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WIEN/ Staatsoper: „UNA FURTIVA LAGRIMA“ – Ensemblemitglieder singen Belcanto-Stücke

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Copyright: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Wiener Staatsoper, 12.6.2020: „UNA FURTIVA LAGRIMA“ – Ensemblemitglieder singen Belcanto-Stücke

Endlich wieder in der Oper sein! Kein streaming als Notfalls-Programm daheim auf der Couch, aber auch kein Flanieren durch dieses zauberhafte Haus am Ring, keine Pause, kein Anstellen am Buffet – wie sehr hat man das vermisst! Vor der Vorstellung herrscht eine ungewöhnliche Stille, ohne letztem Plaudern und ohne Orchester, das sich einstimmt. Die eigene Spannung ist – wie immer – spürbar, aber von den Nachbarn ist nichts zu fühlen: sie könnten gar nicht nebenan sitzen, da die Sitze im Parkett entfernt wurden. Es erschließt sich einem nicht, warum in diesem riesigen Haus nicht mehr Zuhörer als exakt 100 Gäste erlaubt sein dürfen; zumindest eine Person pro Loge und die Öffnung von Galerie und Balkon mit den entsprechenden Abstandregeln würde infektionsbedingt völlig ungefährlich sein. Trotzdem könnten viel mehr Besucher diese geschichtsträchtigen Konzerte erleben und das stets hart arbeitende, ausgezeichnete Ensemble hätte die Möglichkeit, sich „würdiger“ vom Wiener Publikum zu verabschieden. So aber klingt der Applaus wie ein „Lüfterl“, wenn das intime Konzert mit Svetlina Stoyanova im sommerlichen Blumenkleid beginnt. Die hübsche Bulgarin verfügt über eine wunderschöne Klangfarbe im hohen und tiefen Register und kann bei „Cruda sorte“ als kokette Isabella aus „L´italiana in Algeri“ überzeugen.


Jongmin Park. Copyright: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Danach folgt ein Höhepunkt: Jongmin Park betritt die Bühne und Rossinis berühmte „Verleumdungs-Arie“ aus „Il barbiere di Siviglia“ erklingt mit wunderbaren Crescendi in reinstem Belcanto. Mit Raffinement und Witz, voluminöser Stimme, zeitweise flüsternd, dann wieder donnernd, stets genial mimisch und gestisch untermauert, erleben wir eine herrliche „Calunnia“. Der Bass fixiert immer wieder einzelne Leute im Parkett und wenn man für einige Zeit intensiv angeschaut wird, hat man das Gefühl, der fantastische Sänger singt nur für einen selbst – ein ungewöhnliches, aber außergewöhnliches Erlebnis. Die Rezensentin möchte sich hiermit hundert Mal bei Direktor Dominique Meyer für das Engagement dieses ausgezeichneten Basses und die hunderte unvergesslichen Interpretationen des Südkoreaners im slawischen, italienischen, deutschen, französischen Fach bedanken. Es war immer allerhöchster Genuss! Man wird ihn im nächsten Jahr in Wien schmerzlich vermissen und kann nur hoffen, dass Herr Park bald wieder an die Staatsoper zurückkehren darf.

Ein weiteres Stück aus dem „Barbiere“ steht auf dem Programm: Rachel Frenkel beginnt wehmütig und allein „Contro un cor“ als sich Partner Josh Lovell hinter dem Klavier an sie heranschleicht. Die beiden Stimmen harmonieren ausgezeichnet, was man in Wien vor allem schon im „Midsummer Night´s Dream“ bemerken konnte. Der Pianist spielt kurz den eifersüchtigen Bartolo und trennt das Liebespaar mit energischen Handzeichen, als sie einander zu nahekommen – was in Corona-Zeiten zusätzliche Auslegungen zulässt.


Valentina Nafornita. Copyright: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Jinxu Xiahou erfreut sich als nächster über eine Flasche Bordeaux und stimmt „Caro elisir! Sei mio!“ an. Der Tenor mit Stimmgewalt und Höhensicherheit lässt sich auch nicht von Partnerin Valentina Nafornita vom Tanzen abhalten und scheint mächtig viel Spaß als betrunkener Nemorino zu haben. Die Moldawierin übersteuert etwas in der Höhe und hat –nach meinem Eindruck– nicht mehr die stimmliche Beweglichkeit einer Adina. Sie zeigt sich aber spielfreudig und sieht wieder fantastisch aus.

Während der kapriziösen Kavatine „Quel guardo il cavaliere“ aus „Don Pasquale“ blättert Andrea Carroll im aktuellen Prolog der Wiener Staatsoper und streichelt zärtlich das Foto des Operndirektors als sie vom Ritter Ricardo singt. Die US-Amerikanerin ist eine quicklebendige Norina mit perlenden Koloraturen, ob hinaufsteigend oder fallend und heftigen Ausbrüchen. Auch darstellerisch wird großartig ein verführerisches und neckisches Charakterbild gezeichnet.

Danach hören wir das gut abgestimmte Terzett „Zitti, zitti, piano, piano“, abermals aus „Il barbiere“ mit Rachel Frenkel, Josh Lovell und Rafael Fingerlos. Während die Liebenden noch schmachten, drängt der „Figaro aus Tamsweg“ ungeduldig zum Aufbruch.

Daniela Fally ist neben Josh Lovell die einzige der 14 SängerInnen des Abends, die auch in der nächsten Saison zum Ensemble der Wiener Staatsoper gehören werden. In unschuldigem Weiß mit reicher Verzierung startet sie die pathetische, große Arie „Ah, non credea mirarti…Ah! Non giunge“ der Amina aus „La sonnambula“ mit kleinen Unsicherheiten. Aber die Niederösterreicherin fängt sich schnell und den zarten piani folgen – federleicht klingende – Koloratur-Attacken, klangvolle Trauer wechseln sich mit Leidenschaft und Sensibilität ab. Eine sehr bewegende Darbietung.


Stephen Hopkins, Margarita Gritskova. Copyright: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Mit 2 stimmtechnisch besonders anspruchsvollen Stücken aus „La Cenerentola“ wird fortgesetzt. Zuerst tritt Josh Lovell – ohne Sven-Eric Bechtolfs groteske Produktion – als Don Ramiro mit „Principe più non sei…Sì ritrovarla“ auf. Mit sicherer Höhe, beweglicher Stimmführung und wohlklingendem lyrischem Tenor wird ein optimaler Prinz von Salerno dargeboten. So überzeugend habe ich den Kanadier noch nie erlebt. Margarita Gritskova hat sich – nicht nur – zur idealen Rossini-Interpretin am Haus am Ring entwickelt. Virtuose, phänomenale Höhe, füllige tiefe Lagen, flexible Stimme mit sehr viel Durchschlagskraft – ihr Mezzo füllt bei „Non più mesta“ das ganze Auditorium, die Herzen fliegen ihr zu und sie schickt Küsschen an die begeisterten 100 Anwesenden zurück.

Erstmals als Don Pasquale an der Staatsoper zu erleben ist danach Sorin Coliban. Mit der langen Rechnung an Ausgaben seiner neuen Angetrauten in der Hand lernt man bei „Signorina, in tanta fretta“ schnell die Realitäten des noch jungen Ehelebens kennen. Als „großer Schrecken“ entpuppt sich eine perfekt agierende Andrea Carroll als kraftvolle und sprühende Furie „Sofrina“. Die Rezensentin hat den Rumänen, der sein Debüt am Haus bereits 2004 gab, noch nie so witzig und komisch erlebt. Nach einem Ellenbogen-Stoß in die Magengegend (in Corona-Zeiten würde die obligate Ohrfeige wahrscheinlich schon zu viel Ansteckungsgefahr ermöglichen) beginnt sein wehleidiges Gejammer „È finita, Don Pasquale“ mit schöner sonorer Tiefe und Stimmgewalt. Obwohl die Sopranistin hohe Stöckelschuhe trägt, reicht sie ihrem Partner nicht einmal bis an die Brust. Trotzdem wird seine Angst vor ihr spürbar und nach dem mitreißenden Duett schleift sie ihn zielsicher – am Schal festgebunden – hinter sich von der Bühne.

In fantastischer Verfassung besingt nun Jinxu Xiahou die „verstohlene Träne“ aus „L´Elisir d´amore“. Mit leuchtenden Farben, schönen Legatobögen und viel Schmelz ertönt die edle Tenor-Stimme und „Una furtiva lagrima“ erfreut alle Zuseher.

Als würdiger Abschluss das Lieblings-Sextett der Rezensentin aus dem Finale des 1.Aktes aus „Il Barbiere di Siviglia“. Ohne Dirigenten ist es für Rachel Frenkel, Sorin Coliban, Josh Lovell, Lydia Rathkolb, Samuel Hasselhorn und Marcus Pelz wohl gar nicht so einfach, sich mit den exakten Einsätzen abzustimmen. Letztgenannter war auch hier noch nie als Bartolo erleben, sondern in dieser Commedia nur als Fiorello zu hören. An diesem Abend überzeugt der Stuttgarter auch mit erstarrter, etwas dümmlich aussehender Mimik. Bei den kurzen vokalen Meldungen des Offiziers springt überraschend der hervorragende Pianist des Abends, Stephen Hopkins, ein. Er ist seit 2010 Solorepetitor und Bühnenmusik-Dirigent an der Wiener Staatsoper und begleitete mit Humor, Esprit und großer Fach-Kenntnis durch diesen wunderbaren belcanto-Abend.

Nach dem sehr langen Schluss-Applaus sei die Frage erlaubt: wer freute sich mehr, dass die Bühne der Wiener Staatsoper für reichhaltige Juni-Konzerten endlich wieder geöffnet wurde? Die fabelhaften SängerInnen des Ensembles oder die wenigen glückseligen Besucher oder die zahlreichen streaming-Gäste? Wahrscheinlich sind alle opernbegeisterten Menschen überglücklich, diese schmerzfreie, ungefährliche „Krankheit“ wieder live spüren und fühlen zu dürfen…

Susanne Lukas


SOLOTHURN/ Stadttheater: Liederabend der Stipendiaten der Dino Arici-Stiftung,

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Liederabend der Stipendiaten der Dino Arici-Stiftung, TOBS, Stadttheater Solothurn, 12.06.2020

  „In Gedenken an den Solothurner Mäzen und Kulturliebhaber Dino Arici unterstützt seine Stiftung jährlich zwei junge Gesangstalente auf ihrem professionellen Werdegang. Die Sänger/innen werden in TOBS-Opernproduktionen ins Ensemble eingebunden, erhalten von der Operndirektion musikalische Betreuung und können sich am Ende der Spielzeit mit einem eigenen Lieder- und Arienprogramm dem Publikum vorstellen.“

In dem kurzen Fenster zwischen Lockerungen und Sommerpause konnten das Theater Orchester Biel Solothurn den Liederabend der Stipendiaten der Dino Arici-Stiftung doch noch durchführen. Intendant Dieter Kaegi, der sich sichtlich freute, wieder Publikum in seinem Theater begrüssen zu können, wies mit berechtigtem Stolz darauf hin, dass sein Theater die Künstler, Sänger wie Musiker, auch während der Krise bezahlt hat. Für die irische Sopranistin Aoife Gibney sind zahlreiche Vorstellungen als Regimentstochter ausgefallen und der israelische Countertenor Maayan Licht konnte in der Produktion «Liaisons dangereuses» gar nicht auftreten (verschoben auf die Saiyon 2022/2023).

