Tag und Nacht wurde an diesem neuartigen Projekt gearbeitet. Dabei zeigte es sich, dass die internationale Bach-Familie nicht nur sorgsam Altes pflegt. Sie weiß auch die digitalen Möglichkeiten der Gegenwart bestens zu nutzen.

Dreier-Team Glück im Unglück kam hinzu, wie Prof. Maul es einige Tage später genauer schildert. Schon vorher hatte er mit einem jungen Team eine Mitsing-Johannes-Passion verabredet, die am 13. Juni 2020 im Rahmen des Bachfestes auf dem Leipziger Marktplatz mit 5.000 Publikumssängern stattfinden sollte.

Im Vorjahr hatte Maul von der kammermusikalischen Variante dieser Passion erfahren, die 2019 als Innovativstes Konzert des Jahres mit dem Preis „Opus Klassik“ ausgezeichnet wurde. Die hörte er sich in Weimar an und setzte sich danach sogleich mit den „Machern“ zusammen – dem isländischen Tenor Benedikt Kristjánsson, dem Schlagzeuger Philipp Lamprecht, der Cembalistin Elina Albach und Steven Walter, dem Produzenten vom „PODIUM Esslingen.“ Schnell war man sich einig. 

Doch dann kam Corona. Anfänglich war Maul noch gelassen, „doch binnen drei Wochen wuchs die Einsicht, dass mein großer Traum der größten Zusammenkunft der globalen Bach-Community aller Zeiten im diesjährigen Bachfest erstmal ein solcher bleiben wird“, erzählt Maul. Zusammen mit Steven Walter vom PODIUM Esslingen entstand jedoch die Idee, diese Corona adäquate Trio-Fassung am Karfreitag in der Thomaskirche vor dem Bach-Grab aufzuführen und weltweit zu streamen.

„Diese Johannes-Passion war ein Projekt, das wir innerhalb von kaum drei Wochen gestemmt haben“, betont Maul. Nach insgesamt 170 Jahren Bachfest sollte 2020 trotz Corona nicht ohne Bachfest-Aktivitäten bleiben.

Und alle von nah und fern machten mit. Martin Hundertmark, Pfarrer der Thomaskirche, stimmte ebenso zu wie Thomaskantor Gotthold Schwarz. Da auch im Ausland Restriktionen herrschten, wurden die Hälfte der Chöre vorproduziert und Videos angefertigt. Die übrigen Choräle sollten von Sängerinnen und Sängern um Gotthold Schwarz gesungen werden.

Der Wettlauf gegen die Uhr begann. „David Chin mit seinen Malaysia Bachfest Choir & Orchestra, Lisette Canton mit dem Ottawa Bach Choir, die J. S. Bach-Stiftung St. Gallen und der Thomanerchor Leipzig.  Sie alle lieferten binnen Wochenfrist wunderbar produzierte Einspielungen“. Schließlich haben David Chin in Malaysia und sein Kollege in Hongkong die sechs Videos über Nacht zusammengeschnitten“, lobt Maul. Auch weltbekannte Bach-Stars tat en das Ihre. Sie alle sangen und musizierten  daheim und spielten dann ihre Parts zu „Ach großer König“ in die Kamera.

Maul selbst geigte vor dem Bach-Denkmal an der Thomaskirche und sagt nun ganz ehrlich: „Ach, hätte ich nur vorher nochmal in die Noten geschaut, aber auch so ist Bach wegen meines konstant falschen f statt fis in der letzten Choralzeile nicht vom Denkmal heruntergestiegen, um mir eine Ohrfeige zu verpassen.“

Selbst die Beschaffung der für dieses Adhoc-Projekt benötigten Gelder wurde kein Krimi. Die Aufführung wurde in Zusammenarbeit mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) realisiert und insgesamt durch Spenden der Stiftung Chorherren zu St. Thomae und der Neuen Bachgesellschaft e. V. ermöglicht. Unterstützt wurde sie auch durch die Partnerschaft mit den Ludwigsburger Schlossfestspielen und weiteren Festivals. Der (MDR) produzierte auch kostenfrei einen Trailer.

Die Proben begannen am 9. April, dem Gründonnerstag, spätnachmittags! Als Choristen „opferten“ sich Damen und Herren, die sonst als Solisten/innen auftreten: Isabel Meyer-Kalis und Julia Sophie Wagner, Sopran, David Erler, Altus und Wolfram Lattke, Tenor, und Thomaskantor Gotthold Schwarz, Bass, der auch dirigierte. Hartmut Becker, Violoncello und Mechthild Winter, Orgel, vervollständigten die kleine Gruppe. Von allen wurden – auch von den Kameraleuten – die Corona bedingten Abstandsregeln genau eingehalten.

Die Chöre für den Live-Stream am Karfreitag lieferten, wie schon erwähnt, der Ottawa Bach Choir (Kanada), die J. S. Bach-Stiftung St. Gallen (Schweiz), Mitglieder des Thomanerchors Leipzig, die Malaysia Bach Festival Singers and Orchestra und außerdem der Bachfest-Family-Chor mit Miriam Feuersinger (Sopran, Österreich), Reginald Mobley (Altus, USA), Martin Petzold (Tenor, Deutschland), Klaus Mertens (Bass, Deutschland), Michael Maul (Violine), Rudolf Lutz (Klavier, Schweiz) und Ton Koopman (Orgel, Niederlande).


Bachfest Leipzig 2020 Johannes Passion: Benedikt Kristjánsson, Foto: MDR/Stephan Flad

Doch ein Könner stand bescheiden, aber mit spürbarer Hingabe im Mittelpunkt: Der isländische Tenor Benedikt Kristjánsson. Für ihn ging nun ein Traum in Erfüllung. „Vor acht Jahren war ich zum ersten Mal in der Thomaskirche in Leipzig. Ich hatte einen Blumenstrauß in der Hand und Tränen in den Augen. Beides legte ich auf Bachs Grabplatte. Seit diesem Moment habe ich davon geträumt, in der Thomaskirche zu singen… Ich bin sehr dankbar und ich hoffe, dass Bach-Liebhaber auf der ganzen Welt mit mir singen werden.“

Kristjánsson, der diese Variante von Bachs Johannes-Passion entwickelte, hat sie sich voll zu eigen gemacht. Er braucht keine Noten. Lebendig aber mit sparsamen Gesten gestaltet er eindringlich seine drei Rollen. Klar und rein schwebt sein Tenor als Evangelist durch die Thomaskirche. Eine Stimme, der man stundenlang zuhören könnte.

Als Jesus und Pilatus muss er in die Tiefe, schafft aber auch diese beiden Basspartien. An dramatischen Stellen stöß er einige Worte sprechend hervor. Dass er vorher nervös war, wie er im Nachhinein bekannte, konnte ihm niemand anmerken. Ein Kommentator in der FAZ bezeichnete ihn später gar als den neuen Peter Schreier.


Bachfest Leipzig 2020 Johannes Passion: Philipp Lamprecht, Percussion. Foto: MDR/Stephan Flad

Zusammen mit Elina Albach (Cembalo) und Philipp Lamprecht (Percussions), die überzeugend den reduzierten Orchesterpart übernahmen, agierte und musizierte ein perfektes Dreier-Team. Bachs feingewebte Melodienbögen kamen auf Lamprechts Marimba bestens  zur Geltung. Wenn das Volk schreit „Weg mit Ihm“, ertönt ein Trommelwirbel.

Selbst der Mitsing-Wunsch von Maul und Kristjánsson ging indirekt in Erfüllung. In aller Eile hatte man zuvor ein digitales Programmheft mit Noten erstellt, das sich Sangesfreudige herunterladen konnten. Wer wollte, konnte sich beim Singen auch filmen lassen. 

Tatsächlich saßen bei diesem Live-Ereignis, das in mehr als 76 Länder gestreamt wurde, zahlreiche Bach-Enthusiasten mit den Noten daheim vor ihren Bildschirmen. „Sie sangen, spielten mit und betrachteten das Ganze als eine Art Kompensation für all die abgesagten Aufführungen von New York bis Tokio“, sagt Maul. Als Geiger und Intendant war bei der Aufführung auch in der Thomaskirche, hielt sich aber zumeist im Hintergrund. „Ich war ziemlich weggetreten und heulte wie ein Schlosshund“ erinnert er sich.

Sicherlich sind vielen die Tränen bei dieser außergewöhnlichen Karfreitagspassion, die gerade wegen ihrer  Schlichtheit beeindruckte, übers Gesicht gelaufen. Tausende Zuschauer von Alaska bis Neuseeland brachten ihre Rührung zum Ausdruck. Bis Ostern waren schon an die 10.000 Kommentare eingegangen. Sätze wie „dies war die ergreifendste Johannes-Passion, die ich je gehört habe“ oder „das hat uns diesen Karfreitag gerettet“, waren nach Mauls Worten nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ein Zuhörer aus Nigeria kommentierte „I sang along and I’m glad I didn’t miss one bit!“ (Ich habe mitgesungen, ich bin fröhlich und habe nichts vermisst!)

Bis zum vergangenen Wochenende wurde dieses Video bereits über 500.000 mal auf den Streaming-Portalen des Bach-Archivs, beim MDR und bei arte Concert abgerufen. Spontan spendeten Menschen aus der ganzen Welt 20.000 Euro für freischaffende Musiker. Sämtliche beim Bachfest Leipzig mitwirkende Künstler sind Freischaffende, die nun stark unter der Corona-Krise leiden. Die Spenden sollen ihnen die Mitwirkung an weiteren Darbietungen und Streaming-Formaten ermöglichen. (https://www.bachfestleipzig.de/de/corona)

Die Abrufe dieses Videos werden noch zunehmen und die Spenden hoffentlich ebenso, ist doch diese besondere Johannes-Passion bei MDR Kultur und MDR Klassik sowie bei arte TV weiterhin zu abrufbar.


Bachfest Leipzig 2020. Johannes-Passion wird gefilmt. Foto: MDR/Stephan Flad

Außerdem wird bereits von dieser Johannespassion, die auch ein Dokument der Zeitgeschichte darstellt, in Zusammenarbeit mit MDR/ARTE eine zweite und interaktive Fassung vorbereitet. In diese werden auch ausgewählte Mitsing-Videos integriert, die zu Dutzenden geschickt wurden. Diese Version soll im Juni ausgestrahlt werden. Das Datum ist noch nicht bekannt. Auf alle Fälle wird diese Johannes-Passion beim Bachfest 2022 auf dem Marktplatz in Leipzig und dann mit 5.000 Mitsingen „in echt“ zu erleben sein.

Beim schon erwähnten Bachfest Leipzig 2021 vom 11. bis 20. Juni mit dem Motto „Erlösung“ steht ein groß angelegter Zyklus mit geistlichen Werken Bachs im Zentrum: „Bachs Messias – Das Leben und Wirken Jesu von Nazareth in 33 Kantaten, drei Oratorien und der Matthäus-Passion“.

Der Zyklus aus elf Konzerten in vier Tagen knüpft konzeptionell an den 2018 mit großem Erfolg aufgeführten „Kantaten-Ring“ an. Die Konzerte werden dirigiert von Ton Koopman, Masaaki Suzuki, Hans-Christoph Rademann, Gotthold Schwarz, Václac Luks, Wolfgang Katschner und Justin Doyle. Der Schauspieler Ulrich Noethen spricht die Evangelientexte. Die Tickets für den gesamten Zyklus sind bereits ab Sommer 2020 erhältlich und vermutlich schnell vergriffen! 

Infos unter www.bach-leipzig.de und per Mail unter bachfest@bach-leipzig.de. Telefonische Buchung:
Mo–Fr: 8–21 Uhr, Sa: 8–20 Uhr, So: 10–20 Uhr
Aus Deutschland: 0 18 06-56 20 30 (0,20 € pro Anruf aus den dt. Festnetzen, max. 0,60 € pro Anruf aus den dt. Mobilfunknetzen). – Aus dem Ausland: +49-3871-2 11 41 91 (lokale Tarife)

Ursula Wiegand

ÜBERBLICK ÜBER SÄNGER UND DIRIGENTEN DER ERSTEN SPIELZEIT DER ÄRA ROSCIC

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ÜBERBLICK ÜBER SÄNGER UND DIRIGENTEN DER ERSTEN SPIELZEIT DER ÄRA ROSCIC

ÜBERBLICK Synonym-Lexikothek • ein anderes Wort für Überblick

Wer sich einen Überblick verschaffen will, wer da sein wird, wer neu kommt (und auch darüber, wer aller nicht mehr da ist!!!), der mag sich in die Liste vertiefen. Die Seitenzahlen verweisen auf die Broschüre, die Opernfreunde sich zweifellos zulegen werden: Dort kann man dann nachlesen, wo die Herrschaften eingesetzt sind.
Der kleine Kreis nach dem Namen deutet auf Debut, das „E“ (äußerst selten!) weist auf ein Ensemblemitglied hin, das „OS“ auf Mitglieder des Opernstudios.
So viele Namen, die wir nicht kennen…
Nun, wir werden sie kennen lernen, und wenn die Direktion Roscic gut gewählt hat, sind sie hoffentlich des Kennenlernens wert.
R.W.