Das Programm des Abends begann mit «Rossignols amoureux» aus «Hippolyte et Aricie» von Jean-Phillippe Rameau (1683-1764). Maayan Licht besitzt einen sehr hellen, klaren, sauberen Sopran mit hervorragender Technik, den er bestens einzusetzen weiss. Darauf folgte das erste Duett des Abends: Aoife Gibney und Maayan Licht sangen «Pur ti miro» aus «L’incoronazione di Poppea» von Claudio Monteverdi (1567-1643). Klanglich passten die Stimmen bestens zusammen, akustisch dominierte aber der recht dramatisch eingesetzte Sopran Gibneys. Mit «Un pensiero nemico di pace» aus «Il trionfo del Tempo e del Disinganno» (Georg Friedrich Händel, 1685-1759) konnte Licht zeigen, dass die Stimme technisch perfekt ausgebildet ist. Das wäre auch deutlich geworden, wenn Studienleiter Francis Benichou am Piano kein so übertrieben rasches Tempo angeschlagen hätte. Mit «Padre, germani, addio» aus «Idomeneo» (Wolfgang Amadeus Mozart, 1756-1791) bestätigte Gibney ihre enorme Vielseitigkeit: trotz aller Dramatik der Stimme sang sie einen hervorragenden Mozart. Mit Lichts Interpretation des «Son qual nave» aus «Artaserse» (Riccardo Broschi, 1698-1756) wurde, bei allen Stärken die er hat, ein sicher noch zu behebendes Defizit des jungen Sängers deutlich: die emotionale Durchdringung der Partien. Jedes der im Verlauf des Abends vorgetragenen Stücke, von Monteverdi bis Rossini klang ähnlich. Mit «Quel guardo il Cavaliere» aus «Don Pasquale» (Gaetano Donizetti, 1797 – 1848) konnte Gibney den grossen Erfolg, den sie mit über 30 Vorstellungen der Regimentstochter bei TOBS hatte, sofort nachvollziehbar machen. Nicht wirklich klar wurde die Auswahl von «Giusto ciel, in tal periglio» aus «Maometto II» (Gioachino Rossini, 1792 – 1868) für das Programm von Licht. Sollte ihm mit der Auswahl der Arie von Anna, der Tochter von Paolo Erisso, venezianischer Statthalter in Negroponte, die Möglichkeit gegeben werden, die Technik seiner Stimme vorzuführen? Da hätte es durchaus stilistisch passendere Stücke gegeben. Vor dem nächsten Auftritt Gibneys zeigte sich ihre gegenüber Licht wesentlich grössere Erfahrung: in bestens verständlichem Englisch und absolut souverän erklärte sie dem Publikum das nun folgende «O waly waly» von Benjamin Britten (1913 – 1976) und die beiden traditionellen irischen Melodien «I will walk with my love» und «O danny boy». Das offizielle Programm endete mit dem von Licht angesichts des vorherigen Auftritts von Gibneys etwas unvorteilhaft angekündigten Duett «Sospiro, deliro» aus «Sigismondo» (Gioachino Rossini, 1792 – 1868). Mit sichtlicher Freude kündigte nach grossem Applaus Gibney die Zugabe des Abends an: «Quando m’en vò» aus «La Bohème». Licht und Benichou sekundierten als Marcello und Sugar-Daddy Alcindoro.

Ein höchst erfreulicher Abend, der das Kennenlernen mit zwei höchst interessanten Künstlern in unterschiedlichen Stadien ihrer Entwicklung brachte.

Keine weiteren Aufführungen.

13.06.2020, Jan Krobot/Zürich

a t t i t u d e  – This week’s recommendations: Jun. 13th, 2020

BERLIN/ Deutsche Oper/ Parkdeck: DAS RHEINGOLD – halbszenisch

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Berlin, Deutsche Oper: DAS RHEINGOLD glänzt halbszenisch auf dem Parkdeck. Oder Das Glück der Tüchtigen. 12.06.2020

Nein, nicht nur der Feuergott Loge ist mit den Tüchtigen gemeint, der gemeinsam mit dem geld- und machtgierigen Gott Wotan den Zwerg Alberich listenreich überwältigt und ihm den Goldenen Ring klaut. Diese Drei sichern stimmlich, was die Männerriege betrifft, den Erfolg dieser halbszenischen Aufführung der Wagner-Oper „Das Rheingold“ auf dem Parkdeck der Deutschen Oper Berlin.

Andrew Harris, Thomas Blondelle, Tobias Kehrer, Padraic Rowan. Foto: Bernd Uhlig

Über solch einen Openair-Platz zu verfügen, ist in dieser „Immer-noch-Corona-Zeit“ ebenfalls ein Glück. Kulturtempel, die so etwas besitzen, können jetzt loslegen, endlich wieder spielen und die Fans mit live-Darbietungen beglücken.

Zwar wie jetzt die Deutsche Oper aus Gründen der Abstandswahrung nur in reduzierter Form, doch das ist weit besser als gar nichts. Die Akustik auf dieser Freifläche ist übrigens erstaunlich gut, und sie dient nicht das erste Mal als Ersatzspielort. Die Gebäude drum herum lassen den Schall nicht in alle Winde davonflattern.

Raumgreifend füllt nun der großartige Bassbariton von Derek Welton den Raum über dem Parkdeck. Der schlanke, hoch gewachsene Sänger im langen güldenen Mantel ist auch figürlich ein würdiger Wotan.

Sehr passend auch Philipp Jekal als Alberich, der als Freier – von den drei Rheintöchtern verspottet – der Liebe abschwört und sich stattdessen ihren nur nachlässig gehüteten Goldschatz aneignet. Von einem Fenster im 2. Stockwerk singt er seine Wut heraus und verflucht die Liebe. Nur dieser Verzicht ermöglicht es ihm, sich aus dem Gold einen Macht verleihenden Ring zu schmieden. Statt der Tarnkappe des Mime, der hier weggespart ist, reich eine Perücke, um sich gelegentlich zu verfremden.

Was jedoch Gesangs- plus Schauspielkunst betrifft, schießt einer sozusagen den Vogel ab: der Tenor Thomas Blondelle als Feuergott Loge. Er ist der Strippenzieher, dem immer eine Problemlösung einfällt. Sportlich schwarz gekleidet, wieselt er ständig auf den Stufen hin und her, die zur Ersatzbühne (konzipiert von Lili Avar) hinaufführen. Dennoch singt er stets nuancenreich und mit vollem Wohllaut.

Auf diesen recht schmalen Stufen tänzeln gleich anfangs die drei Rheintöchter, so den Fluss mit seinen Wellen imitierend. Chapeau für diesen Balance-Akt, bei dem ihre Stimmen ebenso glitzern wie ihre schicken Kostüme.

Die drei Damen – Elena Tsallagova (Sopran) als Woglinde, Irene Roberts (Mezzo) als Wellgunde und Karis Tucker (Alt) als Flosshilde sind ein eingespieltes Team und offensichtlich auch jeder szenischen Herausforderung gewachsen.

Imponierend auch Annika Schlicht mit klangvollem Mezzo als Fricka. Flurina Stucki (Sopran) als Freia und Judit Kutasi (Alt) als Erda überzeugen genauso wie der schlanke Padraic Rowan (Bariton) als Donner/Froh. Die beiden Riesen Fafner und Fasolt stecken in dunklen Anzügen wie Geschäftsleute.

Richtig so, sie wollen von Wotan endlich ihr Geld für den Bau der Nobelbleibe Walhalle. Den Fluch, mit dem Alberich den entwendeten Ring ausgestattet hat, bekommen sie jedoch bald zu spüren. Tobias Kehrer (Bass) als Fafner erschlägt bekanntlich den Fasolt, verkörpert von Andrew Harris (Bassbariton). Ihre Partien haben beide in bester Kehle.

Insgesamt wird auch für diese reduzierte abgespeckte Rheingold-Version eine Luxusbesetzung aufgeboten. Dass alle Sängerinnen und Sänger ihre Partien bestens beherrschten, ist ein weiterer Glücksfall, aber leicht erklärlich. Wie Generalmusikdirektor Donald Runnicles vor Beginn der Aufführung betont, sollte genau an diesem 12. Juni Wagners Ring – mit „Rheingold“ als Start – in der Neu-Inszenierung von Stefan Herheim im großen Saal Premiere haben.

Was stattdessen auf dem Parkdeck realisiert wurde, „war ein „Kraftakt sondergleichen“. Wir wagen es, unser RHEINGOLD zurückzuerobern, wenn auch zunächst in einer kleineren und damit der aktuell möglichen Form!“ schrieb die Deutsche Oper Berlin vorab.

Ein Wagnis war es tatsächlich, denn erst am 02. Juni gab der Berliner Senat überraschenderweise sein Okay für solch eine Variante. In nur 10 Tagen mussten und wollten nun alle Beteiligten eine Aufführung zu Wege bringen. Doch wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Wenn noch glückliche Umstände hinzukommen, gelingt so etwas.

Schon 1990 hatte der britische Komponist Jonathan Dove unter dem Titel „The Ring Saga“ eine komprimierte Version von Wagners opus magnum erstellt, um den „Ring“ auch für kleinere Spielorte und Festivals aufführbar zu machen. Immerhin sitzt Regiestar Herheim ebenfalls im Publikum und schaut sich an, was die Deutsche Oper Berlin quasi aus dem Boden gestampft hat.

Corona bedingt und aus Abstandgründen muss man sich in Berlin ohnehin noch bescheiden, auch beim Kartenangebot für die Musikfans. Auch ziehen nur 22 Musikerinnen und Musiker mit Runnicles zunächst mit Schutzmasken auf die Bühne, die sie dann absetzen.

„Alle Instrumente sind solistisch besetzt“, betont er. Es gibt also nur eine 1. und nur eine 2. Violine, nur 1 Bratsche, nur eine Flöte usw. Doch die Instrumentalisten/innen legen mit Verve ins Zeug. Dass dabei die Tuba und die Posaune, obwohl rechts in der Ecke positioniert, mitunter die Oberhand gegenüber Streichern und Holzbläsern gewinnen, ist unvermeidlich.

Ansonsten läuft alles wie am Schnürchen, und das ist vor allem dem Spielleiter Neil Barry Moss zu verdanken, der ebenfalls in Null-Komma-Nix das Konzept, die szenische Einrichtung und die Blick fangenden Kostüme erdacht hat. Der junge Mann, geboren in Südafrika, hat in Kapstadt Operngesang sowie Musik- und Theaterwissenschaften studiert, außerdem Regie und Dramaturgie in Verona. Regie-Erfahrungen konnte er bereits in Pesaro (Italien) und an der Staatsoper Hannover sammeln.

Als die Deutsche Oper Berlin 2019 einen Spielleiter suchte, hat er sich beworben und den Zuschlag erhalten. Vielleicht hat dabei auch die Oper Rheingold eine Rolle gespielt. Denn genau mit der hatte er zuvor ein Stipendium gewonnen. Dass er sich schon intensiv mit dieser Oper beschäftigt hatte, war jetzt ein Vorteil.

„Die 90-Minuten-Fassung von Jonathan Dove kannte ich aber nicht“, räumt er in einem kurzen Vorab-Gespräch ein. Es sei überhaupt die erste „Rheingold-Premiere für ihn. Dass er sich ganz schnell etwas einfallen lassen musste, hat ihn nicht irritiert.

„In 2 Stunden hatte ich das Konzept fertig“, sagt er ohne jede Eitelkeit. Eine solch kurze Zeitspanne wecke seine Kreativität, ein langer Vorlauf wäre weniger günstig. „Mit begrenzten Möglichkeiten etwas Überzeugendes zu machen, ist inspirierend“, fügt er hinzu. Auch die Zusammenarbeit mit den Sängerinnen und Sängern sei bestens gewesen. „Ohne zu spielen, können wir nicht leben, weder die Künstler noch die Zuschauer“, lautet sein Fazit.

Mit diesem kreativen, reaktionsschnellen Spielleiter hat die Deutsche Oper Berlin offensichtlich einen Glücksgriff getan. Der Abend zeigt, dass ihm Personenführung wichtig ist und er die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten clever nutzen kann. Überraschungen hat er auch parat, doch ohne unnötige Mätzchen zu machen oder sich selbst in den Vordergrund zu drängen.

Halbszenische Aufführungen können ziemlich langweilig sein, doch dieses reduzierte „Rheingold“ ist es nicht und entwickelt einen speziellen Glanz. Tüchtigen, die mit herzlichem Beifall belohnt werden. – Auch die Glaskästen, die für Spenden zugunsten freischaffender Künstler bereit stehen, füllen sich nach der Vorgabe „pay what you want“ danach mit größeren Scheinen.

Weiteres zum Karten-Erwerb unter www.deutscheoperberlin.de. Weitere Aufführungen, aber nicht bei Regen, am 16., 18., 19.. 20. und 21. Juni 2020.

Überdies gibt es noch einen 50-minütigen Konzertfilm namens „Männer, Mythen, Märchen“, den Musiker*innen des Orchesters, anknüpfend an diese halbszenische Rheingold-Aufführung, gedreht haben. Dabei geht es um Werke anderer Komponisten, die jedoch alle in Wagners DER RING DES NIBELUNGEN von zentraler Bedeutung sind. Dieser Film wird ab dem 22. Juni auf der Website der Deutschen Oper gezeigt.

Ursula Wiegand

STUTTGART/ Liederhalle: BEETHOVENS ERSTE SINFONIE / Cornelius Meister

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Beethovens erste Sinfonie mit dem Staatsorchester unter Meister am 13. Juni 2020 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART
Haydn und Mozart lassen grüßen
 
Das erste Konzert des Staatsorchesters Stuttgart nach drei Monaten erzwungener „Corona“-Abstinenz eröffnete den Reigen des Beethoven-Zyklus, der mit den weiteren Sinfonien auch im Juli fortgesetzt wird. Das Orchester sitzt im Halbrund in der Mitte des Saales, das Publikum hat ebenfalls in einer Art Reigen im Hintergrund Platz genommen. In der langsamen Einleitung der Sinfonie Nr. 1 in C-Dur op. 21 mit dem Pizzicato-Akzent ist der ganze Beethoven auch bei der Wiedergabe durch Cornelius Meister und dem Staatsorchester Stuttgart voll zu spüren. Die dramatische Spannung fällt nicht weg. Kraft, Feierlichkeit und Anmut setzen sich hier rasch durch. Der Halbtonschritt der Anfangsakkorde brennt sich im Gedächtnis fest, was das Staatsorchester sehr gut betont. Elastische Energie prägt dann das rhythmisch prägnante Hauptthema. Oboe und Flöte spielen sich hier graziös das Seitenthema zu – die lyrische Variante beschließt das Hauptthema. Der Durchführungsteil verarbeitet bei dieser konzentrierten Interpretation mit Cornelius Meister gewissenhaft den Hauptgedanken. Und flüchtig klingen auch erste Erinnerungen an die Klaviersonate in f-Moll auf, was Meister mit dem Staatsorchester gut akzentuiert. Das Thema kehrt zum Schluss aufstrahlend wieder. Das Orchester musiziert aus einem Guss. Die Melodie des Andante cantabile con moto des zweiten Satzes wirkt schlicht und ruhig, fast sphärenhaft. Sie entwickelt sich fugenartig über einem anmutig schreitenden Thema. Und der dritte Menuett-Satz erscheint wie ein erfrischendes Scherzo, dessen Ausgelassenheit die Zuhörer unmittelbar mitreisst. Es stürmt kühn dahin. Die zierlichen Spielereien von Flöten und Violinen über dem Rhythmus der Pauken hinterlassen einen elektrisierenden Eindruck. Aparte Klangregionen und kontrastreiche Melodik wechseln sich nuancenreich ab. Bei allem Schwung wirkt das Thema harmlos-heiter, wobei Cornelius Meister stets die Balance wahrt. Im Trio werden Bläser und Streicher fast neckisch miteinander konfrontiert. Cornelius Meister lobt gerade diesen Satz für seine „Coolness“. Haydn lässt nochmals höchst temperamentvoll im Finale grüßen. Der Zweiviertel-Rhythmus weist deutlich auf dieses Vorbild hin. Aus einer betont langsamen Einleitung erwächst munter das Violin-Thema. Fast verwegen wirkt der Seitengedanke, der bei Cornelius Meister nicht zu kurz kommt. Nach der imposanten Durchführung meldet sich Trompetengeschmetter. Und mit wild wirbelnden Motiven verabschiedet sich diese Sinfonie von den lange und ergriffen applaudierenden Zuhörern.
 
Alexander Walther

STUTTGART/ Liederhalle/ Mozartsaal: JOMMELLI-QUARTETT MIT SCHUBERTS „ROSAMUNDE“

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Stuttgart/ LiederhalleDas Jommelli Quartett gastierte am 12.6.2020 mit Schuberts „Rosamunde“-Streichquartett im Mozartsaal

Berührender Klangzauber

Wieder überzeugten die Musiker des Staatsorchesters Stuttgart bei einem weiteren „Oper trotz Corona“-Konzert. Das Jommelli Quartett mit Kathrin Scheytt, Marion Schäfer (Violine), Madeleine Przybyl (Viola) und Zoltan Paulich (Violoncello) arbeitete die monumentale Form dieses Streichquartetts Nr. 13 a-Moll op. 29 D 804 „Rosamunde“ sehr plastisch heraus. Dadurch offenbarte sich auch die fast sinfonische Anlage des Werkes. Der Kopfsatz wurde konsequent als klassischer Sonatensatz gestaltet. Auch die zarte Melancholie kam nicht zu kurz. Vor allem die Steigerung des melodischen Bogens erfolgte mit dynamischem Feinschliff. In der Überleitung ragten die Kontraste markant hervor. Das Seitenthema erstrahlte dann in reinstem C-Dur. Der Triller und der synkopische Aufschwung zur Sexte blieben stark im Gedächtnis. Das Hauptthema konnte sich vor allem bei der facettenreich musizierten Durchführung bestens entfalten. Auch das rhythmisierte Begleitmotiv des ersten Themas besaß Klarheit und Formvollendung. Während das Seitenthema sich fast geheimnisvoll nach A-Dur wendete, wandte sich die Coda wieder in sphärenhafter Weise nach Moll.

Und das Jommelli Quartett unterstrich die magischen Momente dieser Musik in bemerkenswerter Art. Das Thema des zweiten Andante-Satzes verwendete Schubert übrigens in seiner Musik zu „Rosamunde“. Lyrischer Ausdruck beherrschte hier stark die zweiteilige Form bei dieser dezenten Wiedergabe. Und die sensible Verbindung zwischen diesen beiden Teilen berührten den Zuhörer ungemein. Die große Terz mutierte hier zum Kernintervall des Themas. Und auch die Coda besaß Reife und Stimmungsdichte. Melancholischer Stimmungszauber beherrschte dann das reizvoll gestaltete Menuett, wobei das A-Dur-Trio schließlich eine erfrischende Ländlerseligkeit besaß. Die atemlose Lebendigkeit des Schluss-Rondos mit seinem kontrastierenden Mittelteil wurde vom hervorragend aufeinander abgestimmten Jommelli Quartett bestens erfasst. Und das triller- und vorschlagdurchsetzte Hauptthema wurde durch einen markant punktierten Rhythmus ergänzt, den das präzis artikulierende Jommelli Quartett sehr ausdrucksstark akzentuierte. Insbesondere der punktierte Rhythmus besaß dabei eine pulsierende Farbigkeit und feurige Glut. Formale Feingliedrigkeit des Ausdrucks und reine Intonation waren die weiteren Vorzüge dieser Interpretation, die insgesamt gesehen doch eher einen nachdenklich-philosophischen Charakter besaß. Harmonische Wendungen und Rückungen traten immer wieder in geradezu sphärenhaften Momenten hervor und berührten den Zuhörer. Das Erbe Joseph Haydns war hier klar und deutlich spürbar.

Herzlicher Schlussapplaus. 

Alexander Walther

STUTTGART/ Schauspielhaus: Digital-Premiere des Theaterfilms „ge teilt“ (teile) mit dem Schauspiel/STUTTGART

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Foto: Daniel Keller

Digital-Premiere des Theaterfilms „ge teilt“ (teile) am 14.6. mit dem Schauspiel/STUTTGART

Intimität und Emotion

 Nachdem die Premiere von „geteilt“ von Maria Milisavljevic als Koproduktion des Schauspiels Stuttgart mit der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst wegen Corona nicht staffinden konnte, entwickelte die Regissuerin Julia Prechsl mit ihrem Regieteam und der Videoabteilung des Schauspiels Stuttgart den Theater-Film „ge teilt“ (teile). Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen konnten die Dreharbeiten schließlich stattfinden. Herausgekommen ist eine stilistisch hervorragende Arbeit in der subtilen Inszenierung von Julia Prechsl (Kostüme: Olivia Rosendorfer; Bühne: Valentin Baumeister). Auch die suggestive Musik von Fiete Wachholtz passt sich dem Geschehen in eindrucksvoller Weise an.

Geschildert wird eine Vergewaltigung und deren tragische Folgen, wobei der Schwerpunkt insbesondere auf dem Geschehen danach liegt: „Sie kann ihren Körper nicht aus dieser Umarmung zerren. Und warum schreit sie nicht. Weil er gesagt hat, schrei nicht.“ Die Vergewaltigung wird verschwiegen: „Das ist keine Vergewaltigung.“ Der Täter und die Umwelt reden sich heraus, wie das so üblich ist. Man müsse erst das Sperma sehen. Die Protagonisten sind seit Jahren befreundet, haben ein Start-Up-Unternehmen gegründet. Nach einer Firmenfeier jedoch vergewaltigt der Mann die Frau. Damit kommt eine atemlose szenische Maschinerie in Gang, die durch raffinierte Schnitte und Zeitüberblendungen gekennzeichnet ist. Sie zeigt ihn an, doch er will die Situation gar nicht erst wahrhaben. Zwischendurch werden die Rollen getauscht und unter den Schauspierinnen und Schauspielern einfach aufgeteilt. Der Täter versucht, alles herunterzuspielen. Seine Frau beschwichtigt ebenfalls: „Es gehören immer zwei dazu. Wie viel hast du an dem Abend getrunken? Vielleicht zu viel? Willst du, dass er alles verliert, wofür er so hart gearbeitet hat. Denkst du gar nicht an seine Töchter?“ So wird die Freundin ganz bewusst unter Druck gesetzt. Schließlich erscheint der Vater als tröstende Stimme.

Das Stück geht auch der Frage nach, wie man als Betroffene überhaupt weiterleben kann. Der Frau werden als Opfer Lügen unterstellt. Einsamkeit, Rachegelüste und Selbstzweifel nehmen hier überhand. Und auch der Täter wird als „feiger Wichser“ beschimpft. Man sieht ein foliertes schwarzes Gestell mit vielen Kästchen, aus denen zuweilen Arme und Finger hervorragen. Das alles wirkt suggestiv und gespenstisch. Eine gesellschaftliche Verwelkung wird sehr drastisch dargestellt. Die Bühne dreht sich immer wieder: „Wenn ich Vögel beobachte, ist das wie Schnupfen“. Und die Figuren gehen in sich: „Unterbewusst hören wir ganz viel, was wir bewusst verdrängen…“ Hier verdichten sich auch die einzelnen Szenen in spannungsvoller Weise: „Der Kerl glaubt, er kann dich fressen! Ich krieche in sein Gehirn, fresse es…“ Die Frau, das Büro, die Anwältin, die ganze Welt werden schließlich von diesem Geschehen infiziert. Die Vergewaltigte ist verzweifelt: „Sag‘ mir, dass du dich vor mir ekelst!“ Es kommt zur Selbstzerfleischung: „Ich unterschreib‘ das nicht!“ Und die Ehefrau fordert ihren Mann energisch auf, Stellung zu nehmen: „Du hast nicht das Recht, das alles wegzuwerfen!“ Er kontert: „Ich hab‘ deine Freundin vergewaltigt!“

Der Regisseurin Julia Prechsl gelingt es ausgezeichnet, die dramaturgische Steigerung des Geschehens herauszuarbeiten. Dabei helfen ihr auch die jungen Schauspieler  Anna Caterina Fadda, Vera-Cosima Gutmann, Luise Harder, Fatih Kösoglu, Julian Mantaj, Theresa Mußmacher, Simon Rusch und Eduard Zhukov. „Ich werde mir keine Meinung bilden, nur Urteile“ – lautet das Credo. Es gibt wilde Spekulationen über die Vergewaltigte. Sie habe es darauf angelegt, habe mit ihrem Chef gevögelt. Sie sei total in ihn verliebt gewesen: „Der Typ hat das nicht nötig.“ Schließlich stellt der Vater den Täter zur Rede: „Sie haben sie misshandelt. Ihre Arbeit, Ihre Firma haben Sie ihr weggenommen!“ Letztendlich wird es den Täter die Leitung der Firma kosten: „Wagen Sie es nicht, von meiner Tochter zu sprechen!“ Sie soll in Zukunft in den Händen einer Frau liegen.

Die Autorin Maria Milisavljevic stellt alles auf den Kopf, übt scharfe Kritik an einer verlogenen Gesellschaft. Julia Prechsl folgt ihr in dieser subtilen Inszenierung aufs Wort. Dadurch ist auch in dieser gekürzten Version viel von der Substanz des Stückes erhalten geblieben. Die Gegenwart wird bei dieser Online-Premiere ganz bewusst hinterfragt. Und die Nachdenklichkeit der einzelnen Personen rückt plötzlich in ein grelles Licht. Man sieht die nackten, schaumbedeckten Oberkörper, über die das Dusch-Wasser unaufhörlich fließt. Die Vergewaltigte liegt schließlich auf dem Boden, herabfallende Blätter bedecken ihren Körper. Es ist auch ein erschütterndes Bild absoluter Hilflosigkeit, das den Zuschauer hier überfällt und überwältigt. Zwischendurch singt Simon Rusch noch verschiedene Songs. Die Tristheit des Geschehens kommt immer wieder drastisch zur Geltung. Das Stück will als Film offene Fragen hinterlassen. Der „digitale Stillstand“ wird hinterfragt.