Ildar Abdrazakov → 35
Laura Aikin → 52
Roberto Alagna KS → 15, 48, 51
Nicola Alaimo → 45
Louise Alder ° → 36, 37, 54, 57
Carlos Álvarez KS → 46
Enkhbat Amartuvshin ° → 53
Frédéric Antoun ° → 24, 45
Jane Archibald → 46, 50
Marco Armiliato → 47, 48
Stefan Astakhov ° OS → 21, 22
Gaëlle Arquez → 50
Liparit Avetisyan ° → 45, 55
Atalla Ayan ° → 51

Agnes Baltsa KS → 96
Wolfgang Bankl KS E → 50
Robert Bartneck ° E → 24, 36
Tanja Ariane Baumgartner → 46, 58
Piotr Beczała KS → 37, 50, 53
Daniel Behle → 17
Noa Beinart ° E → 15, 96
Giampaolo Bisanti → 55
Christina Bock ° → 31, 52
Vera-Lotte Boecker ° E → 21, 23, 52, 62, 96
Monika Bohinec E → 28, 52, 53, 55
Angela Brower → 49
Malin Byström ° → 35, 46 J

Javier Camarena → 46
Gianluca Capuano ° → 45, 54
Nicole Car ° → 28
Paolo Carignani → 53, 55
Charles Castronovo → 22
Paul Connelly → 86, 87, 88
Marianne Crebassa → 54

Diana Damrau → 96
Boaz Daniel E → 49, 52
Lise Davidsen → 49
Bertrand de Billy → 28, 35, 49, 50, 51
Freddie De Tommaso ° E → 14, 32, 37, 53
Sabine Devieilhe → 57
Larissa Diadkova
Plácido Domingo KS → 45, 53
Cyrille Dubois ° → 56
Dan Paul Dumitrescu E → 49, 54

Thomas Ebenstein E → 14, 49, 52, 57
Donna Ellen E → 24
Adrian Eröd KS E → 37, 49, 54, 57, 58
Yusif Eyvazov → 51

Michael Fabiano ° → 54
Daniela Fally E → 50, 52
Rosa Feola → 45, 47
Adam Fischer → 56, 57
Juan Diego Flórez KS → 28, 57, 96
Elīna Garanča KS → 26
Hibla Gerzmava → 45
Massimo Giordano → 51
Andrea Giovannini ° E → 15, 96
Renato Girolami → 54
Tamuna Gochashvili ° E → 19, 55, 57, 96
Igor Golovatenko ° → 24, 35
Anna Goryachova ° → 19
Stephen Gould KS → 49
Asmik Grigorian ° → 14, 15
Günther Groissböck → 37, 45, 56
Regine Hangler E → 52
Tomáš Hanus → 19, 53
Anja Harteros → 51
Martin Hässler ° E → 21, 23, 24, 52, 96
Hui He → 15
Markus Henn → 60, 61
Pablo Heras-Casado ° → 31
Saioa Hernández ° → 51
Simon Hewett → 87
Jennifer Holloway ° → 37, 49
Stephanie Houtzeel E → 52
Eve-Maud Hubeaux ° → 35
Benjamin Hulett

Dimitry Ivashchenko ° → 19
Brian Jagde ° → 48
Sara Jakubiak ° → 58
Philippe Jordan → 14, 15, 26, 32, 36, 37
Brandon Jovanovich → 49
Goran Jurić ° → 17

Hans Peter Kammerer KS E → 52, 62
Mika Kares → 56
Jonas Kaufmann → 26, 35
Sergey Kaydalov ° E → 22, 23, 45, 47, 49, 96
Ilja Kazakov ° OS → 24
Joanna Kędzior ° E → 45, 62, 77, 96 P
Peter Kellner E → 22, 23, 26, 28, 51, 96
Quinn Kelsey ° → 55
Eun Sun Kim ° → 51
Kangmin Justin Kim ° → 21
Axel Kober → 57, 77
Wolfgang Koch → 26, 51
Tomasz Konieczny KS → 46
Dmitry Korchak → 47
Olga Kulchynska ° → 22
Aleksandra Kurzak → 48

Michael Laurenz E → 17, 50, 52
Kate Lindsey → 31, 56
Federica Lombardi → 36
Long Long ° → 57
Michèle Losier → 23, 57
Josh Lovell E → 21, 47, 62, 96
Irina Lungu → 49

Ambrogio Maestri → 45, 48
Stephanie Maitland ° OS
Joana Mallwitz ° → 15
Antonello Manacorda → 17
Ruzan Mantashyan ° → 51
Alexey Markov → 51
Aurora Marthens ° OS
Najmiddin Mavlyanov ° → 45
Cornelius Meister → 52, 58
Ricarda Merbeth KS → 34
Vida Miknevičiūtė ° → 46
Nina Minasyan ° → 55
Attila Mokus ° E → 24, 51
Stefano Montanari ° → 56
Pier Giorgio Morandi → 45, 51
Erin Morley → 37, 47, 49
Regula Mühlemann E → 17, 52, 57
Hanna-Elisabeth Müller E → 50

Benedict Nelson ° → 47
Anna Netrebko KS → 32, 51
Georg Nigl → 52
Evgeny Nikitin → 46
Patricia Nolz ° OS → 14, 15
Camilla Nylund KS → 34, 49, 52, 56

Kristīne Opolais → 53
Lisette Oropesa ° → 17
Andrés Orozco-Estrada ° → 22, 23
Carlos Osuna E → 22, 23

Adam Palka ° → 28
René Pape KS → 57
Marcus Pelz E
Michele Pertusi → 47, 56
Albert Pesendorfer → 37
Evelino Pidò → 45, 47, 49, 54
Boris Pinkhasovich E → 14, 15, 47, 56
Anna Pirozzi ° → 53, 55
Luca Pisaroni → 54
Margaret Plummer E → 24, 27
Benjamin Pope ° → 83, 88
Dmytro Popov → 23
Vito Priante → 54
Marina Prudenskaya ° → 46
Boris Prýgl ° → 28
Marcelo Puente ° → 15

Anita Rachvelishvili → 22
Brenda Rae → 17
Michael Rakotoarivony ° OS → 22
Robert Reimer ° → 85
Johan Reuter → 58
Edgardo Rocha → 54
Matthew Rose ° → 47
Paolo Rumetz E → 45, 56

Xavier Sabata ° → 31
Giacomo Sagripanti ° → 24, 45, 46
Luca Salsi → 32, 51
Fabio Sartori → 55
Roberto Scandiuzzi → 35
Andreas Schager → 56
Jochen Schmeckenbecher E → 37, 52
Jörg Schneider E → 34, 46, 52
Erwin Schrott → 22, 47, 57, 96
Andrè Schuen ° E → 19, 36, 51, 57
Michaela Schuster → 34
Levy Sekgapane ° → 45
Martina Serafin → 32, 37, 56
Isabel Signoret ° OS
Daniela Sindram → 37
Bo Skovhus KS → 21, 50
Philippe Sly ° → 36
Alexander Soddy → 23, 34, 46
Doris Soffel → 34
Evgeny Solodovnikov ° E → 53, 55, 62, 96
Jendrik Springer → 62
Michael Spyres → 49
Krassimira Stoyanova KS → 37
Aušrinė Stundytė → 34

Roberto Tagliavini → 32
Ramón Tebar → 15, 77
Ludovic Tézier → 26 C
Christian Thielemann → 49
Ileana Tonca E → 23
Théo Touvet → 47

Clemens Unterreiner E → 23, 45, 50, 52

Erik Van Heyningen ° OS → 21
Virginie Verrez E → 14, 28, 36, 49, 52, 57, 96
Klaus Florian Vogt → 58
Bogdan Volkov ° → 19
Michael Volle → 50
Okka von der Damerau → 56
Szilvia Vörös E → 22, 23, 52, 53, 96

Artyom Wasnetsov ° OS
Sebastian Weigle → 50
Franz Welser-Möst → 34
Derek Welton ° → 34
Eva-Maria Westbroek → 48
Willard White ° → 31
Vincent Wolfsteiner ° → 46

Pretty Yende ° → 24, 45
Sonya Yoncheva → 51
Kwangchul Youn → 58
Simone Young → 21, 47

Riccardo Zanellato ° → 53
Lawrence Zazzo → 47
Georg Zeppenfeld → 26
Elena Zhidkova → 53

WENER STAATSOPER: WAS PLANT BOGDAN ROSCIC FÜR SEINE ERSTE SAISON? EINKAUFSBUMMEL IN DER REGIETHEATER-BOUTIQUE, BETRACHTUNGEN ZUM SPIELPLAN

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EINKAUFSBUMMEL IN DER REGIETHEATER-BOUTIQUE

(Heinrich Schramm-Schiessl)

„Staatsoper 4.0“, das war das Schlagwort mit dem der damalige für Kultur zuständige Minister Thomas Drozda im Dezember 2016 den neuen Staatsoperndirektor Bogdan Roscic präsentiert hat. Es ist ihm damit zweifelsohne ein Überraschungscoup gelungen, denn den Chef von Sony-Classical hatte eigentlich niemand auf der Rechnung. Es wäre nicht Wien gewesen, hätte man sich nicht sofort daran erinnert, dass er einen für Opernfans dunklen Punkt in seiner Vita hat, nämlich den des Chefs des Popsenders Ö 3. Lange hüllte er sich in Schweigen. Auch ein Interview, das er Joan Holender für den Privatsender „Servus TV“ gab, brachte wenig Erhellendes. Insbesonders der Begriff „Staatsoper 4.0“ blieb weiter im Dunklen. Erst in Interviews für die Tageszeitungen „Kurier“ und „Presse“ gab er zu, damit selbst nichts anfangen zu können und dies offenbar ein Marketing-Gag Drozdas war.

Lange hielt er sich auch über seine Pläne bedeckt. Einzig drei Persionalentscheidungen gab er bekannt. Die erste, nämlich den Musikchef der Pariser Oper Philippe Jordan zum Musikchef des Hauses am Ring zu ernennen, war weitgehend unumstritten. Anders sieht es mit der Bestellung des Chefdramaturgen und des Ballettchefs aus. Ersterer wurde Sergio Morabito, langjähriger Assistent und Wegbegleiter des Regisseurs und ehemaligen Intendanten der Stuttgarter Oper Jossi Wieler, letzterer Martin Schläpfer, zuletzt Ballettchef der Deutschen Oper am Rhein. Mit Morabito ist nicht nur zu befürchten, dass einerseits das sogenannte Regietheater in seiner exzessiven Form Schwerpunkt der Neuinszenierungen sein wird und andererseits wir es vermehrt mit Inszenierungen von Wieler, die ja alles andere als unumstritten sind zu tun haben werden. Schläpfer hingegen gilt nicht gerade als Freund des klassischen Balletts, das gerade in Wien sehr beliebt ist. Da mich Ballett aber nur am Rande interessiert und meine Kenntnis darüber eher gering ist, werde ich darauf nicht weiter eingehen.

Nun ist es also soweit. Bogdan Roscic hat die Pläne für seine erste Saison präsentiert und zum Teil auch schon einen Ausblick auf spätere Spielzeiten gegeben. Ich möchte mich in diesem Artikel auf die Saison 2020/21 beschränken. Es gibt 10 Premieren, wobei nur zwei davon echte Neuinszenierungen, also speziell für das Haus erarbeitete Inszenierungen, sind (Das verratene Meer, Parsifal). Eine Produktion (L’incoronatione die Poppea) ist eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, was durchaus Tradition hat. Die restlichen Produktionen sind zwar neue Inszenierungen für die Staatsoper.wurden aber bereits zum Teil mehrfach an anderen Häusern gezeigt. Man könnte das auch einen Einkaufsbummel in der Regietheater-Boutique bezeichnen. Mit einer Ausnahme  – Mozarts „Entführung“ – handelt es sich dabei um Werke, die aktuell im Repertoire stehen.

Das kommt an sich nicht überraschend, denn es war eine der ersten Ankündigungen von Roscic, dass er Regisseure ans Haus bringen wird, die weltweit tätig sind, aber noch nie in Wien gearbeitet haben. Dagegen ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden – es handelt sich durchaus um Namen die die Augen der Regie-Affocinados zum Leuchten bringen – aber man könnte sich für ein Haus vom Rang der Wr. Staatsoper erwarten, dass diese Künstler hier Inszenierungen neu erarbeiten und wir nicht bereits an verschiedenen Häusern gespielte Produkte serviert bekommen.

Neben diesen Premieren gibt es auch noch drei Wiederaufnahmen und eine musikalische Neueinstudierung (Rosenkavalier). Besonders erfreulich ist, dass wir unsere alte Ponelle-Inszenierung von „Le nozze di Figaro“ wieder bekommen, die wahrscheinlich beste Inszenierung dieses Werkes die es je gegeben hat. Die beiden anderen Wiederaufnahmen betrifft die Kupfer-Inszenierung von „Elektra“ und den französischen „Don Carlo“ in der Konwitschny-Inszenierung. Zur kritisieren ist allerdings, dass zumindest in der kommenden Saison nur die französische Fassung des Werkes und nicht auch die beim Publikum viel beliebtere italienische gespielt wird.

Interessant ist, dass lediglich 41 Werke am Spielplan stehen, ca. um zehn weniger als bisher. Sehr spärlich das Angebot an Wagner-Opern. Die Neuinszenierung des „Parsifal“ sowie „Die Walküre“ und „Lohengrin“ – kein kompletter „Ring“ und auch nicht – schon länger vermisst – „Holländer“, „Meistersinger“, „Tristan“ und „Tannhäuser“.

Interessant auch, dass es, soweit ich es überblickt habe, erstmals seit der Wiedereröffnung des Hauses keinen „Fidelio“ gibt. Dass die Katastrophe der Urfassung nicht mehr kommt, war ja von Anfang an klar.