Und der Film bleibt noch bis zum 19. Juli auf der Website des Schauspiels Stuttgart online. 

Alexander Walther

attitude Jun 15: A short Talk with Alaia Rogers (Vienna State Ballet): February 19th, 2020 From the inside

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attitude Jun 15: A short Talk with Alaia Rogers (Vienna State Ballet): February 19th, 2020
From the inside

One of the most exciting things about my profession is the precious opportunity to „visit the souls“ of artists whose work I much admire, artists I watch regularly on stage and meet quite often at Première Parties, backstage etc.

It was more than a pleasure to interview charming Alaia Rogers, a beautiful member of the Corps-de-Ballet last February. Although we have known each other for quite long, we had never had the chance to sit down and talk longer. I had also heard much about her from her colleagues: they are all unanimous in their opinion about this young dancer’s intelligence. Yes. I was really looking forward to this meeting and I can tell you: what a lovely afternoon it turned out to be…

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Copyright: Ricardo Leitner

ZUM INTERVIEW

Ricardo Leitner


MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: EINMAL KÖNIG SEIN

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MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: – Einmal König sein

Montag, 15. Juni 2020

Ich war heute einmal König. Hatte einen Platz in der Königsloge des Gärnerplatztheaters „gewonnen“ – 16 Plätze pro Vorstellung wurden unter den Personen, die ein Bestellformular ausgefüllt haben, verlost. Ich habe den Verdacht, dass das Interesse nicht sehr groß war, da eine Frau, die mit mir in der Königsloge saß, für jede Vorstellung eine Karte erhalten hat.  Es war, trotz hervorragender musikalischer Leistungen, insgesamt eine traurige Veranstaltung: Der Blick auf das leere Parkett ist einfach nur deprimierend.  Was Ludwig 2 daran gefunden hat entzieht sich meinem Verständnis. Vielleicht lag es auch an der Kürze des Programms: drei Arien und ein  Duett, davor Barockmusik: die Sonate D-Dur für Flöte und Harfe von Leonardo Vinci (1690-1730), nicht zu verwechseln mit dem Renaissance-Genie Leonardo da Vinci. Die Zusammenstellung beliebig:
„O mio babbino caro“  von Jennifer O’Loughlin sehr innig gesungen
„Parigi, o cara“ von Gyula Rab mit schönem, baritonal grundiertem Tenor und wieder Jennifer O’Loughlin
„Füntausend Taler“ von Christoph Seidl
„Dein ist mein ganzes Herz“ wieder vom Tenor Gyula Rab.

Das war alles sehr schön gesungen und es war schön, mal wieder Oper live gesungen zu hören, wenn auch nur mit Klavierbegleitung. Aber es war,  als würde man einem Verdurstenden einen Fingerhut voll Wasser reichen, gerade genug, dass man weiß, was man vermisst, dass  bewusst wird, was einem entgeht. Nach einer knappen halben Stunde war der Spuk vorbei. Zu wenig für das hungrige Herz.

Susanne Kittel-May

WIEN: Dinnertheater im Schönbrunner Stöckl (14.6.2020): Waltraud Haas im „Flotten Dreier“……

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WIEN: Dinnertheater im Schönbrunner Stöckl (14.6.2020): Waltraud Haas im „Flotten Dreier“ ……

Restaurant 'Schönbrunner Stöckl' | 13. Bezirk | Bilder aus Wien ...
Schönbrunner Stöckl.

Na ja, Waltraud Haas wohl nicht als Dreier, eher schon als durchaus flotte 93jährige. Zu ihrem ehrwürdigen Geburtstag haben die künstlerischen Gastgeber Tamara Trojani (singend) und Konstatin Schenk am Klavier (und ebenfalls singend) zur „Ein flotter Dreier“– Tritsch Tratsch Dinnershow gebeten.  Als eine durchaus denkwürdige Liebesbezeugung zum Geburtstag des so beliebten Mariandl der Nachkriegsjahre. Gleichsam en famille. Auch Haas‘ Sohn Marcus Strahl hat quer durch den Saal seine belachten Ezzes beigesteuert. Und auch ….. das historische Stöckl am Rande des Schönbrunner Schlossareals wurde bereits vor Jahrzehnten von der Haas-Familie bewirtschaftet.


Waltraud Haas. Foto: Wikipedia

Ein kräftiger Hauch Altwiener Kultur war somit zu spüren. Trojani und Schenk haben mit gutem Wiener Schmäh jongliert, und in den heiteren Dialogen sind Namen wie Hans Moser, Willi Forst, Paul Hörbiger, Fred Liewehr, Franz Antel, Peter Alexander gefallen. Amüsant zum Zuhören. Und schöne Erinnerungen an ihren Idealgatten Erwin Strahl sind aufgekommen. Solch eine authentische heimatliche Kultur gibt´s ja zur Zeit in Wien kaum noch mehr.

„Es soll nicht schlechter werden“, ließ Haas als Statement zu ihrem Alter fallen. Ja, und auch zart gesungen hat sie, übermütig assistiert von Trojani und Schenk: Vom Herrgott, der net will; das Wachauer Mariandl, die Rose vom Wörthersee haben sich gemeldet; das Weiße Rössl; die Csárdásfürstin, ja, tolle Musik. Und da wir uns auch in einem Restaurant befinden, so hat das Lieblingsmenü der ‚Hasi‘ ebenfalls sehr fein gemundet: Die Schinkenrolle ‚Hans Moser‘, das ‚Coup Mariandl‘, ein geschmackiges Putenmedaillon, die Fridattensuppe á la  Marcus. Sie selbst kocht seit einiger Zeit nicht mehr, wird von ihrem stets sachte Regie führenden Sohn Marcus betreut. „Auf der Bühne, nein, da ist er nicht streng“, wirft die Frau Mama ein, „privat aber schon!“ Um das Wohl seiner Mutter bemüht. 

Meinhard Rüdenauer

FRANFURT/ Opernhaus: „ZELJKO LUCIC“ –  Arien- und Liederabend  

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Mario Antonio Marra, Zeljko Lucic. Foto: Barbara Aumüller

Frankfurt / Opernhaus: „ZELJKO LUCIC“ –  Arien- und Liederabend  – 15.06.2020

Ein weiteres Highlight bot die Oper Frankfurt mit einem Arien- und Liederabend des einstigen Ensemble-Mitglieds Zeljko Lucic  (1998-2008), danach blieb der Bariton mit internationalem Renommee dem Haus stets als treuer Gastsänger verbunden.  Binnen weniger Minuten waren die 100 verfügbaren Plätze vergriffen, der in der Main-Metropole wohnhafte Künstler erklärte sich bereit sein Programm am nächsten Abend zu wiederholen.

Das Spiel konnte beginnen und Zeljko Lucic eröffnete sein Recital bezeichnenderweise mit dem Prolog des Tonio Si puó? Signore? Signori? aus „I Pagliacci“ (Ruggero Leoncavallo), in prächtig nuanciertem kernigen Bariton-Timbre.

Packend, intensiv, das stilistisch sehr sicher geführte Stimmpotenzial höchst differenziert  eingesetzt, brachte Lucic die dialektischen Emotionen des Carlo Gerard Nemico della patria aus „Andrea Chenier“ (Umberto Giordano) imponierend zum Ausdruck.

Wie bereits mehrfach während Live-Performances präsentierte sich Zeljko Lucic als idealer und höchst qualifizierter Fachvertreter der Charakteren aus der  Feder von Giuseppe Verdi und präsentierte höchst effizient Jagos Credo in un Dio crudel aus „Otello“.  Darstellerisch wie vokal gestaltete der Bariton die gefühlsmäßigen Wechselbäder des Renato Eri tu che macchiavi aus „Un ballo in maschera“ in purem Belcanto.

Als vortrefflicher Liedgestalter erwies sich ebenso der exquisite Opernsänger mit einer Auswahl von Johannes Brahms-Gesängen. Zu einwandfreier Diktion sang Zeljko Lucic in ausdrucksstarker Formation  Wir wandelten – An die Nachtigall – Feldeinsamkeit –  Treue Liebe dauert lange – Serenade stets bemüht die mächtige Stimme zu zügeln den Melos zu wahren. 

Elegisch, versonnen, herrlich nuanciert völlig im Einklang der Melodie interpretiert erklang Im Abendrot von Franz Schubert.

Bestens akzentuiert gelang Lucic der kurze Ausflug ins französische Liedgut des Impressionisten Maurice Ravel. Aus dem Zyklus „Don Quichotte á Dulcinée“ bot der vielseitige Sänger mit Noblesse und Eleganz drei Episoden Chanson romanesque – épique –á boire in flexibler musikalischer Gestaltung.

Vortrefflich gelangen Mario Antonio Marra das Eintauchen in die intimen sehnsuchtsvollen Passagen der Liedwelten,  teils plakativ begleitete der  Pianist mit dramatischem Gespür  in musikalischer Prägnanz die Arien-Untermalungen.

Das Publikum feierte seinen Frankfurter Bijou euphorisch, vehement und wurde mit Rigolettos fulminant, hinreißend, unter die Haut gehend dargebotenen Cortigiani, vil razza dannata belohnt. Sehr bewegt bedankte sich der Künstler beim Publikum, warf seinen Blumenstrauß in die lichten Reihen und richtete ebenso Dankesworte an Intendant Bernd Loebe.

Gerhard Hoffmann

 

WIEN/ Staatsoper: LIEDERABEND CAMILLA NYLUND/ HELMUT DEUTSCH

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Copyright: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Wiener Staatsoper: Liederabend Camilla Nylund / Helmut Deutsch am 15.6.2020

Die 7 Lieder von Jean Sibelius, Schumanns „Frauenliebe und -leben“ und 4 Lieder von Richard Strauss op.42 gaben der großen finnischen Lyrikerin reichlich Gelegenheit, ihre vollendete Sangeskunst auszuleben. Ihr Begleiter am Pianforte, Helmut Deutsch, war ihr der denkbar beste Partner.

Die Sibelius-Lieder in schwedischer Sprache, eine der beiden Muttersprachen der gebürtigen Finnin, verbinden Liebesempfindungen mit vielseitig deutbaren Naturgegebenheiten oder erträumten Naturerscheinungen.Die Echo-Elfehandelt von einer zierlichen Nymphe, die singend durch die Heide läuft, auf der Suche nach ihrem Geliebten, mit dem sie dies zur Tag- und Nachtzeit tat,  ihn nun aber auch schreiend nicht wiederfindet, bis sie erschöpft zusammenbricht. Mit Echolauten führt sie den „Jäger“ dann in die Irre, „wie einst der Geliebte, der sie täuschte“.  In abruptem Piano lässt der Pianist die vokal anspruchsvolle Erzählung enden.
Diese Lieder haben eines gemeinsam: Sie bestehen nicht wirklich aus Melodien, sondern sind Erzählungen auf melodischer Basis und ermöglichen der Sängerin ein gefühlvolles Verweilen in Erlebtem oder Erträumtem und verlangen ihr die dafür nötige technische Perfektion ebenso ab wie die Verinnerlichung des Erzählten bzw. Gefühlten. Also wie geschaffen für Camilla Nylund, die nach allein 14 Rollen des lyrisch-dramatischen Fachs an der Wiener Staatsoper nun als Liedsängerin unter Beweis stellt, dass sie das Erarbeitete auch hier perfekt zum Einsatz bringen kann.

Geheimnisvoll  lässt Helmut Deutsch inSchilfrohr säusledie Wellen erahnen, in denen  die junge Ingelill versank, von der Sängerin dann mit einem sterbenden Schwan verglichen. Mit großer Intensität hören wir von der  glücklich Liebenden, die ob ihres Glücks und Besitzes durch Neid ihres Glücks beraubt wurde. Am Klavier hört man zuletzt die Wassertropfen, denen sie nachhört…

Der Diamant auf dem Märzschneegibt der Sopranistin Gelegenheit,  ihre Stimme „glitzern“ zu lassen wie ein Diamant und ihn in der Sonne schmelzen zu lassen zur Träne – eine Art Liebestod.War es ein Traumlässt ihr mit des wohltönenden Klavieres Hilfe ihre Gedanken verfolgen, dass der Traum kurz, aber wunderschön war. In „Arioso“ (op.3!) spricht ein Mädchen an einem Wintermorgen eine verwelkte Rose an und vergleicht deren Schicksal mit dem ihren. Dramatischer geht es in den Mutter-Tochter-Gesprächen beiMädchen kam vom Stelldicheinzu, wo sehr plastisch eine missglückte Liebesgeschichte zu Wort und Ton kommt. Mit den „Schwarzen Rosen“, die am trauernden Herzen einer Liebenden nagen, endet der tragisch-poetische Sibelius-Block, der die Schönheit von Camilla Nylunds Stimme nicht beeinträchtigen konnte.

Robert Schumanns wunderbarer Lieder-Zyklus „Frauenliebe und -leben“ lässt uns in pure Romantik heimkehren. Dort wie da ergänzen Blicke und kleine Gesten der Sängerin die schöne, in bitterster Trauer endende Liebesgeschichte. Das oft Gesungene bzw. Gehörte ließ an diesem Abend dank beider Künstler neue Farben erschauen bzw. erleben. Schon deshalb, weil Camilla Nylund sich nicht als junges Mädchen (das sie nicht mehr ist) auszugeben bemüht war, sondern als reifere Frau, die weiß, was sie tut und sagt, damit aber jedem Wort erhöhte Bedeutung gab. Besonders fielen mir die voll ausgesungenen verbalen Reprisen auf: „Wie so milde, wie so gut..“, das 3-malige „Ich kann’s nicht fassen nicht glauben“ oder das final wiederholte sanfte „dein Bildnis“ (inSüßer Freund).

Zusammenfassend: Camilla Nylund singt nicht nur, sondern sie hat immer auch etwas zu sagen. Und Helmut Deutschs Begleitung tönt nicht nur schön, sondern „spricht“ auch zu uns.

Und schließlich die Richard Strauss-Gesänge:Heimliche Aufforderung“, „Ruhe meine Seele“, „Morgen“ und „Cäcilie“ – da konnte die wunderbare Arabella, Ariadne, Marschallin und Frau ohne Schatten, denen im kommenden September die Chrysothemis folgen wird, sich wieder einmal vokal ausleben! Versteht sich, dass der großartige Liedbegleiter mithilfe der Tasten ein Gleiches tat.

Nach drei Draufgaben wurde das Team mit „standing ovations“ der leider nur 100 Anwesenden bedankt.  

Sieglinde Pfabigan

 

MONTEVIDEO/ Uruguay/Teatro Solis: IL DUCE von Federico García Vigil (1941–2020) – zum Tod des Komponisten

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Teatro Solis, Montevideo (Uruguay) Federico García Vigil (1941–2020) Il DUCE  (Uraufführung war am 17.12.2013 ):

Der uruguaische Kontrabassist, Komponist und Dirigent erlitt vor wenigen Tagen am 27.5. einen tödlichen Herzinfarkt während eines Tennismatches, seiner Lieblingsbeschäftigung  außerhalb der Musik. Federico García Vigil war jahrelang Bassist im Sodre-Orchester von Montevideo und außerhalb des Landes. Während der Diktatur wanderte er aus und wurde nach der Rückkehr zur Demokratie in Uruguay zum Leiter des Municipal Symphony Orchestra, heute der Philharmonie, ernannt, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2007 tätig war. Während seiner internationalen Karriere dirigierte Federico García Vigil auch zahlreiche Symphonieorchester in Nord- und Südamerika sowie in Europa und pflegte während seiner künstlerischen Laufbahn auch stets eine enge Beziehung zu Pop- und Volksmusik, bei Letzterer insbesondere zu Candombe, die eine  Symbiose von musikalischen, religiösen und tänzerischen Merkmalen verschiedener Afro-Stämme ist, die während der Kolonialzeit am Rio de la Plata lebten und von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt wurde. 

Am 17.12.2013 fand nun die Uraufführung der einzigen Oper von Federico García Vigil, „Il Duce“, im Teatro Solis in Montevideo statt. Das spanische Libretto von Carlos Maggi (1922-2015) und Mauricio Rosencof (1933*) in drei Akten wurde nach dem Willen des Komponisten, der eine große italienische Oper komponieren wollte und wohl auch auf Grund des Sujets der Oper, ins Italienische übersetzt. Anders als man bei dem problematischen Titel dieser Oper vermuten könnte, wollte der Komponist den italienischen Faschismus in Gestalt des Diktators Benito Mussolini (1883-1945) keinesfalls  verherrlichen. Vielmehr wird in dieser Oper das „Leben“ des Diktators nach seinem Tod, als er aus der Hölle zurückkehrt, erzählt. Für die folgende Inhaltsangabe lag mir eine Übersetzung ins Englische von Fernando (Fred) Funes zu Grunde, die ich an dieser Stelle in gekürzter Form wiedergeben möchte:

Akt 1: Nach einer kurzen düsteren Einleitung öffnet sich der Vorhang und man sieht die Piazza Venezia in Rom und im Hintergrund das Nationaldenkmal für Viktor Emanuel II., den sogenannten „Vaterländischen Altar“. Vor einer großen italienischen Flagge betrachtet die sprachlose Menschenmenge die mit dem Kopf nach unten hängenden Leichen von Mussolini und seiner Geliebten Claretta Petacci (1912-45). Der Komponist hat hier die historischen Begebenheiten auf der Piazzale Loreto in Mailand nach Rom verlegt. Der Chor stimmt einen Choral an, als der Duce aus der Hölle zurückkehrt und über sein tragisches Ende nachdenkt. Das Volk beklagt die Schrecken und das jahrelange Leid unter dem faschistischen Regime. Ein Trio singt eine Passage des Canto VI aus dem Fegefeuer von Dantes Divina Comedia. Es erscheint Primo Levi (1919-87), ein italienischer Schriftsteller und Chemiker und Überlebender von Ausschwitz, nur sichtbar für den Duce und legt Zeugnis über die schrecklichen Ereignisse ab. Mit der Coda dieses gewaltigen Chorales kündigen Fanfaren einen Wechsel des Geschehens an. Dieselbe Menge spendet nun frenetischen Beifall einer Rede von Mussolini, der den Sieg auf dem Weg nach Rom verheißt. Plötzlich zerreißt ein junger Antifaschist ein Plakat des Duce und wird von einer Brigade der Schwarzhemden (camicie nere), einer paramilitärischen Miliz der italienischen Faschisten, ermordet.

Akt 2: In der Residenz des Duce soll die Hochzeit seiner Tochter Edda mit Graf Galeazzo Ciano stattfinden. Nach einer kurzen Einleitung des Orchesters wird der Duce von drei Dienerinnen für diesen Anlass  angezogen. Ein Hochzeitsmarsch ertönt und Mussolini führt seine Tochter zum Altar, wo Padre Marcello und der Bräutigam, Graf Ciano sie erwarten. Danach wird zu Walzermusik getanzt. Während der Chor dieses Fest  sarkastisch kommentiert werden im Hintergrund als starker Kontrast zur Feier Bombenabwürfe aus dem 2. Weltkrieg filmisch eingeblendet. Gesandte treten ein und besiegeln die  Allianz zwischen dem Duce und Adolf Hitler. Während die Damen sich böswillig über das Verhältnis von Mussolini mit Claretta äußern, betritt eine Abteilung der Cosa Nostra die Szene, um Mussolini ihrer Unterstützung zu versichern. Eine kurze Szene zeigt sodann Mussolini mit Primo Levi, der den Duce des Mordes an Giacomo Matteotti (1885-1924), des Generalsekretärs des Partito Socialista Unitario,  beschuldigt. Ein Gefühl der Unsicherheit über die Zukunft der Nation bemächtigt sich der Gäste und Graf Ciano äußert seine Sorgen in einer Arie nach den Worten des chilenischen Dichters César Vallejo (1892-1938), die für diese Oper gleichfalls ins Italienische übertragen wurden.

3.Akt: Musikzimmer des Duce im Norden Italiens. Ein Kammermusiken-semble bestehend aus 2 Violinen, einer Viola und einem Cello wird vom Duce auf seiner Geige begleitet. Edda tritt mit ihren beiden Kindern ein und fleht den Duce um Gnade für ihren Gatten, Graf Ciano, an, der wegen Verrates zum Tode verurteilt wurde. Der Duce antwortet ihr, „Nicht ich, Italien hat ihn verurteilt!“ und weigert sich, trotz der Beleidigungen durch seine Tochter, das Todesurteil zu widerrufen. Am 11.1.1944 werden die Gefangenen, unter ihnen Graf Ciano, von einem Erschießungskommando der SS hingerichtet. Plötzlich bringen Partisanen den gefangenen Duce, der als gemeiner Soldat verkleidet fliehen wollte, herein. Eine alte Frau, die Mutter des Brotes, die die Seele der großen Italienischen Nation symbolisiert, nähert sich dem gebrochenen Mussolini. Die Szene erinnert entfernt an Erda und Wotan im Rheingold. Und auch hier fragt Mussolini: “Wer bist du, die mich so behandelt“. Die Mutter des Brotes antwortet ihm: „Ich nenne dir nicht meinen Namen. Denk an Italien!“ Claretta wendet sich verzweifelt an Kammandante Pietro, den Führer der Partisanen, mit der Bitte gemeinsam mit ihrem geliebten Benito Mussolini zu sterben. Beide werden getötet.

Nach einem dramatischen orchestralen Intermezzo kehrt die Szene im Epilog wieder an den Beginn der Oper zurück. Primo Levi reflektiert die historischen Ereignisse, während der Chor alle Tyrannen, besonders aber Benito Mussolini für all den Schmerz und das Leiden, das er dem Italienischen Volk bescherte, verurteilen. Die Oper endet mit dem Credo,  dass ein Tyrann, der unendlich missbraucht, es verdient, seinen berüchtigten Kurs ohne Ende zu wiederholen.

García Vigil konzipierte seine Oper „Il Duce“ als Hommage an die italienische veristische Oper und war von den Umständen des Zweiten Weltkriegs, der im Jahr seiner Geburt (1941) stattfand, erschüttert. Ganze vier Jahre hat der Komponist an der Fertigstellung seiner Oper gearbeitet. Am Pult des Orchesters des Teatro Solis muss er wohl als Garant für eine authentische Interpretation seiner Oper angesehen werden.

Der chilenisch-kubanische Bassbariton Homero Pérez Miranda übernahm die anspruchsvolle Rolle des Duce, der gemäß Dantes Fegefeuer dazu verurteilt ist, sein Leben  gleich dem ewigen Juden Ahasveros immer wieder neu zu durchleben, ohne es ändern zu können. Mezzosopran Nidia Palacios übernahm die Rolle von Edda, der larmoyanten Tochter Mussolinis. Die italienisch-argentinische Sopranistin  Paula Almenares war in der Rolle der aufopferungsbereiten Geliebten Mussolonis, Claretta, zu bewundern. Tenor Pedro Espinoza gab einen respektablen Graf Galeazzo Ciano und hatte wohl die schönsten Arien dieser Oper zu singen. Der in Montevideo geborene Tenor Gerardo Marandino erschütterte in der anklagenden Rolle der historischen Figur des Ausschwitz-Überlebenden Primo Levi, der nur für Mussolini sichtbar ist. Die gleichfalls in Montevideo geborene Mezzosopranistin Raquel Pierotti gemahnte als Erda ähnliche Madre del Pan (Mutter des Brotes) in einer berührenden Szene den Duce knapp vor seiner Hinrichtung. Der chilenische Tenor José Azócar übernahm die Rolle des Partisanenführers Pietro. Der gleichfalls aus Uruguay stammende Bassist  Marcelo Otegui gab einen ehrwürdigen Monsignore Marcello, assistiert von Bassist Daniel Romano als Padre Baldovino. In den kleineren Rollen waren noch Kaycobé Gómez als Nina, Laura Baranzano als Lara, Andrés Prunnel als Luparello, Raúl Pierri als Cardamone, Diego Reggio als Sila und Nicolás Zecchi als Balart zu sehen und zu hören. Rodrigo Garmendia, Ethel Goldman, Patricia Martínez, Lorena Quintana und  Matias Tchomikian tanzten zur Walzerchoreographie von Olga Bérgolo, der Gattin des Komponisten. Für die spannende Regie und die Beleuchtung konnte der Italiener Massimo Pezzutti gewonnen werden. Das Originalschauplätzen nachempfundene Bühnenbild gestaltete Osvaldo Reyno. Soledad Capurro entwarf die historisierenden Kostüme. Der stimmige Chor war von Esteban Louise Aineceder bestens einstudiert. Die Oper dauert etwa zwei Stunden und wurde am 19.12.2013 im Fernsehen ausgestrahlt. Sie kann wohl als ein Meisterwerk des uruguayischen Opernschaffens zu Recht angesehen werden.