Musikchef Philippe Jordan wird fünf Werke dirigieren, ansonsten gibt es einige Wiederkehrer (Bertrand de Billy, Franz Welser-Möst, Cornelius Meister und Adam Fischer), einige Debutanten und zahlreiche schon in den letzten Jahren Tätige.

Bei den Sängern gibt es zahlreiche neue Namen und auch einige, die in den letzten Jahren selten bis gar nicht in Wien aufgetreten sind. Stellvertretend seien hier Tanja Ariane Baumgartner, Michael Spyres, Javier Camarena, Michael Fabiano, Georg Zeppenfeld und Albert Pesendorfer genannt.

Die absoluten derzeitigen Topstars sind größtenteils vertreten, zum Teil in zumindest für Wien neuen Rollen und auch die Fans von Placido Domingo dürfen sich freuen. Ob Günther Groissböck nach der Absage der Bayreuther Festspiele, wo er seinen ersten Wotan singen sollte, allerdings diese Rolle jetzt in Wien singen wird, bleibt abzuwarten.

Von den bisher den Wiener Spielplan bestimmenden Sängern sind viele auch weiter im Engagement, nicht wenige fehlen allerdings.

Die Premierenbesetzungen sind positiv durchschnittlich, wirkliche Knüller gibt es eigentlich nicht. Einen besonderen Stellenwert hat sicher der „Macbeth“ durch Anna Netrebko und am ausgeglichtesten erscheint der „Parsifal“ auch wenn man dem Debut von Elina Garanca als Kundrxy doch mit Ungewissheit entgegensehen muß.

Wie alle seine Vorgänger wird man Bogdan Roscic an dem zu messen haben, was man tatsächlich auf der Bühne hören und sehen wird. Er ist keinesfalls der Wunderwuzi als den ihn manche – ich nicht – schon gesehen haben aber man muss auch nicht in Verzweiflung verfallen. In jedem Fall ist noch ziemlich viel Luft nach oben.

Ein Anmerkung zum Schluss: Dieser Artikel ist unter der Voraussetzung geschrieben worden, dass das Programm in der vorgelegten Form stattfindet, was allerdings in Hinblick auf die Corona-Krise nicht sicher erscheint.

Heinrich Schramm-Schiessl

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Zum Spielplan der Wiener Staatsoper 2020/21. Betrachtungen von Dr. Klaus Billand


Bogdan Roscic. Copyright: Lalo Jodlbauer

Nun ist sie also bekannt, die erste Saison unter der neuen Staatsopern-Direktion von Bogdan Roščić. Und der erste Eindruck ist zumindest für mich ein rundum positiver. Meine folgenden  Kommentare basieren nur auf dem Saison-Buch 2020/21, da ich ORF III hier auf Teneriffa nicht empfangen kann. Zunächst einmal ist es erfreulich, dass ein Haus wie die Wiener Staatsoper nun mit zehn Premieren aufwartet, statt der mageren fünf bisher, auch wenn dabei einige keine Neuinszenierungen sind. Aber, was soll’s, warum kann man etwas anderswo Gelungenes nicht auch für das Gros des Wiener Publikums als Neues anbieten?! Das ist mir sogar viel lieber als eine Wiener Neuinszenierung, die so daneben geht wie neulich die „Leonore“ oder 2017 der „Parsifal“ von Alvis Hermanis, mit der man unter Wiener Normalbedingungen etwa zehn Jahre leben müsste. (Ich habe mich immer schon gefragt, warum man nicht mal nach Linz geschaut hat, die so viele Neuinszenierungen bringen und damit auch noch Erfolg haben).

Als Freund des Wagnerschen Oeuvres wäre ich damit auch schon bei meiner sicher eingeengten Betrachtung des Spielplans, zu dessen vollständiger Beurteilung andere sicher viel berufener sind. Es ist sehr zu begrüßen, dass der verklemmte, langweilig bis nervige und dennoch wohl sehr teuer gewesene Hermanis-Steinhof-„Parsifal“ nun wieder verschwindet, gegen den sogar der Mielitz-Vorläufer streckenweise eine szenische Offenbarung war – trotz der immer wieder aufscheinenden DDR-Aufarbeitung, die es damals allerdings auch schon fast 15 Jahre nicht mehr gab. Dass eine Produktion in Wien schon nach nur drei Jahren zurück gezogen wird, ist nicht mal in Bayreuth möglich, wo es frühestens nach vier Jahren geht, früher immer erst nach fünf oder sechs.

Erfreulich wäre es m.E. gewesen, statt des „Tristan“ in der folgenden Saison auch gleich den zweiten Steinhof-Wagner, den unsäglichen „Tannhäuser“ des auf verkopften Psycho-Inszenierungen mit regelmäßiger Personenverdoppelung stehenden Claus Guth zu entsorgen. Aber vielleicht hält man sich das ja für später vor. Erfreulich finde ich, dass der eigentlich auch nicht mehr anzusehende 08/15 „Ring“ von Sven-Eric Bechtolf langsam abgebaut zu werden scheint. Oder wie ist die alleinige Aufführung der „Walküre“ zu verstehen?! Bei mir ist natürlich der Vater des Gedankens, dass man begonnen hat, an einer Neuinszenierung des „Ring“ zu arbeiten – es wäre nur zu schön, um wahr zu sein. Denn es ist absolut wünschenswert. Ein Haus wie das am Ring kann bzw. sollte sich kaum eine oder zwei Saisonen ohne Wagners Tetralogie genehmigen, wo doch an vielen B-Häusern zum Teil recht gute zu sehen sind. Im Zuge der von Bogdan Roščić selbst so formulierten „Erneuerung des Wagner-Repertoires“ sollte er sodann auch mittelfristig an den Bierhumpen-„Lohengrin“ von Andreas Homoki gehen, den man auch nur noch aushalten kann, wenn die Ersten ihres Fachs auf der Bühne und am Pult stehen.

Das neue Team hat bei den Opernpremieren bedeutende Vertreter der ersten Liga der Regisseure verpflichtet, wie Neuenfels, Tcherniakov, Wieler/Morabito, Bieito, Stone, Kosky und Serebrennikov, der bekanntlich unter ungewöhnlichen Bedingungen arbeiten muss und dessen „Parsifal“ damit erst recht zu einem interessanten Interpretationsversuch werden könnte. Bei Frank Castorf für „Faust“ kann man sich auf seinen Ausstatter Aleksandar Denic freuen, ohne dessen Bühnenbilder, für die er völlig zurecht auch prämiert wurde, der letzte Bayreuther „Ring“ sich wohl nicht lange hätte halten können. Castellucci und Warlikowski würden sich noch empfehlen, aber das kann ja noch kommen…

Äußerst erfreulich ist, dass Günther Groissböck nun doch schon bald als „Walküre“-Wotan debutieren wird, nachdem es wegen der Covid 19-erzwungenen Absage der Bayreuther Festspiele ja nicht dazu kommen konnte und er damit auch endlich den Wiener „Haus-Wotan“ ablöst. Ob Martina Serafin eine „Walküre“-Brünnhilde sein kann, wäre wohl erst noch abzuwarten. Gespannt kann man natürlich sein auf die Kundry von Elina Garanca, den Amfortas von Ludovic Tézier und erfreulich natürlich der Parsifal von Jonas Kaufmann, der ihn ja schon in München 2018 und, wie ein eifriges Merker-Forums-Mitglied richtigerweise gleich heute früh anmerkte, auch schon in Zürich 2006, New York und Wien 2013, Sidney 2017 (konzertant) gesungen hat. Sein erneuter Wiener Parsifal ist also, de facto, keine Überraschung.

Sehr gespannt bin ich auch schon auf die Prudenskaya als Herodias und Evgeny Nikitin als Jochanaan. Mir fehlt unter den neuen Sängerinnen Elisabet Strid – aber was nicht ist, kann ja noch werden. Hocherfreulich ist jedenfalls, dass – wie eh schon bekannt war – die großartige „Elektra“-Produktion von Harry Kupfer wieder zurückkehrt. Sie hat das Zeug, eine Kult-Produktion ähnlich wie die Wallmann-„Tosca“, die Barlog-„Salome“ oder der Schenk-„Rosenkavalier“ zu werden. Gott allein weiß, warum die weg „musste“…

Was die Wallmann-„Tosca“ angeht, so kann es wohl nicht anders als ein Casting-Glanzstück des neuen Teams gewertet werden, dass es gelang, für drei „Tosca“-Serien gleich die Netrebko, die Yoncheva und die Harteros verpflichtet zu haben, Staatsopern-standesgemäß!

Und last but not least, ja alles andere als least, die Staatsoper hat wieder einen Musikdirektor! Und zwar einen sehr guten, erfahrenen und dazu noch bescheidenen und sympathischen Künstler, Philippe Jordan. Das eröffnet nach vielen Jahren des Durchhängens auf diesem so wichtigen Gebiet wieder eine ganz neue Dimension. Kurzum, das neue Team verdient schon jetzt einiges Lob, und man sollte ihm mit ersten Beurteilungen weit mehr Zeit geben als die berühmten ersten 100 Tage, wohl eine ganze Saison!

Klaus Billand, 26.4.2020

 
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WIENER STAATSOPER: GEDANKEN ZUR SPIELZEIT 2020/21


attitude Balletblog: This week’s recommendations: Apr. 30th, 2020

Europakonzert der Berliner Philharmoniker triumphiert über Corona

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Foto: Monika Rittershaus

Europakonzert der Berliner Philharmoniker triumphiert über Corona, 01. Mai 2020

„Musik als Lebensmittel“

Der schöne Monat Mai sollte nicht nur in Deutschland eigentlich ganz anders beginnen – auch für die Berliner Philharmoniker und ihren Chef Kirill Petrenko. Seit 1991 feiert das Weltklasseorchester genau an diesem Tag seinen Geburtstag und stets an einem historisch bedeutsamen Ort. Sei es in Sälen, Kirchen und Museen oder unter freiem Himmel wie 2017 in Europas damaliger Kulturhauptstadt Paphos auf Zypern.
Nun beim 30. Europakonzert sollte Tel Aviv das Ziel sein und sich außerdem eine Tournee anschließen. Doch auch bei diesem Kultur-Event machte Corona einen Strich durch die Rechnung. Also Kirill (statt Kevin) – allein zu Haus?
Keineswegs, und es werden auch keine der edlen Konserven gestreamt, die in der Digital Concert Hall 30 Tage lang bis vor kurzem gratis geboten wurden. Stattdessen trotzen in der leeren Philharmonie nun 15 Musikschaffende inklusive der Sopranistin Christiane Karg und Kirill Petrenko dieser Pandemie.
Zuvor wurden die zurzeit erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Sie alle, auch Petrenko, wurden zweimal negativ auf Corona getestet. Nun sitzen sie zwei Meter voneinander entfernt. Die Bläser, im Hintergrund postiert, halten sogar fünf Meter Abstand.

Der Wunsch, dennoch mit dabei zu sein, war bei den meisten der 128 Philharmoniker enorm groß. „Fünf Wochen haben wir für eine Lösung gekämpft, um das Konzert nicht absagen zu müssen“, erklärt Solo-Cellist Olaf Maninger vom Orchestervorstand. Klar, dass sich die Musiker nach der langen Zwangspause regelrecht um den Auftritt gerissen haben. Deshalb musste teilweise ausgelost werden, wer teilnehmen darf.“

Kultur ist halt keine Nebensache, sondern „ein Lebensmittel“, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer kurzen Eingangsrede formuliert hatte. Alle Philharmoniker/innen wollten endlich mal nicht nur daheim üben. Sie haben auch mit deutlich erkennbarem Eifer ein total verändertes Programm für nur 13 Instrumentalisten/innen einstudiert.

Ursprünglich hatten sie fünf Mahler-Lieder, seine Symphonie Nr. 4 sowie ein Violinkonzert von Max Bruch mit den dazugehörigen Solisten (Elisabeth Kulman, Mezzo, und Amihai Grosz, Viola) im Reisegepäck. Das angepasste Programm, das heute Abend noch einmal um 19.00 Uhr auf rbb Kultur und gratis in der Digital Concert Hall zu sehen und zu hören ist, umfasst folgende Werke:

Arvo Pärt Fratres, Fassung für Streichorchester und Schlagzeug
György Ligeti Ramifications
Samuel Barber Adagio for Strings
Gustav Mahler Symphonie Nr. 4, jedoch bearbeitet für Kammerensemble von Erwin Stein.

Die anfänglichen drei Stücken passen durchaus zu der vielerorts durch Corona noch immer verdüsterten Stimmung, während die eher beschwingte, teils fröhlich wirkende kammermusikalische Fassung von Mahlers Vierter Raum für vorsichtigen Optimismus öffnet. Auf alle Fälle sorgt die bekannt großartige Akustik der Berliner Philharmonie trotz dieser Spar-Besetzung für einen erstaunlich satten Klang.

In über 80 Länder wurde dieses andersartige Europakonzert ausgestrahlt und wird vermutlich vielen – gerade wegen der Reduzierung aufs Wesentliche – lange in Erinnerung bleiben. Zu verdanken ist das neben dem engagierten und feinfühligen Dirigat von Kirill Petrenko insbesondere den intensiv spielenden Mitwirkenden. Sie alle vertreten sozusagen ihre nicht anwesenden Kolleginnen und Kollegen, sind deswegen auch weit öfter als sonst quasi als Solisten tätig.

Im Stream – und das ist sein Vorteil – lässt sich genau erkennen, wie sie alle mit höchster Energie und Perfektion arbeiten, mit Herz und Hand und Hingabe. Eine Ausnahmeleistung selbst für langjährige Profis, die aber auch die volle Konzentration der Zuschauenden und Zuhörenden einfordert. Nicht wie sonst sich bei vollen Klängen mal entspannt zurücklehnen – auch die daheim sollten auf dem Sprung sein.

Unvergessliche Eindrücke entstehen, für mich von ähnlicher Sogwirkung wie bei der am Karfreitag aus der Leipziger Thomaskirche in alle Welt ausgestrahlten Schlicht-Variante von Bachs Johannes-Passion. Der Freitag 2020 scheint zum Glückstag zu werden, auch der am 1. Mai in Berlin.

Und besser als mit Arvo Pärts „Fratres“ kann ein solches Konzert in dieser vielfach von Trauer und diversen Ängsten geprägten Situation gar nicht beginnen. Mit diesem mystischen Schweben, unterbrochen von wiederkehrendem Schlagzeugeinsatz, der mahnt, dass alle gefühlte Sicherheit bedroht ist. Eine Musik, die bewusst zurückgeht zur Gregorianik und in noch tiefere Schichten. Klänge der Trost- und Gottsuche, für viele „bigger than life“.

Nach „Ramifications“, auf Deutsch Verästelung, einem flatterhaft unruhigen Kurzstück von György Ligeti, das die Berliner Philharmoniker 1969 uraufgeführten hatten, folgt mit Samuel Barbers „Adagio for Strings“ eines der bekanntesten Trauerweisen überhaupt.

Nach der Ermordung von John F. Kennedy (1963) und nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 wurde dieses innige Stück in den USA gespielt und ist seitdem nicht nur dort öfter zu hören. Arvo Pärts Tiefe erreicht dieses Werk nicht, schwebt aber – jetzt den Corona-Toten gewidmet – von den Streichern tonschön gestaltet durch die leere Philharmonie.


Foto: Monika Rittershaus

Doch nach der Umbaupause, in der alle – außer den damit Beschäftigten – den Saal verlassen müssen, ist mit Mahlers Vierter in kammermusikalischer Fassung wieder mehr Zuversicht angesagt. Kirill Petrenko, zuvor stets sehr ernst, hat nun oft ein verschmitztes Lächeln im Gesicht und legt sich mit den Seinen voll ins Zeug.

Das wirkt wie ein Aufatmen, wie ein erster Sonnenstrahl nach all’ dem vielfach zu spürendem Trübsinn und all den Sorgen der vergangenen Wochen. Glück hatte man außerdem, denn diese reduzierte Mahler-Version von Erwin Stein gibt es seit einigen Jahren, und die ursprünglich eingeladene Sopranistin Christiane Karg bleibt uns auch erhalten.

Gleiches gilt für die unveränderte Benennung der einzelnen Sätze. Die propagieren zwar sämtlich Ruhe und Behaglichkeit, doch daran halten sich Petrenko und seine Mitwirkenden eher nicht. Jetzt wird temperamentvoll musiziert, passend zur belebenden Mai-Sonne.

Dass aber Mahlers Vierte keine nur heitere Humoreske ist, zeigt sich sehr bald. Hinter aller Munterkeit lauert die Gefahr. Selbst der Bi-Ba-Butzemann, dessen Melodie sich durch das Werk zieht, ist nicht nur scheinbar ein lustiger oder grotesker Clown. Spuk und Gefahr werden nur übertüncht – auch das passt gut zur momentanen Situation.

Auf alle Fälle sind nun, wie anfangs erwähnt, die Musiker als zumeist Einzel-Veranwortliche besonders gefordert. Daher ist es enorm spannend, sie genau zu beobachten. Extremsportler der Musik, die auch im Ausland gefragt sind, zeigen sich hier hochkonzentriert bei der Arbeit, so Daishin Kashimoto als Erster Konzertmeister.

Ludwig Quant als die Nr. 1 am Cello, hat über das Entstehen großer Musik auf der Bühne nachgedacht und schreibt: „indem man sich ihr hingibt, anstatt sie sich untertan zu machen.“ Das gilt sichtlich auch für die anderen in dieser auf wenige Musiker/innen reduzierten Darbietung.

Den Flötisten Emmanuel Pahud sehe ich zumeist nur von der Seite, Albrecht Mayer erfreulicherweise von vorne, zwei Weltstars, deren stupende Leistung sich erst im Nahblick offenbart und höchste Wertschätzung verdient. Wie munter wippt Wenzel Fuchs (Klarinette) mit dem ganzen Oberkörper, während seine Finger über die Klappen huschen, und Kotowa Machida entgeht sicherlich nicht das geringste Detail.

Oft werfen sie sich die Töne ganz zielsicher zu, sie alle können sich aufeinander verlassen. So deutlich habe ich das selbst im Block A sitzend und mit Fernglas noch nie sehen und bewundern können. Das Harmonium als Orgelersatz spielt Hendrik Heilmann von der Akademie der Künste, um nur einige zu nennen.

Am Abend musste ich mir unbedingt dieses Ausnahme-Konzert erneut abrufen, um noch mehr als bisher von Mahlers Polyphonie zu entdecken und wahrzunehmen, wie sich die Musiklinien zwischen den einzelnen Künstlern und Künstlerinnen entwickeln. Soviel von meiner immer noch knappen Zeit hat diese Ausnahmeleistung verdient. Sie wird wohl nicht nur mir unvergesslich bleiben.

Und das betrifft auch die Bösartigkeit und Boshaftigkeit in dieser Symphonie, die mir jetzt stärker als früher auffällt. Hinter der oft wohlig heiter wirkenden Oberfläche versteckt sich – trotz des ergreifenden Adagios, bei dem hier oft zwei und zwei wundervoll kommunizieren – so manche Falle. Das zeigt vor allem der 4. Satz, dessen Titel „sehr behaglich“ eine Irreführung sondergleichen darstellt, insbesondere das Lied „Das himmlische Leben“.

Christiane Karg singt es bestens, auch mit lebhafter Mimik und blitzenden Augen, doch trotz ihrer intensiven Mundbewegungen bleibt der Text weitgehend unverständlich. Fast besser so, denn wie sich bei diesem Song aus Des Knaben Wunderhorn die damaligen Kinder den Genuss der himmlischen Freuden vorstellten, ist Sarkasmus pur oder auch wahre Menschenkenntnis. Die Kindlein tanzen und springen, um dann zu singen:

„Wir führen ein geduldig’s
Unschuldig’s, geduldig’s
Ein liebliches Lämmlein zu Tod!
Sankt Lucas den Ochsen tät schlachten
Ohn’ einig’s Bedenken und Trachten!…“

Zeigen diese Verse, wie wir vielleicht in der Mehrzahl wirklich sind? Oder werden wir stattdessen die positiven Nebeneffekte der Corona-Krise, wie Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme, bewahren?

Hoffen wir also, dass wir in absehbarer Zeit das Lebensmittel Kultur wieder live in Konzertsälen, Opernhäusern und Theatern genießen und die Berliner Philharmoniker Ihr Europakonzert am 1. Mai 2021 in Barcelona im Gotteshaus „Sagrada Familia“ erklingen lassen können, dem noch immer unvollendeten, mehr als hundertjährigen Meisterwerk von Antoni Gaudí.


Sagrada Familia (Gewölbe) in Barcelona. Foto: Ursula Wiegand

Ursula Wiegand

Wien/Staatsoper: PARSIFAL- (Stream April 2020 der Aufführung am 13. April 2017)

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Wien/Staatsoper: Parsifal – 13. April 2017 (Stream April 2020)

In der Tat: Zeit für eine Neuinszenierung!

Man sagt ja oft, wenn man an Veränderungen oder gar Erneuerungen denkt, „es komme nichts Besseres nach“. Selten wurde mir in den letzten Jahren an der Wiener Staatsoper die Relevanz dieser Ansicht offenbarer vor Augen geführt (und die Betonung liegt in der Tat auf dem Sehen) als bei der Ersetzung des auch nicht gerade begeisternden, da sich zu sehr mit der DDR-Aufarbeitung beschäftigenden Mielitz-„Parsifal“ von 2004, durch eine Neuinszenierung von Alvis Hermanis im Jahre 2017. Obwohl ich die Produktion erst im Jahre 2018 sah, konnte ich mich noch nicht dazu durchringen, sie zu rezensieren. In der momentanen Covid 19-bedingten Saure-Gurken-Zeit, in der leider nahezu kein Politiker an die Schäden für den Kultur- und Kunstbetrieb denkt, die durch die flächendeckenden Maßnahmen des sog. lock downs entstehen (werden), bzw. dessen Bedeutung im gesellschaftlichen Leben überhaupt zu erkennen scheint, treten natürlich die streams in den Vordergrund. Der deutsche Bundespräsident Steinmeier hat jedoch erfreulicherweise am 1. Mai anlässlich des Tages der Arbeit bei einem Konzert in der Wiener Philharmonie unter Kirill Petrenko vor leeren Rängen explizit auf die Bedeutung von Kultur und Kunst hingewiesen, ja sie seien ein „Lebensmittel“. Wie wahr!! Diese Erkenntnis würde man nun auch gern in der weiteren politischen Umsetzung erleben. Auch die Wiener Staatsoper bietet ja nun streams in großer Fülle und sogar kostenlos – wie andere große Häuser schon seit langem – an. Sie bieten sich als temporäre Alternative für nicht zu ersetzende Live-Opernerlebnisse an.


Foto: Michael Pöhn

Zwar bin ich mit der musikalischen Besprechung solcher streams wie auch von Kino-Übertragungen immer sehr skeptisch. Es kann einfach an allzu vielen Knöpfen gedreht werden und wird es auch, wie ich selbst feststellen konnte. Aber ich habe exzellente Kopfhörer, high end. Und sehen kann man ohnehin das, meist ja noch besser wegen guter Nahaufnahmen, was tatsächlich auf der Bühne zu sehen ist und abgeht, oder auch nicht. So habe ich mir die Aufführung vom 13. April 2017 neulich im stream angesehen und möchte hiermit posthum, denn die Produktion wird ja GsD von Bogdan Roščić aus dem Programm genommen, noch eine Rezension verfassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Foto: Michael Pöhn

Alvis Hermanis, mir durchaus in bester Erinnerung mit einer bestechenden Inszenierung von Zimmermanns „Soldaten“ bei den Salzburger Festspielen, kam nach Wien und machte sich Gedanken, wie man Richard Wagners „Parsifal“ interpretieren könnte. Er kam auf den berühmten Wiener Jugendstil-Architekten Otto Wagner mit seiner ebenso berühmten Kirche und der seit Oktober 1907 betriebenen Niederösterreichischen Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke am Steinhof, obwohl der Architekt außer dem ohnehin geläufigen Namen nichts, aber auch rein gar nichts mit Richard Wagner zu tun hat. Und dabei war die Idee gar nicht einmal originell. Denn diese hatte schon zuvor an der Wiener Staatsoper, der ohnehin auf geistig verkopfte Wagner-Interpretationen spezialisierte, deutsche Regisseur Claus Guth für seinen damals neuen „Tannhäuser“. In der Direktion Meyer landete Wien also gleich zwei Steinhof-Versionen bedeutender Wagner-Werke, die beide nicht den Herausforderungen ihres Schöpfers und der von ihm beabsichtigten Werkaussage, seiner eigentlichen Botschaft also, gerecht werden – der „Parsifal“ von Hermanis noch weit weniger als der „Tannhäuser“ von Guth.

Wenn der Vorhang hochgeht, ist jeder natürlich zunächst einmal beeindruckt vom imposanten Bühnenbild, welches ebenfalls der Regisseur, ganz im Einklang mit seiner Steinhof-Besessenheit, schuf, also Alvis Hermanis selbst. In Bayreuth waren alle noch von den fantasievollen und beeindruckenden und auch prämierten Bühnenbildern von Aleksandar Denic in der Castorf-Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ fasziniert, ohne die diese Produktion wohl kaum fünf Jahre auf dem Spielplan zu halten gewesen wäre. Hier aber starren wir den ganzen Abend auf dasselbe, ja nicht einmal das gleiche Bühnenbild, wenn man von dem Einschieben einer steril-weißen Kachelwand (die immerhin sehr sängerfreundlich ist) in der Pathologie des 2. Aufzugs und ein paar Wandverschiebungen hier und da einmal absieht. Ein Bühnenbild, an dem man sich entsprechend schnell satt gesehen hat, zumal es praktisch keine Lichtregie gibt, die vielleicht den einen oder anderen Zauber hätte erzeugen können.