Auf youtube (https://www.youtube.com/watch?v=E0WTrvAKkXA) kann man diese Oper mit spanischen Untertiteln nachhören und -sehen. Man mag dem Komponisten vorwerfen eklektisch komponiert zu haben, doch war das von García Vigil offenbar so gewollt. Mir gefiel seine „konservative“ musikalische Ausdrucksweise und ich habe die Oper mit großem Interesse verfolgt.                                                               

Harald Lacina

WIEN/ Staatsoper: „AH, LÈVE-TOI SOLEIL“ – Ensemblemitglieder singen Szenen aus französischen Opern

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Wiener Staatsoper, 16.6.2020: „AH, LÈVE-TOI SOLEIL“ – Ensemblemitglieder singen Szenen aus französischen Opern

 Auch wenn es die bereits 2. Veranstaltung der Rezensentin in der Wiener Staatsoper nach der verhängnisvollen (Zwangs-)Pause seit Mitte März ist, so ist man sich der historischen Dimension dieser Juni-Konzerte trotzdem bewusst. Noch nie gab es so intime „Privat-Abende“ in diesem Haus – nur für 100 allerschnellste der schnellsten Kartenkäufer. Voraussichtlich kann man diese besondere Situation irgendwann den erstaunten Ur-Enkeln erzählen. Natürlich bin ich mit Begeisterung und Leidenschaft dabei – der Hunger nach Kunst und Kultur ist auf jeden Fall viel, viel größer als jegliche Angst vor Infektionen und Krankheit. Trotzdem hätte man dem Ensemble einen Abschied vor einem ausverkauften, laut jubelnden Haus von ganzem Herzen gewünscht; schließlich kann die (Weiter-) Entwicklung vieler dieser Künstler bis an die Weltspitze auch an diesem Abend wieder mit Genuss beobachtet werden.

Auch wenn das beste Orchester der Welt, die Wiener Philharmoniker fehlen, erfolgt die musikalische Begleitung mit viel leidenschaftlicher Hingabe am Bösendorfer-Flügel auf sehr hohem Niveau. Die Pianistin Cécile Restier ist seit 2012 Solorepetitorin am Haus und kann auch auf langjährige Erfahrung in dieser Tätigkeit in Frankfurt, Amerika, Spanien und Frankreich zurückblicken.

Mit einem Blumensträußchen in der Hand eröffnet Rachel Frenkel als Siébel den Konzertabend mit „Faites-liu mes aveux“ aus Faust. Eindringlich beschwört die Sängerin aus Israel die Blumen, dass diese der angebeteten Marguerite die innige Liebe gestehen und einen süßen Kuss schicken mögen. Die hohen Mezzo-Töne klingen klar und innig – Frau Frenkel konnte in dieser Rolle auch schon 2017/18 in der Bühnenfassung positiv auffallen.

NEUE STIMMEN 2015 - Preisträgerkonzert: Xiahou Jinxu mit "Che ...
Jinxu Xiahou.

 

Am 17.6. hätte Jinxu Xiahou an der Seite von Domingo sein Debüt als Ismaele gegeben. Corona-bedingt singt er stattdessen am Vorabend erstmals den Roméo und dessen heldenhafte Kavatine „Ah, lève-toi soleil“. Ergreifend-romantische Töne fließen bei der warmen Stimme des Tenors nur so und das zart gezeichnete Portrait des leichtsinnigen Verliebten gelingt vorzüglich. Der Chinese lächelt auch an den schwierigeren Stellen unentwegt und bei diesem süßen Liebesgeständnis muss wohl jede Juliette schwach werden.

Auch das dritte Stück „Que fais-tu, blanche tourterelle“ stammt aus Gounods Feder und Svetlina Stoyanova als Page Stéphano sucht den Herrn Roméo aus dem Hause der Montaigue am Beginn sogar unter dem Klavier. Besonders die Mittellage des Mezzos ist mit Wohlklang ausgestattet und das Spott-Lied an die verfeindeten Capulets endet, indem die Bulgarin frech die Zunge zeigt.

Als nächstes tritt eine effektvolle Daniela Fally als Olympia aus „Les contes d´Hofmann“ auf. Die Arie „Les oiseaux dans la charmille“ konnte das Wiener Publikum bereits im Mai/Juni 2014 in der Wiener Staatsoper mit der Niederösterreicherin erleben und wieder kann sie mit perfekt-abgestimmter Mimik und Gestik das beeindruckende Koloraturen-Feuerwerk anstimmen. Wenn die Automatik der Puppe hängt, muss die Frau am Klavier mit der Fernsteuerung aushelfen oder mit ihrem Fuß fest aufstampfen. Sogleich erhebt sich die zusammengesunkene Sopranistin erneut mit glucksenden Lauten und Augengeklimper und dreht – wieder lebendig geworden – eine steife Pirouette, um mit glasklarer Höhe fortzufahren. Man merkt, wieviel Spaß die Künstlerin bei dieser Darbietung hat, und die 100 Gäste mit ihr.

Ebenfalls in derselben Aufführungs-Serie des „Hofmann“ zu sehen und zu hören war Stephanie Houtzeel als Nicklausse und auch dieses Ensemble-Mitglied bleibt wie Fally dem Haus am Ring in der nächsten Saison treu erhalten. Kraftvoll vorgetragen erleben wir den lyrischen Mezzo mit „Vois sous l´archet frémissant“. Auch ab September bleibt die Deutsch-Amerikanerin im Ensemble am Haus am Ring.

Es geht weiter mit Offenbachs berühmtester Oper: die gefühlvolle Klavier-Einstimmung führt uns ins Venedig um 1800. Fast glaubt man, die Wellen zu hören, als Margaret Plummer und Valeriia Savinskaia im Glitzer-Look als Engeln der Nacht – langsam im Takt der Musik – auf die Bühne kommen und mit einer harmonisch-abgestimmten „Barcarolle“ verzaubern können.

Danach wird es beim Klavier-Solo hochdramatisch, bevor Samuel Hasselhorn mit Stimmkraft, schön-geschwungenen Legato-Bögen und sehr hohem Bariton Abschied von Don Carlos (und der Welt) nimmt. Sein Rodrigue kostet bei „C´est moi, Carlos“ auch den letzten hohen Ton sehr lange aus, ehe der Tod des idealistischen Marquis eintritt.

Eines der schönsten Duette zwischen Tenor und Bariton schenken uns Jinxu Xiahou und Orhan Yildiz aus der selten gespielten Bizet-Oper „Les Pêcheurs de Perles“. Der Chinese beginnt als Nadir das hymnische „Au fond du temple saint“ mit Höhensicherheit und der türkische Bariton als Zurga besiegelt kraftvoll die Freundschaft und gleichzeitig die Liebe zur göttlich-reinen Léila – gut abgestimmt mit gefühlvoller Klavier-Begleitung. Xiahou präsentiert sich wieder in Höchstform und die treuen Wiener Begleiter der Jahre seit September 2012 wünschen ihm eine weiterhin glanzvolle Karriere.

Das „Carmen“-Programm beginnt eine der besten Interpretinnen der Titelrolle der letzten Jahre (für mich unvergesslich im Jänner 2018 an der Seite von Piotr Beczala!): Margarita Gritskova im Zigeuner-Style mit feurig-rotem Rock, tiefem Dekolleté und einer roten Blume im Haar. Verführerisch, provozierend und vokal überzeugend – diese Séguidilla „Près des remparts de Séville“ hat nur einen Nachteil: es ist viel zu kurz – nach meinem Geschmack.

Auch Clemens Unterreiner konnte sich schon in der Wiener Zeffirelli-Inszenierung als Escamillo profilieren. Im spanischen Look mit roter Rose im Knopfloch und edlen Glitzerschuhen zeigt sein „Votre toast“ einen idealen Stierkämpfer mit Stimmgewalt und Ausdruck – auch – als Verführer. Man lauscht gespannt seinen Erzählungen und zum Schluss ist ihm Kampf und Sieg gewiss – seine Freude steht ihm ins Gesicht geschrieben.


Valentina Nafornita. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Nachdem Don Josés „Zukunft“ von der Bühne geht, erscheint dessen „Vergangenheit“ – ein blasses, unschuldiges Dorfmädchen, das mit warmer, weicher Stimme ihre Angst in „Je dis que rien ne m´épouvante“ besingen soll. Leider ist Valentina Nafornita mit hart gewordenem Sopran und zeitweise schrill klingender Höhe für mich keine überzeugende Micaëla.

Zuletzt interpretieren Zoryana Kushpler, Margaret Plummer, Bryony Dwyer, Leonardo Navarro und Igor Onishchenko „Nous avons en tête une affaire“. Das Quintett aus „Carmen“, beginnend mit dem jungen, ukrainischen Bariton Oninshchenko als Dancaïro ist ein würdiger Schluss-Punkt des Konzertes mit Ausschnitten aus französischen Opern.

Daniela Fally überreicht beim finalen, heftigen Applaus eine große Schokoladen-Packung an die exzellente Cécile Restier und das Publikum sagt mit langem Klatschen ein herzliches „MERCI“ an die 17 Künstler.

 

Susanne Lukas

MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater/ „Corona-Spielplan“: „Freunde, das Leben ist lebenswert! Happy Birthday, Franz Lehár!“

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Gärtnerplatztheater „Corona-Spielplan“ 17. Juni 2020, Operetten-Konzert
„Freunde, das Leben ist lebenswert! Happy Birthday, Franz Lehár!“

  „Du schriebst zuweilen argen Mist Franz! Doch weil’s von Lehar ist, so frisst man’s!“                                                                  schwindelt Franz Mittler (1893-1970, österreich. Komponist) in einem Schüttelreim!                                                                                                                              

Da kontert nun Tim Theolein, der Auftritt müsst‘ noch länger sein!

Franz Lehar. der letzte König der Wiener Operette | Lanz Ernst ...

Franz Lehr – ein Wunderkind                              Bildquelle: Theatermuseum/gemeinfrei        

Der Operettenkönig Franz Lehar (1870 – 1948) wäre am 30. April d. J. 150 geworden. Statt Komposition musste das Wunderkind Geige studieren und dem Beruf seines Vaters zu folgen. So wurde er mit 20 Jahren jüngster Militär-Kapellmeister Österreichs. Ab 1899 in Wien wurde er dann zum legendären „Operetten – Komponisten “, sei…. „ganz ahnungslos und blindlings in die Wiener Operette geraten!“  Zunächst als Walzerkomponist starten seine Operettenkompositionen 1902, mit dem Welterfolgt der „Lustigen Witwe 1905.

Puccini war ein enger Freund, dazu:

 „Schon während des Essens unterhielten sich die beiden Meister fast ausschließlich durch Zitate aus ihren Werken, die sie leise singend andeuteten und erläuterten. Dann setzten sich beide an den Flügel. Eng umschlungen spielten Puccini mit der rechten, Franz mit der linken Hand abwechselnd oder sich gegenseitig begleitend die wunderbarsten Harmonien, Puccinismen und Lehárismen, sich in Klangwirkung und originellen Wendungen überbietend.“

Ankündigung: “Besondere Zeiten erfordern einen besonderen Spielplan. Wir präsentieren Ihnen in den nächsten Wochen einstündige Konzert-Programme aus den Bereichen Oper, Operette oder Musical, die den Besuchern einzigartige Perspektiven und Einblicke eröffnen werden, die unter normalen Umständen nicht möglich wären.“

So war es! Auf gewohnt bestem musikalischen Niveau, erlebten das Publikum einen durchaus exotischen Perspektivwechsel von der Bühnen in den Zuschauerraum, der z. T. auch von den Protagonisten besetzt war. TTT war angetan – keine Kümmernis, kein Wehklagen, kein Jammern – Freude über den Neubeginn: „Auf zu neuen Ufern“.

 

Maximilian Mayer, Orchester des Gärtnerplatz-Staatstheaters,   © Marie-Laure Briane (1. vorn links TTT)

Selbstverständlich ist Trauer über zunächst vergangene Opulenz im Theater zulässig. Eingedenk der absehbar auch zukünftig eingeschränkten Möglichkeiten (unabhängig von Covid 19 durch fehlendes Geld), stellen sich Fragen, in TTT’s nächster Erörterung gestellt:  aktives Engagement und Neuanfang oder …?

„Der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt“ sagt Konfuzius. Route Futschikato oder Picobello?  

Gandhi: Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt!“  Kierkegaard„Leben lässt sich nur rückwärts verstehen, muss aber vorwärts gelebt werden!“ Überlisten wir Gandhi mit Kierkegaard?

Grundsätzliche Stereotype menschlichen Daseins sind entgegengesetzte Lebensweisen: Krankheitsbehandlung oder Gesundheitspflege also Problem- oder Lösungsorientierung! Kurzfristig gibt es kein „Weiter wie bisher“ … langfristig?

Kapieren wir Rückwärtiges, verpufft Gandhis Zukunfts-Pessimismus! Bisherige Konsenswelt könnte Lehren generieren. Postpandemie? Aufbruch? Deadline war gestern! Aufstoßen und ins Horn brechen? Nein, ins Horn stoßen und Aufbrechen!

Die Macht Corona ins Abseits zu pfeifen, fragt: Was nun? Hurra, wir leben noch? Wie?  Erstarren oder Starten?“  

Inhalt, Besetzung:   https://www.gaertnerplatztheater.de/de/produktionen/freunde-das-leben-ist-lebenswert.html?ID_Vorstellung=2512

Auch der Mangel kann geneigtes Publikum bezaubern. So wird auch der geneigte Rezensent wieder zum Puristen und hinterfragt:

Außerordentlich und berührend war das „Wolgalied“ aus dem Zarewitsch, gesungen von Lucian Krasznec. Der Tenor singt mit besonderer Leichtigkeit, die in einem feinen Kern begründet ist, in der Mittellage mit einer Zartheit, einem bezaubernden Piano, das an Nicolai Gedda erinnert, ein lyrischer Tenor, während Lucian Krasznec  besonders im Spinto (jugendlicher  italienischer Held) singt. 

N.Gedda: https://www.youtube.com/watch?v=W2FcDeHu51Q&list=RDW2FcDeHu51Q&start_radio=1&t=0

15 Instrumentalisten und die Solisten machten Freude mit mehr oder weniger populären, immer eingängigen Operettenmelodien („Juxheirat, Wiener Frauen u. a.“). Im Gesang gab es keinen Ausfall – es war begeisterungswürdig. Interessant war diesmal verfolgbare Mimik der Instrumentalisten. Da hatte mancher einen recht verbissenen Gesichtsausdruck.

 Es sangen Tenöre, Sängerinnen verschiedener Fächer. Der Gesang war auf einer guten Höhe unserer Zeit – das meine ich etwas sarkastisch. Insgesamt kann man anmerken, dass klassischer Gesang sich verändert hat. Ausdrucksvolles Singen mit Lyrismen und Emphase wird immer mehr zur „Muskelspielerei“. Indem Grenzen mühelos überwunden werden entsteht der Eindruck einer Leistungsschau –wird dann doch zur Kraftmeierei (bei aller gefälligen Qualität).

TTT im Jan. d.J. im Online Merker: „… dass die Aktivierung der Keilbeinhöhle/ Nasennebenhöhle das Geheimnis einer Gesangskunst ist. Das heißt dann, dass der Aufschwung ins hohe Register nicht horizontal nur in die nasalen Resonanzräume erfolgt, sondern vertikal auch weitere Räume nutzen muss.“

Aktuell besteht der Eindruck, dass bevorzugt der horizontale Weg trainiert wird. Das führt dann zu stereotypen Stimmfarben, insbesondere im hohen Register zu Stentorstimmen.

Abgerundet durch guten Vortrag aus Lehar-Texten von Erwin Windegger, war er wieder da, der Eindruck, dass keine analoge oder digitale Konserve Ersatz bietet. Wichtig bleibt, Politikern bei zukünftig nötigen Entscheidungen zu einschneidenden Maßnahmen Entscheidungshilfen in ihrer häufig fehlenden Kompetenz zu geben – durch uns als Publikum und Wähler.

Tim Theo Tinn, 18.6.2020

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv geprägt keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press (Revolverpresse) – Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände der Vorgabe in Ort, Zeit und Handlung zuzulassen. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren

 


WIEN/ Konzerthaus: JULIAN RACHLIN und JOHANNES PIIRTO. Beethoven Violin/Klaviersonaten

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Beethoven-Büste im Konzerthaus. Zum Größenvergleich: Die Mutter der Rezensentin

Beethoven Violin/Klaviersonaten am 17.6.2020 im Wiener Konzerthaus mit Julian Rachlin und Johannes Piirto

BEETHOVEN! In seinem Jubiläumsjahr zum 250. Geburtstag wurde auch der Meister von den Auswirkungen des Corona Virus nicht verschont und so wie die Musiker und wir Publikum wurde auch er gnadenlos aus den Konzertsälen verdrängt. Was für grossartige Musikabende in seinem Namen hätten die letzten drei Monate  in Wien stattfinden sollen. Z. B. alle Symphonien mit den Wiener Philharmonikern unter Andris Nelsons im Musikverein und mit den Wiener Symphoniker unter Teodor Currentzis im Wiener Konzerthaus. Zu schade!

Doch nach den endlosen Monaten ohne Konzertbetrieb durfte im Juni endlich wieder musiziert werden, wenn auch nur mit maximal 100 Personen im Zuschauerraum.

Im Wiener Konzerthaus wurden am 17. Juni Beethovens Sonaten für Violine und Klavier im Großen Saal gespielt. An der Stradivari Violine „ex Liebig“ Julian Rachlin und am Steinway Konzertflügel der erst 26jährige Johannes Piirto.

Am Vortag fiel die Maskenpflicht für Besucher und das Einhalten des Sicherheitsabstandes ist bei hundert Personen in dem grossen Haus ja kein Problem. Die wie immer überaus freundlichen Beschäftigten im Konzerthaus tragen allerdings Gesichtsschilde und Dedinfektionslösungen standen ausreichend zur Verfügung. Sogar eines der Buffets war geöffnet.

Wem dieser eingeschränkte Betrieb im Konzerthaus aber wirklich gut tut? Der grandiosen Statue Ludwig van Beethovens in der grossen Empfangshalle des Konzerthauses. Sonst ist diese nämlich von einer Bar großteils verdeckt, was ein respektvolles und ungehindertes Betrachten dieses Meisterwerks unmöglich macht. Ich wünsche mir, dass auch nach der Krise dem Abbild des Meisters entsprechend gewürdigt werden kann und sein beeindruckendes Denkmal für jeden Besucher frei zugänglich sein wird.

Begonnen wurde der Abend um 20:30 Uhr, die erste Vorstellung dieses Programms fand bereits um 18 Uhr statt.

Zu Beginn die Sonate für Violine und Klavier Es-Dur op. 12/3, geschrieben 1797/98. Beethoven widmete Sie seinem Lehrer Antonio Salieri. Veröffentlicht wurde das dreisätzige  Werk 1798 unter dem Titel „Tre Sonate per il Clavicembalo o Forte-Piano con un Violino“.

Danach die Sonate a-moll op. 23., geschrieben 189 und Graf Moritz von Fries gewidmet.

Zum Abschluss des Abends wurde die viersätzige Sonate in c-moll, op. 30/2 gespielt, die 1892/02 entstand. Sie wurde 1803 veröffentlicht und war dem russischen Zaren Alexander I. gewidmet. Dieser belohnte Beethoven dafür mit einer Zahlung von 100 Dukaten während des Wiener Kongresses.

Beethoven brach mit diesen Sonaten deren Tradition als reine Unterhaltungs- und Untermalungsmusik und schockiert damit das damalige Publikum. Die Violine ist dem Klavier gleichgestellt. 

Wunderbar war es am diesem Abend, den zwei Meistern Ihrer Instrumente zuzuhören. Zu sehen wie die zwei Vollblutmusiker im Einklang, immer aufeinander achtend und trotzdem ganz in Beethovens wunderbarer Musik versunken waren, war ein Erlebnis. Den  Klang in dem quasi leeren Saal erlebte ich anders als sonst. Mir schien es dunkler und halliger. Besonders beeindruckt und berührt hat mich das Adagio Cantabile der c-moll Sonate und dessen Finale Allegro war berauschend! Das Publikum würdigte diese Meisterleistung mit begeistertem Applaus und Bravo-Rufen.

Julian Rachlin ist nicht nur in Österreich hochangesehen und beliebt. In Wien ist der am 8.12.1974 in Litauen geborene Musiker schon  quasi eine Institution. Der Violinist, Bratschist und Dirigent emigrierte 1987, studierte am Wiener Konservatorium und nahm Privatunterricht. Schlagartig bekannt wurde er, als er 13jährig den „Eurovision Young Musicians“ Wettbewerb gewann. Er ist bis heute der jüngste Solist der jemals mit den Wiener Philharmonikern gespielt hat. Auf Empfehlung Mariss Jansons absolvierte er ein Dirigentenstudium und seit 1999 lehrt er als Professor an der Kunst Privatuniversität Wien. 2021 wird er die  künstlerische Leitung des Herbstgold Festivals in Eisenstadt übernehmen.
http://www.julianrachlin.com/


Julian Rachlin, Johannes Piirto. Foto: Helena Ludwig

Den jungen finnischen Pianisten Johannes Piirto durfte ich zum ersten Mal hören. Das Klavierspiel des schlanken, hochgewachsenen jungen Mannes war unglaublich gut und ausdrucksstark. Er studierte an der Sibelius Akademie in Helsinki nicht nur Klavier, sondern auch Komposition und Dirigieren. Er besuchte Meisterkurse, u. a. bei Andràs Schiff und schließt momentan seine Studien bei Stefan Vladar an der Wiener Musikuniversität ab. Im Alter von 10 Jahren debütierte er als Solist mit der Aufführung seines selbst komponierten Allegro für Klavier und Orchester. Er ist auch künstlerischer Leiter eines Kammermusikfestivals in Helsinki und schrieb mehrere Orchester Werke. Ich denke, dass wir von ihm noch viel hören werden!
http://johannespiirto.fi/

Konzerttipp: Weiter geht es mit Beethoven! Mit seinen fünf Klavierkonzerten mit Rudolf Buchbinder und den Wiener Symphonikern am 4., 5. und 6. Juli 2020.
https://www.konzerthaus.at/

 Helena Ludwig 

 

WIEN/Staatsoper: Liederabend MICHAEL SCHADE – gemeinsam mit JENDRIK SPRINGER (Klavier)

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WIEN/Staatsoper: Liederabend MICHAEL SCHADE – gemeinsam mit JENDRIK SPRINGER (Klavier)

„Und morgen wird die Sonne wieder scheinen“

(am 18.6. 2020 – Karl Masek via Stream)


Michael Schade. Foto: Wolf Dieter Grabner

Das für KS Michael Schade derzeit wohl schlimmste Wort ist: „Absage“. Auch die von ihm künstlerisch geleiteten Internationalen Barocktage zu  Pfingsten 2020 in Melk waren davon betroffen. Die Zukunftsperspektive jedoch lautet in diesem Fall: Das Programm mit dem England-Schwerpunkt und den Eckpfeilern Purcell, Dowland u.v.a. kann zum größten Teil im Jahr 2022 übernommen werden. Die meisten der gebuchten Künstler/innen werden auch für diesen Ersatztermin bereitstehen.

„Hoffnungsvoll bleiben…“, das waren die beschwörenden Worte des Kammersängers, die an die anwesende Hundertschaft des Publikums im Saal und an alle, die via Livestream dabei waren, gerichtet wurden.

Ein erlesenes 75-Minuten-Programm voller musikalischer Kleinodien wurde geboten. Auch diesmal durfte Ludwig van Beethoven nicht fehlen. Der sechsteilige Liederzyklus An die ferne Geliebte, op. 98 aus dem Jahr 1816 eröffnete den Abend. Mit all den Farbschattierungen, den Sehnsuchtstönen, der Naturbeobachtung, der besonderen Widmungs-Rhetorik widmeten sich  Schade und sein kongenialer Mitgestalter am Klavier, Jendrik Springer, den ausdrucksstarken Liedern. Inspiriert bis in kleinste körpersprachliche, mimische und gestische Nuancen, wurde den textlichen Feinheiten nachgegangen. Gefühlvoll, aber keinen Augenblick sentimental, wurde die Melodik, die Poesie ausgekostet. Auch auf ironische Feinheiten wurde Wert gelegt. Und es wurde nicht bloß schön gesungen – Schades Tenor klang an diesem Abend auf beglückende Art ausgeruht, entspannt -, sondern es wurden auf subtile Art Geschichten erzählt.