Foto: Michael Pöhn

Das Bild wird beherrscht von den vier Engeln vor dem Portal der Kirche am Steinhof und den entsprechenden Jugendstil-Verzierungen der Frontverglasung und Innenarchitektur. Wir sehen die Nerven- und Geisteskranken, freilich ebenso Gralsritter wie Herren mit Business-Anzug und Krawatte, die zahlenmäßig weit über eventuell zu vermutendes Krankenhauspersonal hinausgehen, also als Gralsritter ebenso unerklärlich bleiben wie die Kranken. Ihre Assoziation zur Gralsgesellschaft wirkt eher an den Haaren herbeigezogen, denn sinnhaft dargestellt. Gleichwohl werden werkgetreu Brot und Trank verabreicht… Eindrucksvoll geriet aber der lange Blick, den Amfortas nach der Zeremonie auf Parsifal wirft. Das hatte jedoch schon Frau Mielitz erfunden, unvergesslich damals mit Thomas Quasthoff als Amfortas! Im 2. Aufzug wimmelt es natürlich von den üblichen weißen Krankenhaus-Stahlbetten, in denen man bereits Verstorbene zu gewahren glaubt. Aber nein, es sind die „Zaubermädchen“, die sich im passenden Moment völlig unerotisch aus ihrer Horizontale erheben und eine Altherren-Nummer mit Parsifal veranstalten, bzw. verunstalten… Hätte sich Hermanis doch mal angesehen, wie Stefan Herheim das in Bayreuth gemacht hat!

Allein Gurnemanz, freilich durchgängig im weißen Oberarzt-Kittel, hat eine kleine Ecke für sich, mit Schreibtisch, Telefon, Grammophon und einem Bücherregal mit Föten in Chloroform in Gläsern, wie sie in der St. Petersburger Kunstkammer von Zar Peter I. zu sehen sind. Diese Ecke des Gurnemanz ist mit einer gegen das grelle Weiß der Heil- und Pflegeanstalt abgehobenen gelblichen und damit eine gewisse Heimeligkeit vermittelnden Beleuchtung versehen. Hier wird diese also einmal dramaturgisch wahrnehmbar. Gurnemanz ist der Gute. Seine „gemütliche“ Ecke kann beliebig ein- und ausgeschoben werden, unabhängig vom jeweiligen Aufzug…


Foto: Michael Pöhn

Inszenierungsgemäß vermitteln die Kostüme von Kristine Jurjane durchgängig simple Krankenhaus-Ästhetik vornehmlich in Weiß und Beige, abgesehen von den Herren in Anzügen und der wilden Reiterin Kundry, die im 2. Aufzug ein prachtvolles orientalisches Gewand tragen darf, also einmal nicht im Schador aufkreuzen muss. Parsifal kommt mit einem goldenen Sixpack-Brustpanzer daher, der an die Römerzeit erinnert. Meines Erachtens ein glatter Kostüm-Ausrutscher, zumal er sich im Dialog mit Kundry alles andere als kämpferisch gibt, ja sich zum Kuss sogar ganz brav auf die Krankenbahre legt, auf der sie kurz zuvor vom Pathologen Klingsor noch mit Elektroschock erweckt wurde…


Foto: Michael Pöhn

Und damit wären wir bei der Personenregie, die sich Hermanis dazu hat einfallen lassen und die alles noch viel schlimmer macht. Wenn man so sehr ins Detail der bekannten Niederösterreichischen Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke am Steinhof einsteigt, wird man schnell zum Gefangenen seines eigenen Regiekonzepts. Und genau das ist Hermanis hier passiert, bis hin zur Groteske. Damit meine ich insbesondere das unprofessionelle Herumfummeln des männlichen medizinischen Personals unter oberärztlicher Aufsicht (Klingsor!) mit Elektroschocks in der Pathologie von Steinhof an einer offenbar bereits Verstorbenen zu Beginn des 2. Aufzugs. Möglicherweise war es Herzeleide, die da nicht mehr aufwachte. Aber was hat die da zu suchen…?“! Mit diesem Aktionismus wird das ganze herrliche Vorspiel völlig über“spielt“ und geht somit verloren. Nur um zu zeigen, dass es dem Magier Klingsor im Arztkittel – selbstredend – gelingt, nach mehrmaligem Hochfahren der Ampère-Zahl Kundry tatsächlich aus ihrem Schlaf zu erwecken, mit dem berühmten Schrei, den allein Wagner von diesem ganzen Zirkus angeordnet hat.


Foto: Michael Pöhn

Der Gral ist ein großes gläsernes Gehirn, dessen Erhebung der vollverbundene Amfortas mit Kopf(!)wunde (deshalb das Gehirn?!) im 1. Aufzug völlig unkoordiniert mit der Musik vollzieht. Im zweiten Aufzug ist es ein Megahirn, in dem der Speer steckt – eine absurde Assoziation der beiden mythischen komplementären Elemente christlichen Glaubens, der Longinus-Lanze und des Grals. Und offenbar in keiner Hinsicht ausgedacht, wenn man mal davon absieht, dass in einer Anstalt wie dieser vornehmlich gehirnbezogen „behandelt“ wird. Was sollte das?!

Bild 9

Kundry muss zunächst in einen Gitterkäfig gesperrt werden, womit man der Rolle die ganze Substanz ihres ersten Auftritts nimmt. Wieder sind dazu zwei Krankenschwestern im Spiel, die sich auch schon bei Christine Mielitz um Kundry kümmerten… Und dann immer das emsige Getue der Krankenschwestern um Amfortas herum mit dem Bettbeziehen und der Pfleger mit anderen Kranken! Es ist nervend, jedenfalls für mich. Auf der anderen Seite sieht Amfortas gemütlich zu, wie Parsifal dem Hirn den Speer entzieht. Es macht ihn wie Kundry, die sich nach ihren Verführungsversuchen wieder auf der Chaiselongue niedergelassen hat, allenfalls etwas nachdenklich. Dass noch drastischer an der Musik vorbei inszeniert wird, ohne dass es ausdrücklich, wie es Frank Castorf 2013 für seinen „Ring“ noch tat, postuliert wird, habe ich noch nie erlebt. Man muss sich fragen, ob sich der Regisseur jemals mit der Partitur des „Parsifal“ und ihren Aussagen beschäftigt hat. Es war einfach nur ärgerlich, das zu gewahren. So möchte ich gar nicht auf weitere solch unausgegorene Ungereimtheiten eingehen. Sie haben es gar nicht verdient…

Umso Erfreulicheres ist vom Sängerensemble zu berichten, welches an diesem Abend angetreten war. Kwangchul Youn sang einen klangvoll balsamischen Gurnemanz mit exzellenter Diktion und Phrasierung, leider dramaturgisch stark eingeschränkt. Nina Stemme glänzte mit einer eindringlichen Kundry und ihrem vollen Sopran bei guter Attacke und auch dramatischen Höhen mit guter Wortdeutlichkeit, damals noch weit besser als zuletzt in der Wiener „Frau ihne Schatten“. Christopher Ventris war immer schon ein guter und einfühlsamer Parsifal, der seine besondere Verinnerlichung der Rolle auch an diesem Abend wieder unter Beweis stellte. Bei ihm sind die Zwischentöne wichtiger als dramatische Ausbrüche. Gerald Finley gab einen eher gesangsbetonten, etwas zurückhaltenden Amfortas mit bester Phasierung, vokal durchaus passend zu seiner unscheinbaren Optik unter den vielen anderen Kranken. Auch er sang äußerst wortdeutlich. Jongmin Park gab einen prägnanten Titurel mit vollem Bass. Jochen Schmeckenbecher, sonst Alberich vom Dienst, sang den Klingsor mit einer nicht immer ganz schönen, aber umso besser zur Boshaftigkeit der Partie passenden Stimme, wenn die Partie nur boshaft dargestellt worden wäre… So kam er als langweiliger Pathologe mit blutverschmiertem Kittel herüber. Die ganz unzauberhaften Zaubermädchen waren mit Ileana Tonca, Olga Beszmertna und Margaret Plummer in der ersten und mit Hila Fahima, Caroline Wenborne und Ilseyar Khayrullova in der zweiten Gruppe gut besetzt. Monika Bohinec sang klangvoll die Altstimme. Benedikt Kobel, Clemens Unterreiner, Ulrike Helzel, Zoryana Kushpler, Thomas Ebenstein und Bror Magnus Tødenes waren gute Gralsritter und Knappen, absolut auf Staatsopernniveau wie die Zaubermädchen.


Foto: Michael Pöhn

Semyon Bychkov dirigierte das Staatsopernorchester mit klarer Akzentuierung und viel Sinn für Stimmungen, die sich bei dieser Inszenierung nicht, aber beim Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ im Allgemeinen einstellen. Großartig gelangen somit auch die Verwandlungsmusiken und die Einbindung des bestens und transparent singenden Staatsopernchores, der von Martin Schebesta einstudiert worden war. Musikalisch war es also ein guter „Parsifal“, szenisch ein entbehrlicher. Und so darf man sich freuen, dass nun ein neuer kommt – nach nur drei Jahren! Das sagt eigentlich an einem Haus wie der Wiener Staatsoper alles…

Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn                                                                                          

Klaus Billand

WIEN/ Theater an der Wien. Zur Spielzeit 2020/21. Gedanken dazu von Thomas Prochazka

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WIEN/ Theater an der Wien. Zur Spielzeit 2020/21. Gedanken dazu von Thomas Prochazka

Außenansicht des Theaters an der Wien © Theater an der Wien/Peter M. Mayr

Außenansicht des Theaters an der Wien. © Theater an der Wien/Peter M. Mayr

Man lernt schnell an der Wienzeile: Wie im Haus am Ring ersetzte eine Spielplanpräsentation die Pressekonferenz. Hie wie da mit dem angenehmen Nebeneffekt, von Nachfragen der meist ohnehin viel zu zahmen Medienvertreter verschont zu bleiben.

Also lud sich Roland Geyer, der Intendant des Theaters an der Wien, seinen Duzfreund Peter Jarolin, seines Zeichens Kulturjournalist beim »Kurier«, als Moderator. Erstaunlich, wie leichtfertig man in dieser Branche seine Glaubwürdigkeit auf‘s Spiel setzt… (Jarolin besprach zuletzt die TV-Übertragung des Fidelio (1806) im »Kurier«.)

Professor Dr. Franz Patay, der Geschäftsführer der Vereinigten Bühnen Wien, verlor zu Beginn der Spielplanpräsentation in einem aufgezeichneten Interview mit Peter Jarolin ein paar Worte. Unter anderem sprach Patay von der »vielfach ausverkauften Première von Fidelio«, ohne freilich zu erläutern, wie man eine Vorstellung, eine Première »vielfach« ausverkaufen könne…

Weiterlesen unter

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=F43EDE80-9091-11EA-92E8005056A64872

 

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

Vienna State Opera: Season 2020/21 and its new programme book.

WIEN/ Online-Merker-Galerie: LIEDERABEND GÜNTHER GROISSBÖCK / ALEXANDRA GOLOUBITSKAIA

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WIEN/ Online-Merker, Zeleborgasse:  Liederabend  Günther Groissböck, Alexandra Goloubitskaia,  15. Mai 2020


Foto: Hiltrud Zehrl

Die Chance, Günther Groissböck in den Räumlichkeiten des Onlinemerkers zu hören, konnte man sich nicht entgehen lassen.

Der große Sänger sang, begleitet von der fantastischen Pianistin Alexandra Goloubitskaia , die auch auf einem kleinen ( aber guten) Elektroklavier unglaubliche Stimmungen in den Raum zauberte, ein volles Konzertprogramm (ohne jegliche Pause), das er mit Wotans Abschied triumphal krönte.

Allein die unverwechselbar schöne, mächtige Stimme Groissböcks zu hören wäre ja schon eindrucksvoll.

Die Programmauswahl, das Zusammenmusizieren, die musikalische und textliche Gestaltung machen den Abend zum unvergesslichen Genuss.

Mit den Worten „Bedecke deinen Himmel, Zeus“ (Prometheus) eröffnete Groissböck den Abend, der unter dem Motto “ Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit“ (Schiller) stand.  Es folgten mit “ Grenzen der Menschheit“ und „Ganymed“  zwei weitere Schubertsche Goethelieder.

Aus den zahlreichen Mayrhoferliedern (Schubert) hörte man den „Schiffer“ (Im Sturme, im Regen befahr‘ ich den Fluss) und „Lied eines Schiffers an die Dioskuren“.

Schlicht und eindrucksvoll gab Groissböck „Die Uhr“ von Carl Loewe, mächtig trumpfte er bei „Odins Meeresritt“ auf, genauso wie die Goloubitskaia am Klavier.

Aus dem umfangreichen Programm muss jedenfalls noch Gustav Mahlers “ Der Tambourg’sell“ aus „Des Knaben Wunderhorn“ erwähnt werden, dessen Interpretation es einem kalt den Rücken hinunterlaufen ließ.

Und dann  “ Wotans Abschied“………..

Es ist dem Online-MerkerDank auszusprechen, der dieses Konzert unter Einhaltung der Coronabestimmungen möglich machte.

Christoph Karner 

WIESBADEN/ Staatstheater: TRISTAN UND ISOLDE – Szenen mit „orchestraler“ Begleitung am Klavier

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Wiesbaden: „TRISTAN UND ISOLDE“ – 21.05.2020

Tristan und Isolde“ eröffnen die Maifestspiele | Wiesbaden lebt

Im Verwirrspiel der Unentschlossenheit bzw. Eigenwilligkeiten der Politik unserer deutschen Bundesländer öffnete nun Hessen zaghaft die Pforten der Musentempel, natürlich unter den strengen Vorsichts-Maßnahmen für alle (?) Beteiligten. Corona brachte so viele Events zum Erliegen u.a. auch die „Mai-Festspiele“ am Hessischen Staatstheater, es sei Herrn Intendant Uwe Eric Laufenberg gedankt, dass er einen entschlackten Spielplan raumübergreifend aller Sparten anzubieten vermochte. Unter verständlicher großer Beachtung von TV und Medien eröffnete den Reigen Günther Groissböck mit einem Liederabend vor 200 Besuchern.

An zwei Abenden folgen nun Szenen  von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ in der ursprünglichen Premieren-Besetzung zu „orchestraler“ Begleitung am Klavier. Blickt ich umher in diesem kleinen Kreise weniger Besucher (ich brachte es nicht übers Herz für einen Presse-Platz zu bitten und kaufte meine Eintrittskarte) beengte schon eine gewisse Beklemmnis meine Brust. Jedoch das Feuer, der Hunger, die Gier nach ungewöhnlicher Musikerwartung siegte, maskiert alle Regeln wider jede Vernunft in den hintersten Winkel meines musikalischen Schopfes verbannend, ließ mich in dieses Abenteuer stürzen um jene lodernd-wallenden Brände zu löschen.

Den auferlegt respektablen Abstand zu Sitznachbarn und jeweils einer freien Reihe dazwischen nahm ich bereits nach den ersten Piano-Akkorden nicht mehr gewahr, öffnete mich dem Sog dieser überwältigenden Musik und frönte skrupellos der Droge „Wagner“ … es gibt ein Glück das ohne Reu´!

Bevor mir jedoch das Eintauchen in den Wagner-Kosmos vergönnt, erklang zunächst als kleiner Beitrag zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven der 1. Satz aus dessen „Kreuzersonate“, auch aus Verehrung Wagners zum Komponisten-Kollegen wie Uwe Eric Laufenberg in seiner kurzen Laudatio bemerkte. Die in St. Petersburg geborene österreichische Violinistin Lidia Baich (Gattin von Andreas Schager) interpretierte mit der moldawischen Pianistin Alexandra Goloubitskaia spannungsreich, energiegeladen, stimmungsvoll in wohltemperiertem Musizierstil. Schlank im Klang, traumhaft elegisch folgte sodann das viel zu kurze, für Violine und Klavier von August Wilhelmj bearbeitete „Albumblatt“ von Richard Wagner.

Zu  kammermusikalischer Transparenz sich allmählich in die überwältigenden Wogen der ekstatischen Partitur steigernd, erklang das orchestrale Vorspiel (ohne Nennung im Programm-Zettel). Nachdem das Klavier am linken Rand des überdeckten Grabens postiert, öffnete sich der Vorhang, ein Stuhl vor  bläulich-meliertem Horizont schuf farblich variiert die ausgezeichnete Bühnen-Atmosphäre, spätere Film-Einblendungen wirkten völlig deplatziert.

Zwei Pausen unterbrochen die Szenen Weh, ach wehe dies zu dulden! – O sink´ hernieder, Nacht der Liebe – Rette dich Tristan… Tatest du´s wirklich? – Isoldes Liebestod.

Der irischen Maiden schenkte Catherine Foster nicht nur die optimale Erscheinung sondern auch die hinreißende Vokalise. Die für (mich) weltbeste Isolde der Gegenwart bewältigte diese Partie mit Noblesse dank ihres wunderbar farbenreichen, dramatischen Soprans. Mit prächtig aufblühendem Klang, technisch bestens versiert, vortrefflich artikulierend interpretierte Catherine Foster die stolze Königstochter. Ihr tragfähiger wunderbar grundierter Sopran, vormochte gleichwohl in extremer Höhenlage, wie während den weichen Piani zu bezaubern, regelrecht zu betören. Kultiviert in emotionaler Legato-Reinheit   eröffnete Foster das herrliche Liebesduett. Überwältigend in innig-berührenden Tönen krönte die exzellente Künstlerin ihren Vortrag mit innig-berührenden Schwebe-Tönen beim Liebestod und avancierte zu Recht zur umjubelten Publikums-Favoritin.

Etwas atemlos, nicht im Einklang der hohen Tessitura sang Margarete Joswig die Brangäne und punktete mit strömendem, wärmedurchflutetem Wachgesang zu Violinen-Begleitung (Lidia Baich). Mit rauer Kehle und kräftigem Bariton zeichnete Thomas de Vries den treuen Kurwenal. Dunkle metallische Klänge vernahm man von Melot (Aaron Cawley).

Lasse ich bei Andreas Schager etwas Nachsicht walten, lag es wohl in der Natur des ungestümen, erwartungsvollen, seiner Leidenschaft kaum zügelnden Tristans, dass der Tenor  ohne Rücksicht auf seine traumhaft intonierende Isolde  mit Stentortönen in die Offensive ging. Angemessen dieser Kraftentfaltung steigerte sich Schager mit imposanten, hellstrahlenden Spitzentönen in die fieberumnebelte Erzählung des dritten Aufzugs und demonstrierte unmissverständlich seine tenorale Führungsposition der Tristan-Interpreten.

Anrührend, betroffen, ohne jegliche Larmoyanz sang Rene Papé im kräftigen Bass-Volumen den König Marke. Trotz intensiver Fülle des dunklen Materials konnte der vielseitig-bewährte Sänger über Defizite in Prägnanz und Intensität nicht hinweg täuschen.

Neben den musikalischen Komponenten war es faszinierend zu erleben, wie die Künstler trotz räumlicher Distanz intensive Spannungen, explizite Skalen in Gestik und Mimik die Gefühlswelten der Protagonisten glaubwürdig vermittelten. Die unterschwellig ungewöhnliche aufgeheizte Atmosphäre nahm gefangen, erzeugte Wonneschauer und zeitweilige Gänsehaut.

Eindringlich zwischen intellektuellem Kalkül, emotionaler Tiefe, hervorragend-technischer Versiertheit, bestens ausgereizten Kontrasten und pianistischer Virtuosität setzte Alexandra Goloubitskaia höchste Maßstäbe. Vortrefflich verstand es die einfühlsame Pianistin die Sänger zu begleiten, ersetzte spektakulär in charakteristisch-gestaltender Größe aufspielend illusorische Orchesterklänge.

Das Publikum  feierte alle Protagonisten mit Bravos und großer Herzlichkeit und schloss die bescheiden wirkende Pianistin in die überschäumende Begeisterung mit ein.

Gerhard Hoffmann

 


ZÜRICH/ Opernhaus: ROMEO UND JULIA“, Stream im Mai 2020

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Ballett Zürich: Romeo (William Moore), Julia (Katja Wünsche). Copyright: Foto: Gregory Batardon

Opernhaus Zürich: „ROMEO UND JULIA“, Stream im Mai 2020

Mit welch einem Wirbel und welch rasanter, freudvoller Munterkeit beginnt das weltweit beliebte Ballett „Romeo und Julia“ bei der Wiederaufnahme im Mai 2019 am Opernhaus Zürich! Dirigent Michail Jurowski bringt Sergej Prokofjews Ballettmusik zum Leuchten. Die Damen in eleganten schwarzen Roben und die ebenfalls fein gewandeten Herren (Kostüme: Emma Ryott) tun voller Schwung und mit lächelnden Gesichtern das Ihre. Alles funkelt trotz der dunkel-stählernen Bühne, eingerichtet von Christian Schmidt.

Das fast einzige Mobiliar ist eine Ballettstange in der rechen Ecke, an der einige Jugendliche unter den Augen ihrer fitten Übungsleiterin –  Elena Vostrotina (!) – proben. Sie selbst legt einige gekonnte Nummern mit hoch aufschwingenden Beinen aufs Parkett und agiert kaum als Julias fürsorgliche Amme. Eine der Kleinen absolviert die Übungen am besten und ist offensichtlich der Tanzlehrerin Liebling. Zur Belohnung streift sie ihr ein rotes Kleidchen über.  

In diesem schlichten Flatter-Outfit geht Julia sogleich zum Ball, den die Familie Capulet veranstaltet und gesellt sich brav zu ihren aufwändig gekleideten Eltern, dem Grafen Capulet (Lucas Valente) und seiner Gattin (Eva Dewaele), die recht jugendlich wirken. Neben den beiden wartet Graf Paris (Jan Casier), der erfolgreich um Julias Hand angehalten hat.  

Er stupst auf die Nase der Kleinen – laut Shakespeares Drama ist sie erst 13 – verhält sich aber andererseits so, als sei sie bereits sein Eigentum. Der Choreograf Christian Spuck verleiht ihm so gesehen eine negative Note und macht damit die Liebe verständlich, die die Kindfrau Julia angesichts von Romeo völlig überrumpelt.

Wie könnte sie auch den strahlenden Augen von Romeo widerstehen! Wie ein Blitz aus heiterem Himmel scheint ihn, der eigentlich schon eine andere hat, die Liebe zu diesem Mädchen getroffen zu haben. Selten wird das so überzeugend dargeboten.


Ballett Zürich: Romeo (William Moore), Julia (Katja Wünsche). Copyright: Monika Rittershaus

Mit der aus Dresden stammenden Katja Wünsche und dem Briten William Moore sind hier zwei Stars überzeugend tätig. Sie stürzen nicht aufeinander zu, sondern agieren zurückhaltend, zwei junge Leute, verwirrt von ihren Gefühlen. Wunderbar dann der erste Pas de deux, aus dem die kleine Julia jedoch ab und zu ängstlich flüchtet. Insgesamt entsteht eine berührende Mischung aus geheimer Furcht und zunehmendem Feuer. Auch im Verlauf blättern die beiden ihr Inneres auf und bieten weit mehr als tänzerische Glanzleistungen.

Diese besondere Harmonie von Katja Wünsche und William Moore kommt nicht von Ungefähr. Beide gehörten jahrelang zum renommierten Stuttgarter Ballett. Sie kennen sich, und dass sie sich mögen und gerne zusammen tanzen, ist unübersehbar und beglückend. Seit der Premiere von „Romeo und Julia“ im Jahr 2012 gestalten sie diese Rollen.

Auch Zürichs Ballettchef Christian Stuck hat in Stuttgart seine Wurzeln, war dort ab 1995 zunächst als Tänzer engagiert und avancierte 2001 zum Hauschoreografen. Rund 10 Jahre lang hat Stuck das Stuttgarter Ballettgeschehen geprägt, hat aber auch anderenorts mit seinen Arbeiten beeindruckt. 2012  folgte er dem Ruf nach Zürich und nahm Katja Wünsche und William Moore gleich mit. Er wusste, was er an ihnen hat.  

Ihre große Klasse beweisen die beiden nun mit jeder Faser ihres Körpers, mit ihren Blicken und jedem Muskel ihrer Gesichter. Wie war ich vor Jahren enttäuscht, als ich eine alte Aufnahme mit den legendären Stars Vaslav Nijinsky und Margot Fonteyn im Fernsehen sah. Perfekte Technik, Virtuosität sondergleichen und Nijinskys berühmte Sprungfolgen. Doch die Gesichter der beiden blieben unbeweglich. Das geht heutzutage nicht mehr. Selbst beim Ballett sollte eine Rolle auch gelebt werden, um glaubwürdig zu sein.

Am 10. April 2020 bewies übrigens ein Stream der Metropolitan Opera mit Gounod’s „Roméo et Juliette – eine Aufnahme vom 21. Januar 2017 mit Diana Damrau als Julia und Vittorio Grigolo als Romeo – wie hinreißend sich diese Partien  singen und spielen lassen. Selbst bei konzertanten Aufführungen wird es zunehmend so gehandhabt.

Gerade der Vergleich mit der Opernversion des Werkes macht deutlich, wie vieles die Tänzerinnen und Tänzer allein mit ihrem Körper, ihren Bewegung und ihrem Minenspiel ausdrücken müssen! Wie unsicher und glücklich zugleich begegnet Julia – nun im weißen Nachtgewand – dem Romeo, nachdem er in dunkler Nacht zu ihr empor geklettert ist. Erst nach der heimlichen, durch Pater Lorenzo im mehr als schlichten Ambientevollzogenen Trauung schmiegen sich die beiden Liebenden aneinander.

In diesem Zusammenhang sei ein Blick in meine Heimatstadt Berlin erlaubt. Beim Staatsballett Berlin haben im Februar 2012 Nadja Saidakova und Mikhail Kaniskin in der John Cranko-Choreografie das Schicksal von Romeo und Julia bestens beglaubigt. Im Mai 2018 hatten die Startänzerin Polina Semionova (nun Gastsolistin) und Ivan Zaytsev, Erster Solotänzer am Mikhailovsky Theater in St. Petersburg, in einer Choreografie von Nacho Duato diese Rollen inne.  

Polina Semionova war darstellerisch wie stets total überzeugend und tanzte traumhaft. Ivan Zaytsev, zwar technisch bestens, ließ jedoch Emotionen vermissen. Nur wenige Aufführungen folgten, da Duatos Nachfolger – die seit 2016 plötzlich installierte Doppelspitze Johannes Öhman und Sasha Waltz – sämtliche Duato-Choreografien sofort entsorgten. Inzwischen – durch den plötzlich verkündeten Wechsel von Öhman nach Stockholm – entsorgen sich beide zum Jahresende nun selbst. So kann’s gehen. Ein neuer Ballettchef fürs rd. 90-köpfige Staatsballett Berlin ist noch nicht in Sicht.


Ballett Zürich: Romeo (William Moore), Julia (Katja Wünsche). Copyright: Monika Rittershaus

Umso mehr habe ich die gestreamte Aufführung vom Opernhaus Zürich bewundert, denn dort stimmte einfach alles. Höchst staunenswert auch die Präzision der die Bühne füllenden Degengefechte zwischen den jungen Leuten aus den beiden verfeindeten Familien. Wie in einem Mantel-und-Degen-Film wurde äußerst temporeich und in Echtzeit gefochten, so als gerieten heutige Clans aneinander, hier aber ohne Verletzte.