 Acht Lieder von Franz Schubert spannten einen Bogen von Adelaide D 95, dem unbegreiflichen Geniestreich des 17-Jährigen, bis zum Ständchen aus dem „Schwanengesang“, D 957, aus der letzten Schaffensperiode. Wie oft hat man dieses Lied bis zur Unerträglichkeit verkitscht gehört! Schade säuselt nicht, sondern gibt der Musik ein Höchstmaß an textlicher Klarheit und tenoraler Bandbreite. Die Forelle wird mit Pointiertheit gestaltet. Ein sanguinischer Beobachter steht da am Bach, Fischer und Forelle im Fokus – und dahinter scheint Schubert (=Springer) höchstpersönlich mit Feder und Notenpapier  zu sitzen. Der beobachtet den Beobachter, das Fischlein und  den Fischer. Jendrik Springer gestaltet das alles minutiös: bis hin zur Ungeduld des Fischers, das Trüben des Wassers (auch der Sänger rührt gestisch kräftig mit!) bis zum Zucken der Angel. Der Beobachter scheint zwar  „regen Blutes“, aber Mitleid mit dem Fischlein schwingt nicht mit. Eher eine Art kulinarische Vorfreude auf die bevorstehende „Forelle blau“ oder „Müllerin“ spiegelt sich in Schades genießerischem Gesicht. Zungen-Aquaplaning!

An den Mond, D 193, hatte die idealen Nachtfarben. Der Musensohn ein Höchstmaß an charismatischer Exzentrik des Liedermachers von Goethes Gnaden. Man muss schon zu den Glanzzeiten Peter Schreiers zurückgehen, um eine ähnlich drängende, voll kreativer Aufgeregtheit pulsierende Wiedergabe bei diesem Lied  gehört zu haben.

Drei Lieder von Richard Strauss  zeigten Schade ebenfalls auf dem Zenit seines Könnens. Da setzte er seinen Tenor auch mit luxuriösem  Höhenglanz ein. Die „roten Astern“ schienen bei Allerseelen, op. 10 betörenden Duft und schweres Parfum zu verströmen. Heimliche Aufforderung, die musikalische Widmung des 30-Jährigen an seine Frau Pauline de Ahna, geriet zur selbstbewussten, pompösen  Liebeserklärung.

Eine andere Liebeserklärung kam dann mit dem Wienerlied Mei Muatterl war a Weanerin des Ludwig Gruber, absolut charmant und überhaupt nicht schmalzig serviert. Eine Premiere im Haus am Ring! Und sich fast ein bisschen entschuldigend für den Text, der in Metoo-Zeiten eine andere Bedeutung bekommen hat, sang Schade mit viel Augenzwinkern als letzte Nummer Gern hab‘ ich die Frau’n geküsst/ Hab nicht gefragt, ob es gestattet ist…

Der Zauber dieses Ohrwurms aus Paganini von Franz Lehár wirkt aber immer wieder. Und Schades Tenor entwickelte da einen wundersam nostalgischen Grammophon-Klang, fast mit einer Prise Richard Tauber.

Stehende Ovationen, Blumen, Rührung und ein Hauch von weltumarmender Stimmung machte sich breit. Intelligent gewählte Zugaben: Beethovens Kuss (auch hier köstliche Körpersprache!) und Strauss‘ Und morgen wird die Sonne wieder scheinen.

Wir können’s kaum erwarten.

Karl Masek

 

LUDWIGSBURG/ Schlossfestspiele: “ DAS ISOLIERTE LEBEN“. „Pixel-Sinfonie“ als Online-Installation

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FONO FORUM: Beethoven, online und verpixelt
Grafik: Daniel Wiesmann

“ DAS ISOLIERTE LEBEN „Pixel-Sinfonie“ als Online-Installation bei den Schlossfestspielen/LUDWIGSBURG (18.6.2020)

Der Komponist Michael Rauter nutzt Ludwig van Beethovens 6. Sinfonie in F-Dur op. 68 „Pastorale“ für einen suggestiven Einblick in das isolierte Leben. Jeder Musiker spielt hier einzeln, bringt sich in die Spielposition „Beethoven“. Und jedes Instrument erklingt auch allein. Da hört man dann vieles neu und anders. Und wenn sich das gesamte Orchester irgendwann begegnet, entsteht ein neues Bild – ein wie ein Mosaik zusammengesetztes „Pixel-Bild“ aus vielen Einzelteilen. Die Kraft einer Gesellschaft in der Corona-Krise soll hier sichtbar werden.

Mitglieder des Orchesters der Ludwigsburger Schlossfestspiele, das Solistenensemble Kaleidoskop sowie Studierende der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart sowie weiterer Hochschulen lassen bei Michael Rauters diffiziler Komposition Beethovens „Pastorale“ gleichsam neu entstehen, lauschen den Klängen behutsam nach. Das wirkt zuweilen alles wie in Zeitlupe. Man vernimmt ein besonders ausdrucksvolles Klarinetten-Solo, einzelne Bilder und Klangflächen treten hervor. Die Pauken verkünden ein energisches Staccato, dazwischen erscheint ein visuelles Feuerwerk. Die Musiker setzen sich sogar vor die Kamera. Die Gefahr der Verfremdung von Beethovens Musik wird so ganz bewusst in Kauf genommen. Lieblingsthemen der musikalischen Naturnachahmung stehen plötzlich im Zentrum. Im ersten Satz dominiert heitere Besinnlichkeit, die das schlichte Eröffnungsthema erfüllt. Seinen wahren Reichtum offenbart es auch hier bei immer neuen harmonischen Abwandlungen: „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“. Das gesamte reiche Material des Sonaten-Satzes wird ausgeschöpft. Selbst das nuancenreiche Wechselspiel des Streichquintetts mit den Holzbläsern sticht grell hervor. Der zweite Andante-molto-mosso-Satz „Szene am Bach“ erscheint zunächst fast schemenhaft. Über dem friedlichen Murmeln des Baches in den Streichern singen die ersten Violinen eine ruhige Melodie, in der das erste Thema weiterlebt. Alles wirkt stark verfremdet, was nicht unproblematisch ist. Doch die Wirksamkeit des breiten Flusses macht sich dennoch ganz allmählich bemerkbar. Auch die geheimnisvollen Schatten ferner Harmoniebereiche werden bewusst ausgelotet. Selbst Vogelstimmen kommen zu Gehör: In den Trillern der Flöte seufzt die Nachtigall, die Oboe zeichnet den Wachtelschlag nach und die Klarinette mimt den Kuckucksruf.

Die Ausgelassenheit des folgenden Scherzos kommt zwar zögerlich, doch dann klar zum Vorschein – alles geschieht in einem äusserst gemächlichen Tempo. Die einfache Oboenmelodie wird durch Humor und Parodie gekennzeichnet, und die Geigen geben dazu monoton den Rhythmus. Selbst der kurze Trioteil ist ganz versteckt herauszuhören. Das „Gewitter“ des vierten Satzes gerät hier zum großen orchestralen Höhepunkt. Der ferne Donner kündigt sich schon in Celli und Bässen an. Blitz und Sturm durchbricht plötzlich die ängstliche Erregung, alles gerät in wilden Aufruhr. Zuletzt triumphiert wieder Beethovens heroisch-idealistische Weltanschauung im Finale. Dieser „Hirtengesang“ erreicht auch bei Michael Rauter eine ungewöhnliche Intensität und Farbigkeit als Dankgesang der Menschheit und hymnischer Lobpreis der Natur. Leise verrieselnde Streicherfiguren begleiten das Horn geheimnisvoll und fast ersterbend bei der schalmeienden Hirtenweise. Fazit: Trotz kleinerer Abstriche ein interessantes Projekt mit digitalem Zuschnitt.

Alexander Walther

MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater/ „Corona-Spielplan: Mein Sehnen, mein Wähnen – Berühmte Opernmelodien

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Gärtnerplatztheater „Corona-Spielplan“ 18. Juni 2020, Konzert

Mein Sehnen, mein Wähnen – Berühmte Opernmelodien

Leben musst du, liebes Leben, leben noch dies eine Mal! Harlekin/ R.Strauss/ Ariadne

FONO FORUM: Gärtnerplatz mit umgepflügtem Spielplan

 

© Christian POGO Zach

Perlen der Musiktheater-Literatur, jeder Vortrag ein Kabinettstück wurden zu überbordender Parade gediegener, außergewöhnlicher Vortragskultur eines hochqualifizierten Gesang-, Orchester-Ensembles.

Vor dem Hintergrund, dass das Haus nicht zu den Boliden weltweiter Musiktheater-Tempel gehört, sondern mit wesentlich geringeren Mitteln arbeitet: Verneigung und Chapeau!!!
112 Mio. Staatsoper München 2017, 40 Mio. Gärtnerplatztheater 2014 (Datenfindung schwierig!)

So schafft die Pirsch durch Jahrhunderte genialer Opernkompositionen dem Publikum exquisite Seelennahrung.

Beglückend auch die spielerische, darstellerisch höchst inspirierte Musiktheater -Show, weit erhoben über jegliche antiseptische Gesangsdeklamation.

Inhalt, Besetzung:

https://www.gaertnerplatztheater.de/de/produktionen/mein-sehnen-mein-waehnen.html?ID_Vorstellung=2534&m=66

Gratulation an Alle, Complimenti a tutti, Félicitations à tous, Congratulations to everyone!

Tim Theo Tinn, 19. Juni 2020

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press (Revolverpresse) – Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zuzulassen. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

BERN/ Konzert Theater: THE OLD MAID AND THE THIEF von Gian Carlo Menotti. Premiere

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Gian Carlo Menotti: The Old Maid and the Thief, Konzert Theater Bern, Premiere: 19.06.2020

 Besser von einem Mann getötet werden, als ohne Mann zu sterben

«Besser von einem Mann getötet zu werden, als ohne Mann zu sterben» trifft das Lebensmotto von Miss Todd und ihrem Dienstmädchen aus Gian Carlo Menottis «The old maid and the thief», einer 1939 als Radiooper entstandenen Groteske in 14 Bildern, auf den Punkt. Menotti entführt den Zuhörer zu Beginn der 1940 nach New England oder in den Mittleren Westen. Miss Todd lebt ein Leben in sicheren Verhältnissen, aber ohne Liebe. So bringt der Landstreicher Bob, als er eines Tages um Aufnahme bittet,  Abwechslung in das öde Leben in der Einöde.  Aufgeregt überlegen die beiden Frauen, wie sie den Mann, jetzt, wo sie endlich einen haben, an sich binden können und das dann gegenüber Miss Todds Freundin Miss Pinkerton und dem Dorf rechtfertigen. Die Aufregung steigert sich ins schier unermessliche, als bekannt wird, dass ein Dieb aus dem nahen Gefängnis entkommen ist. Eigentlich liegt doch nahe, dass Bob der Dieb ist? Miss Todd, die um Bob halten zu können, selbst das halbe Dorf bestohlen hat, muss erkennen, dass Bob kein Dieb sondern ein ehrlicher Bettler ist. Mit ihre  Verhalten hat Miss Todd Bob aber nun zu dem gemacht, was er nicht ist: einem Dieb. Mit Laetitia und den Wertsachen von Miss Todd ist er weitergezogen.

The Old Maid and the Thief | Konzert Theater Bern
Foto: Annette Boutellier

Eine Radiooper unterliegt naturgemäss anderen Voraussetzungen als eine klassische Oper. So wir verstärkt mit Geräuschen gearbeitet und die Szene ist, wie es Operndirektor Xavier Zuber in seiner Ansage formulierte, die Phantasie des Zuhörers. So hat Sidonia Helfenstein die Bühne bis auf je vier Stühle, Notenständer und Tische für die Geräuschutensilien leer geräumt. Diese wohltuende Zurückhaltung, die die volle Konzentration auf die Akustik ermöglicht, setzt sich in den Kostümen von Emma Hoffmann fort. Für die Musikalische Leitung, Konzept und Klavier ist Matthew Toogood verantwortlich.

The Old Maid and the Thief | Konzert Theater Bern
Foto: Annette Boutellier

Der Abend Ist eine grossartige Ensembleleistung von Claude Eichenberger als Miss Todd, Orsolya Nyakas als Laetitia, Eleonora Vacchi als Miss Pinkerton und Todd Boyce als Bob. Jürg Wisbach als Sprecher trägt wesentlich zum Verständnis des Abends bei. Seine Rolle dürfte eine Berner Schöpfung sein.

Konzert Theater Bern ist für sein gleichermassen mutiges wie gehaltvolles (Produktionen aus allen vier Sparten enthaltendes), vorsommerliches Extra-Programm zu gratulieren. Im Bereich Musiktheater hat man neben einem Arienabend für die Kulinarik zwei vollwertige, höchst interessante und bereichernde Produktionen gestemmt.

Auf nach Bern! Es wartet – schon wieder – ein rundum beglückender Abend.

Weitere Aufführungen: Sa, 20. Juni 2020, 19:30, Stadttheater; So, 21. Juni 2020, 19:00, Stadttheater.

19.06.2020, Jan Krobot/Zürich

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