Zunächst jedenfalls, bis die Feindschaft zwischen den Capulets und Montagues die Oberhand gewinnt. Daniel Mulligan als Romeos Freund Mercutio, der den (hier finsteren)  Tybalt (Tigran Mkrtchyan) mit seinen Scherzen ständig provoziert und schließlich, tödlich getroffen, tanzend dahinstolpernd mit einem Grinsen stirbt, ist offensichtlich auch ein Ausnahmetalent. Christopher Parker als Benvolio macht ebenfalls einen guten Job.

Nach Mercutios Tod greift bekanntlich Romeo, der eigentlich die Fehde schlichten wollte, selbst zur Waffe und tötet Tybalt. Als Verfolgter eilt er todunglücklich zur geliebten Julia. Sie verzeiht ihm, doch nur ein harter Tisch dient als spartanisches Liebeslager. Romeo muss fliehen, herzzerreißend der Abschied der beiden.

Noch übler die Initiative der Eltern, um das „gefallene Mädchen“ schnellstens unter die Haube zu bringen. Die brutal und herzlos agierende Mutter lässt sich von Julia nicht erweichen, der Vater auch nicht, und Graf Paris als Bräutigam greift sogleich grob zu. Mit Müh’ und Not erreicht Julia eine kleine Bedenkzeit.

Sie wendet sich Hilfe suchend an Pater Lorenzo, der sie zuvor mit Romeo getraut hatte. Den spielt Filipe Portugal. Mit schwarzer Sonnenbrille, die seine Augen verdeckt, wirkte er von Anfang an eher wie ein Geheimagent als ein gütiger Gottesmann. Julia braucht neuen Mut, um ihm zu vertrauen. Sein und der Amme Rat, nach Romeos Flucht nun doch den Grafen zu heiraten, lehnt sie ab.

Dann doch lieber des Paters Fläschchen mit dem Zaubertrunk ergreifen. Julias qualvolle Angst vor diesem Gebräu und ihr verzweifeltes Dennoch gehören zu den Höhepunkten, die die Zuschauer/innen auch von Ferne mitzittern lassen. Selbst als Stream-Version oder gerade deshalb.


Ballett Zürich: Romeo (William Moore), Julia (Katja Wünsche). Copyright: Monika Rittershaus

Denn ganz dicht fährt die Kamera an Julias verquältes Gesicht und die vor Todesangst zitternden Hände heran. Starke unvergessliche Bilder. So genau lässt sich das und manch anderes im Opernhaus nicht sehen, auch nicht weit vorne sitzend. Dennoch bleibt ein Wunsch offen: Ein live-Gastspiel von „Romeo und Julia“ mit Katja Wünsche, William Moore und Christian Stucks Supertruppe in Berlin!     

Ursula Wiegand

WIEN / Albertina Modern: THE BEGINNING

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WIEN / Albertina Modern:
THE BEGINNING
Kunst in Österreich 1945 bis 1980
Vom 27. Mai 2020 bis zum 15. November 2020

Als alles neu begann

Das Plakat zeigt einen Mann im bunten Anzug und mit grünen Schuhen (Robert Klemmer ist sein Schöpfer). Er hat dem Betrachter den Rücken zugekehrt – und läuft. Wohin? In die Zukunft vermutlich. So, wie die Künstler sich diese Zukunft in jenem Jahr Null, das der Zählung nach 1945 hieß, wünschten und schufen.
„The Beginning“ heißt die erste Ausstellung der ALBERTINA MODERN im Künstlerhaus, und es ist ein Beginn in vieler Hinsicht. „Wien hat nun – wie es das in anderen Städten längst gibt, denken wir an die Tate Modern in London oder das Museum Reina Sofia in Madrid – ein eigenes Haus für die eigene Moderne“, sagt Klaus Albrecht Schröder. Einziger Wermutstropfen: Dass er durch die Corona-Krise seine ALBERTINA MODERN nicht so international präsentieren kann, wie er es erhofft hat. Aber es werden bessere Zeiten kommen.

Von Heiner Wesemann

Das Haus   Die Geschichte ist mittlerweile oft erzählt worden. Wie der Industrielle Hans Peter Haselsteiner Klaus Albrecht Schröder fragte, welche Vision er für die Sammlung Essl hätte, die der Albertina zugeschlagen worden war. Schröder träumte von einem eigenen, repräsentativen Haus für Gegenwartskunst. Das Künstlerhaus, ein Ringstraßen-Juwel aus dem Jahre 1865, rottete und tümpelte vor sich hin (nicht nur in der Bausubstanz, aber das ist ein anderes Thema). Haselsteiner investierte ein Vermögen, um das Gebäude im alten Glanz wieder auferstehen zu lassen, inklusive aller modernen Anforderungen an ein Museum von heute. Für Schröder war auch wichtig, hier einen „Exorzismus“ vorzunehmen. Dass dieses Künstlerhaus im Zuge seiner wechselnden Geschichte auch ein Nazi-Hort gewesen ist, kann mit den Kunstwerken der Moderne gewissermaßen „gesäubert“ werden. Auch Kunst, ja gerade Kunst bewegt sich nie außerhalb der Politik. Nun wird auf 2000 Quadratmetern im Erdgeschoß und im Untergeschoß Kunst ab 1945 gezeigt (man nimmt es nicht als negatives Zeichen, dass viele Damen, voran Valie Export, „nach unten“ verbannt wurden).

Die Sammlung und das Konzept     Die Albertina besitzt aus eigenen Beständen sowie mit der Sammlung Essl und durch zahlreiche Schenkungen rund 60.000 Werke von 5.000 Künstlerinnen und Künstlern der Moderne. Schröder hat mit seinen Mitarbeitern für dieses Projekt (Dr. Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Dr. Elisabeth Dutz, Dr. Berthold Ecker, Dr. Antonia Hoerschelmann und Dr. Angela Stief) nun das Konzept für den „Anfang“ des neuen Museums gefunden. Das Ende des Krieges war eine Stunde Null – und eine Fanfare zu einem neuen Anfang. Man wählte mit wenigen Ausnahmen jene Künstler, die 1945 wirklich „jung“ und „neu“ waren. Das bedeutete, viele große Namen, die in der Nachkriegszeit noch schaffend tätig waren, nicht zu berücksichtigen – von Wotruba bis Kokoschka, von Gütersloh bis Boeckl. Alle berühmt und wichtig, aber alle gewissermaßen rückwärts gewandt: „Sie meinten, man müsse den Nationalsozialismus ausblenden und dort weitermachen, wo man früher gestanden hatte.“ Schröder und seine Mitarbeiter wählten vielmehr jene Künstler, die in die Zukunft blickten – und das in aller Radikalität.

Die Umwertung der Werte   Grundsätzlich interessant ist bei dem so weit gespannten Blick in die Vergangenheit, wie sich die Maßstäbe änderten. Wer hatte nach dem Krieg schon Verständnis dafür, dass Rudolf Hausner in seinen „surrealen“ Bildern das ganze verzweifelte Innenleben seines „Adam“ nach außen stülpte? Und wie berühmt und teuer sind er und seine Kollegen als „Phantastische Realisten“ (Ernst Fuchs, Anton Lehmden, Wolfgang Hutter und Arik Brauer) dann geworden! Wie ablehnend und verständnislos stand man einer Valie Export gegenüber, die man nun, zu ihrem „Achtziger“ nicht genug ehren kann? Wie lange hat es gedauert, bis die „Umstrittenen“ – ob Lassnig, ob Nitsch, ob Rainer – in die Museen der Welt einzogen? Wobei Klaus Albrecht Schröder im Grunde bedauert, dass es mehr und mehr der Kunstmarkt ist, der den „Wert“ der Künstler bestimmt – dass sich bei Auktionen erzielte Preise dann gewissermaßen als künstlerische Rangerhöhung werten lassen… Immerhin, indem sich in einem Dreiviertel-Jahrhundert bis heute so viel gedreht und gewendet hat, kann die ALBERTINA MODERN mit einer großen Zahl teils auch international berühmter Namen aufwarten. Dass man auch Unbekannten begegnet, ist eine interessante Überraschung.

Ein Spaziergang durch Vorstellungswelten    Es gibt, wie Klaus Albrecht Schröder betont – keine „österreichische Avantgarde“. Es gibt viele. Gleichzeitig haben sich die verschiedensten Formen der Kunst entwickelt, einzelne Gruppen (etwa rund um die Galerie Würthle, rund um die Galerie St. Stephan) nebeneinander, unabhängig und entsprechend vielfältig. So geht auch die Ausstellung vor, die jeder Entwicklung ihren Raum zuteilt, beginnend mit den „Phantasten“ in ihren Anfängen. Nach einer Welt, die alles, was nicht peinlich realistisch war, abgelehnt hatte, musste die Abstraktion explodieren, und sie tat es. Ein Kosmos für sich war Hundertwasser, stilbildend, aber keinesfalls so gefällig, wie er später vermarktet wurde. Der Wiener Aktionismus zerstörte Körper und stellte die Frage nach dem Menschen ganz neu, radikal und gnadenlos. Dunkel sind die Welten von Arnulf Rainer, rabenschwarz die Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, die sich in vieler Form finden. Das ist Art Brut mit seiner ungeheuren Kraft. Wütend waren die Frauen – und sehr viel bunter Humor erwartet den Betrachter im Untergeschoß, wenn die österreichische Spielart der Popart ironische Kapriolen schlägt, sich schamlos lästerlich auch an „heiligen Werten“ vergreifend.

Der Katalog   Der Katalog ist nicht nur gewaltig an Größe, Schwere und Umfang, sondern auch an Inhalt, mit einer Abbildung der Werke und hervorragenden Fachartikeln. Besonders bemerkenswert am Ende: die Chronologie, zusammengestellt von Brigitte Borchhardt-Birbaumer, wo das angesprochene Phänomen der Gleichzeitigkeit verfolgt werden kann. Schade nur, dass ein tabellarisches Verzeichnis der Künstler und ihrer ausgestellten Werke fehlt.

ALBERTINA MODERN im Künstlerhaus
THE BEGINNING
Kunst in Österreich 1945 bis 1980
Vom 27. Mai bis 15. November 2020
Täglich von 10 bis 18 Uhr

FRANKFURT/ Opernhaus: MARIA BENGTSSON – Richard Strauss Lieder- und Arienabend

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Maria Bengtsson (im langen Abendkleid), links von ihr Sarah Tysman und und Cenelia Hall. Foto: Barbara Aumüller

Frankfurt: „MARIA BENGTSSON“ – 29.05.2020

Richard Strauss – Lieder- und Arienabend

Nachdem das Bundesland Hessen seine Corona-Vorschriften lockerte und das Staatstheater Wiesbaden seine Pforten zögerlich öffnete, folgte nun auch die Oper Frankfurt mit einem „Lieder- und Arienabend“ mit ausschließlich Richard Strauss – Vertonungen. Nach einem erfolgreichen und vielbejubelten Recital im Januar (Merker 02/2020) durfte nun die schwedische Sopranistin Maria Bengtsson erneut einen elitäres kleinen Kreis von 100 Personen beglücken.

Sieben auserwählte Lieder eröffneten den bewegenden Vortrag, jeder Pretiose schenkte Maria Bengtsson den phantasievollen Flair des Besonderen. In lichtvoller Tonsprache grundierte ihr glanzvoll-jugendlicher Sopran verschmitzt Herr Lenz, der Melodik von Allerseelen schenkte die charmante Sängerin wundervolle strukturelle Details. Im Rausch des Klangs, der Melodie schien der Goldton des Edeltimbres zu Die Nacht regelrecht zu baden. Emphatisch verzückt, in vokaler Raffinesse, intelligenter Wortgestaltung, traumhaft phrasierend erklangen Nichts – Cäcilie. Resignierend versonnen, emotional gestaltend, geschmackvoll differenziert, wunderbar auf Atem gesungen, in Piani gehaucht schenkte Maria Bengtsson Ich trage meine Minne sowie Ruhe, meine Seele den Hauch überirdisch-schwebender Elegie.

In warmem, unterschwelligem Pathos, jedoch nie dominant begleitete einfühlsam Sarah Tysman am Flügel, unterstrich mit besonderem Gespür die schlichte Lyrik, den herrlichen, faszinierenden, melodischen Reichtum dieser Kompositionen auf besondere Weise.

Zu instrumental perfekt geführtem Sopran folgte sodann Da geht er hin… aus „Der Rosenkavalier“ sowie die Finalszene des 1. Aufzugs vom spröden aber höhensicheren Mezzosopran Cecelia Hall assistiert. War schließlich Maria Bengtsson als Marschallin in der Wiederaufnahme im Mai vorgesehen, musste man sich lediglich mit diesen Szenen begnügen.

In schlichter würdevoller Eleganz adelte die hervorragende Sängerin die Fürstin Werdenberg, im Zeitmonolog sich prächtig charakterisierend, die dialektischen Idiome überzeugend deklarierend, um sodann ihr herrliches Timbre im Auskosten der grandiosen Melodik in feinsten Nuancierungen auf das Schönste zu verströmen. Bleiben wir in hoffnungsvoller Erwartung die Dame bald in dieser Partie auf der Bühne zu erleben.

Im gehörigen Abstand musizierten in Folge Dimiter Ivanov, Gesine Kalbhenn-Rzepka (Violine), Martin Lauer, Ludwig Hampe (Viola), Rüdiger Clauß, Kaamel Salah-Eldin (Celli) das Einleitungs-Streich-Sextett zu „Capriccio“. In klarer Transparenz, bestens ausbalanciert, in rhythmisch prägnant gefassten Kantilenen spielten die Künstler das kurze Stück in ausgefeilter Interpretation.

„Capriccio“ sei, fand dereinst Richard Strauss sei kein Stück für großes Publikum, aber eher ein Leckerbissen für kulturelle Feinschmecker im kleinen Kreis. Wie treffend zur Ironie des gegenwärtigen Zeitgeschehens? Elegant in Erscheinung, dezent in aristokratischer Gestik portraitierte Maria Bengtsson den Schluss-Monolog der Gräfin. Zur bezaubernden Optik verschmolz das Profil des legitimierten Spiels in hinreißender Vokalise. Herrlich erblühte der Sopran in silbernem Glanz, erfüllte das Parlando mit kantabler Grazilität und warf nochmals alle Vorzüge ihres betörenden Legato und der grandiosen Stimmschönheit in die Waagschale.

Die wenigen Besucher des binnen weniger Minuten „ausverkauften Hauses“ feierten alle Künstler mit dankbarer großer Begeisterung. Die Reihe dieser Abende erhält im Juni mit namhaften Interpreten ihre Fortsetzung.

Gerhard Hoffmann

STUTTGART: Staatsoper, Ballett und Schauspiel. WIR SIND AUS SOLCHEM STOFF WIE TRÄUME SIND – EIN THEATERPARCOURS –

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Premiere: Ein Theaterparcours von Staatsoper Stuttgart, Stuttgarter Ballett und Schauspiel am 4./5. Juni 2020/STUTTGART

WENN SICH DAS INNERE DES THEATERS BEWEGT

 Es ist ja nur eine Frage der Zeit, bis das Staatstheater endlich wieder aus seinem erzwungenen Dornröschen-Schlaf erwacht. In der gelungenen Regie von Schauspiel-Chef Burkhard C. Kosminski geht dieser ungewöhnliche Theaterparcours unter die Haut. Oper, Ballett und Schauspiel lassen das Repertoire in origineller Weise Revue passieren. Trommelwirbel, Schlagzeuggeräusche und Xylophon-Passagen beherrschen die Auszüge aus „Impuls“ in der Choreographie von Roman Novitzky. Marc Strobels suggestive Musik zu „Monolith“ gibt den Tänzern im oberen Foyer des Schauspielhauses viel Bewegungsspielraum, der auch durch die schwarzen Kostüme unterstrichen wird. Auf der Unterbühne des Schauspielhauses sind dann Szenen aus Samuel Becketts „Warten auf Godot“ zu sehen: „Man sollte sich entschlossen der Natur zuwenden.“ Sylvana Krappatsch, Andre Jung, Gabriele Hintermaier und Felix Strobel lassen diese an Franz Kafka gemahnende Parabel abwechselnd ohne jede Handlung und Entwicklung in hintersinniger Weise aufleben.


Hedwig Gruber (Viola). Copyright: Bernhard Weis

Im Schauspielhaus beginnt anschließend auch eine betörend-magische Bühnenfahrt mit György Ligetis „Atmospheres“ für Orchester, wobei sich das Rondell in unheimlicher Weise bewegt. Plötzlich erwacht das Innere des Theaters zum Leben, offenbart ungeheure Betonklötze und facettenreiche Leuchtstäbe. Im Magazin des Schauspielhauses begrüßt der Schauspieler Elmar Roloff das Publikum in einer raffinierten Sound- und Lichtinstallation mit Shakespeares Sonett 18 in der Übersetzung von Stefan George. Die Szene wird in einem überdimensionalen Video an die riesige Wand projiziert. Alles wirkt monumental, geradezu übernatürlich. Im Aufzug des Schauspielhauses begegnet den Zuschauern und Zuhörern das Solo-Repertoire des frühen 20. Jahrhunderts mit Stücken von George Enescu, Paul Hindemith oder Bela Bartok. Die Musiker Andrea Berger, Frederike Wagner (Harfe), Sabina Bunea, Alexander Jussow (Violine) sowie Hedwig Gruber, Jan Melichar, Madeleine Przbyl (Viola) betonen die harmonischen Raffinessen dieser Werke eindringlich. Auszüge aus Sergej Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“ werden in der Choreographie von John Cranko (adaptiert von Tamas Detrich) in der Stallgasse im Opernhaus gezeigt. Die golden glitzernden Kostüme von  Jürgen Rose lassen längst versunkene mittelalterliche Zeiten wieder lebendig werden. Thematische Verwandtschaften werden hier von den Tänzern nuancenreich umgesetzt, angesichts der kühnen Rhythmen spürt man ebenso die russische Melismatik. Das Staatsorchester Stuttgart musiziert abwechselnd unter der Leitung von Cornelius Meister und Wolfgang Heinz wie aus einem Guss.

Die Schauspielkunst hält dann wieder Einzug ins Opernhaus, wo auf der Seitenbühne Ausschnitte aus Thomas Bernhards „Der Schein trügt“ zu sehen sind: „Zum Juristen bestimmt, zum Schauspieler geboren“. In den Kostümen von Ute Lindenberg werden die Schauspieler Matthias Leja, Sven Prietz, Christiane Roßbach und Reinhard Mahlberg abwechselnd lebendig.


Metrof“. Friedemann Vogel. Copyright: Bernhard Weis

Auf der Hinterbühne des Opernhauses ist dann der berühmte „Liebestod“ aus Richard Wagners „Tristan und Isolde“ auf einem schneebedeckten Untergrund zu hören (die Pianisten sind hier abwechselnd Rita Kaufmann, Cornelius Meister und Stefan Schreiber). Und im Zuschauerraum des Opernhauses darf sich das Publikum mit dem Staatsopernchor Stuttgart unter der Leitung von Manuel Pujol (Klavier: Bernhard Moncado, Alan Hamilton) bei dem Quartett op. 64 Nr. 2 „Der Abend“ und dem Quartett op. 92 Nr. 1 „O schöne Nacht“ von Johannes Brahms aufgrund schlichter, aber leidenschaftlicher Intensität ganz zu Hause fühlen. Der „Lila Salon“ des wie ein Zauberschloss umgewandelten Opernhauses zeigt wiederum eine Schauspielszene aus Max Frischs „Mein Name sei Gantenbein“ mit den Schauspielerinnen Therese Dörr und Katharina Hauter (Kostüme: Ute Lindenberg).  Verhangene Lyrik und fernträumende Erinnerungen sind selbst hier spürbar. Im Foyer des Opernhauses im dritten Rang zeigen die Schauspieler Anne-Marie Lux, Paula Skorupa, Marco Massafra und Valentin Richter (Kostüme: Ute Lindenberg) einige Facetten der feinen Ironie aus Georg Büchners „Leonce und Lena“, während im Opernhaus im Foyer des ersten Ranges „Der sterbende Schwan“ von Camille Saint-Saens in der differenzierten Choreographie nach Michel Fokine zu sehen ist (Klavier: Valery Laenko; Cello: Guillaume Artus/Jan Pas). Als beeindruckende Uraufführung ist hier außerdem „Metrof“ in der weiträumigen Choreographie von Shaked Heller mit der Musik von Frederic Chopin und den Tänzern Miriam Kacerova und Friedemann Vogel zu erleben (Klavier: Paul Lewis). Auch „Solo aus Ssss…“ in der Choreographie von Edward Clug und der Musik von Frederic Chopin (Klavier: Alastair Bannermann, Catelijne Smit) beweist einmal mehr die besondere Klasse des Stuttgarter Balletts, denn den Tänzern gelingt es in brillanter Weise, die Räumlichkeiten mit ihrer körperlichen Präsenz auszufüllen.


„Der sterbende Schwan“ in der Choreographie von Michael Fokine. Anna Osadcenko. Copyright: Bernhard Weis

In der Kassenhalle des Opernhauses begegnet man dann einem Kartenverkäufer, der zwischen rosenbekränzten, umgestürzten Stühlen zahllose Billetts abreisst. Musiker lassen bekannte Motive der Opern- und Konzertliteratur mit Englischhorn, Fagott, Horn, Klarinette, Posaune, Saxophon, Trompete und Tuba fast melancholisch erklingen. Dieser Abend hat gerade wegen der bedrängenden Bilder etwas Unheimliches, nie Erlebtes.

Auch im Hof III des Opernhauses trotzt Diana Haller der Corona-Hysterie bei Musik aus der Zeit der Anfänge der Oper mit Madrigalen von Claudio Monteverdi und Arien von Henry Purcell, die die atemberaubende Chromatik ebenso beschwören wie die leidenschaftliche Emphase (begleitet wird sie wiederum abwechselnd von den Gesangskollegen Stine Marie Fischer, Moritz Kallenberg, Kai Kluge, Pawel Konik, Mingjie Lei, Catriona Smith, Christopher Sokolowski, Charles Sy und Maria Theresa Ullrich; Cembalo: Vlad Iftinca, Alan Hamilton).

So endet diese aufregende Theaterreise, die im Foyer des Schauspielhauses inklusive Führung begonnen hat. Not macht erfinderisch – die schwierigen Zeiten fordern neue, revolutionäre Theaterformen geradezu heraus. Ein Mosaik, das sich ins Gedächtnis einbrennt. 

Alexander Walther

FRANKFURT/ Opernhaus: „IN SUN SUH-TAKESHI MORIUCHI“ – Klavier-Recital

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Frankfurt / Oper: „IN SUN SUH-TAKESHI MORIUCHI“ – 05.06.2020-  Klavier-Recital in der Oper Frankfurt

Durch drei Jahrhunderte auf zwei Klavieren – war der Slogan eines weiteren Konzerts in der Oper Frankfurt. Höchsten Respekt zolle ich Intendant Bernd Loebe sowie allen teilnehmenden Künstlern welche diese „zögerlichen“ Events ermöglichen und sich vor (bis jetzt) nur 100 Zuhörern präsentieren gemäß den erlaubten Corona-Vorschrifts-Lockerungen.

Die Korrepetitorin In Sun Suh sowie der Studienleiter Takeshi Moriuchi waren die Solisten der heutigen Veranstaltung, begaben sich auf eine spannende Reise durch drei Epochen der Klavier-Literatur und offerierten Bearbeitungen für 2 Klaviere vom Barock bis zum 20. Jahrhundert.

Eröffnet wurde das Konzert mit der „Sonate C-Dur KV 545“ von Wolfgang Amadeus Mozart welche Edvard Grieg für 2 Klaviere transkribierte. Mozart vollendete diese Sonate, die als kleine Klaviersonate für Anfänger und danach als „Sonate facile“ bezeichnet wurde – jedoch bearbeitete sie Grieg im Geiste Mozart und von „wegen für Anfänger“, namhafte Solisten haben diese Komposition in ihrem Repertoire. In leichter kristallklarer Führung und perlenden Tonabfolgen widmeten sich die beiden Pianisten des Abends dem Allegro, in gesangvoller Gestaltung folgte die innige Melodik des Andante und lebendig, fein nuanciert kam das flotte finale Rondo daher.

Ohne Akribie „hüpften“ die beiden Künstler durch die Ären der Musikgeschichte und präsentierten als nächstes Stück die „Suite für 2 Klaviere Nr. 2“ aus der Feder des russischen Meisters Sergei Rachmaninow. Zeitgleich mit seinem 2. Klavierkonzert schuf der Komponist diese Klaviersuite welche In Sun Suh und Takeshi Moriuchi mit dem sich steigernden Marsch der Introduktion klangtechnisch bestens formulierten, um es sodann in einer sanften Coda verklingen zu lassen. Es ist nicht von ungefähr, dass so manche melodische Passage aus dem erwähnten Konzert zu vernehmen war. Zu virtuos überlagernden Metren erklang Valse mit den typisch wiederkehrenden Rachmaninow-Motiven. Tiefgründig und reizvoll begegneten die Solisten der lyrischen Romance und steigerten sich emphatisch temperamentvoll, technisch bestens versiert in die lebendige Tarantelle einer spritzigen neapolitanischen Weise.

Traumhaft, elegisch, wunderschön ausmusiziert erklang konträr das Adagio aus dem „Konzert für 2 Cembali“ von Johann Sebastian Bach.

Zum krönenden Abschluss des Abends erfolgte der Sprung über den Atlantik zu George Gershwin und seiner Fantasie aus „Porgy and Bess“, welche von Percy Graininger für 2 Klaviere bearbeitet wurde. Mit sichtlicher Spielfreude und überschäumendem Temperament widmeten sich Suh + Moriuchi dem Medley aus dieser Oper und weckten Sehnsüchte diese wieder einmal live erleben zu dürfen. Kunstvoll reflektierten die Pianisten, sie wirkten sichtlich in ihrem Element, zu atemberaubender virtuoser Bravour die klaviertechnischen Finessen der werksbiographischen Details mit Esprit zu offerieren.

Das Publikum war hingerissen und feierte das Duo begeistert und vehement. Takeshi Moriuchi zeigte sich höchst erfreut, besonders auf und nicht nur hinter der Bühne  musizieren zu dürfen und die Künstler bedankten sich fein akzentuiert gespielt, die melodiöse Phase Nimrod aus den „Enigma-Variationen“ von Edward Elgar.     

Gerhard Hoffmann

 

 

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